Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.Du mußt hinaus und, ergrimmt über dieses Ungemach, das Deine -- Ganz gut, unterbricht Dich hier eine dünne, scharfe, jeden Cho- -- Bis zum nächsten Frühling? Und wer sagt mir, daß ich ihn Oder: Du hast einen Freund in einer altbekannten Stadt; nach langer Du mußt hinaus und, ergrimmt über dieses Ungemach, das Deine — Ganz gut, unterbricht Dich hier eine dünne, scharfe, jeden Cho- — Bis zum nächsten Frühling? Und wer sagt mir, daß ich ihn Oder: Du hast einen Freund in einer altbekannten Stadt; nach langer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180115"/> <p xml:id="ID_1039" prev="#ID_1038"> Du mußt hinaus und, ergrimmt über dieses Ungemach, das Deine<lb/> gewohnte EMenz unterbricht, steigst Du in den Wagen. Du hast<lb/> die Barriere und die der Stadt zunächst gelegenen Ortschaften Pas-<lb/> sirt; wie wird Dir auf einmal? Was belebt Dein staunend Auge<lb/> so plötzlich? Was durchströmt deine Adern mit dem seligen Gefühl<lb/> des Seins? — Das war's, was mir fehlte, rufst Du entzückt, das<lb/> war's, wornach ich mich ziellos sehnte! Diese Luft, die mich wie der<lb/> Flügelschlag seliger Geister umrauscht; diese kühngeschwungenen, grün¬<lb/> laubigen Bäume, denen ihre verkrüppelten, bettelhafter Stadtvettcrn<lb/> Mitleid einflößen müssen; dieser Aether, der von Qualm und Dampf<lb/> so wenig weiß, wie eine große Seele vou Gemeinheit — o wie<lb/> schön, wie herrlich, wie heilig! Thor, der ich war, diese Himmels¬<lb/> güter bis jetzt zu entbehren! Aber ich will es gut machen, aufthauen<lb/> will ich und aufblühen, mich weihen und segnen lassen von dem gro¬<lb/> ßen liebevollen Geist. Morgen zieh' ich aufs Land, morgen —</p><lb/> <p xml:id="ID_1040"> — Ganz gut, unterbricht Dich hier eine dünne, scharfe, jeden Cho-<lb/> ral der Begeisterung übertönende Stimme, nur vergiß nicht, daß wir<lb/> morgen den zwanzigsten September haben, und daß in drei Wochen<lb/> die ganze Herrlichkeit, die Du jetzt anstaunst, vorüber sein wird.<lb/> Warum bist Du nicht früher so klug gewesen? Für dies Jahr haft<lb/> Du nichts Anderes zu thun, als die Doppelfenster bald einhängen zu<lb/> lassen, den nöthigen Holzvorrath zu bestellen und Dich nach den<lb/> neuen Wintermoden zu erkundigen. Wenn Du mit der Natur schwär¬<lb/> men willst, so fange ein anderes Mal früher als Ende September<lb/> damit an. Inzwischen vertröste Dich bis zum nächsten Frühling.</p><lb/> <p xml:id="ID_1041"> — Bis zum nächsten Frühling? Und wer sagt mir, daß ich ihn<lb/> erleben werde?</p><lb/> <p xml:id="ID_1042"> Oder:</p><lb/> <p xml:id="ID_1043" next="#ID_1044"> Du hast einen Freund in einer altbekannten Stadt; nach langer<lb/> Abwesenheit kehrst Du dahin zurück. Dein Herz sehnt sich darnach,<lb/> den Freund zu sehen, in den alten treuen Augen zu lesen, daß, wenn<lb/> Alles zusammenbrach, hier etwas Festes, Ewiges blieb. „O, wenn<lb/> er käme!" ruft es in Dir, aber Du thust nicht das Geringste, um<lb/> ihn kommen zu machen. Und er? Ach Gott! wenn er nicht gerade<lb/> Zvllvisitator oder im Paßbureau angestellt ist, so kannst Du lange<lb/> in der großen Stadt sein, ohne daß er um Deine Anwesenheit erfährt.<lb/> Warum rufst Du den Freund nicht herbei? Weißt Du nicht, daß,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0402]
Du mußt hinaus und, ergrimmt über dieses Ungemach, das Deine
gewohnte EMenz unterbricht, steigst Du in den Wagen. Du hast
die Barriere und die der Stadt zunächst gelegenen Ortschaften Pas-
sirt; wie wird Dir auf einmal? Was belebt Dein staunend Auge
so plötzlich? Was durchströmt deine Adern mit dem seligen Gefühl
des Seins? — Das war's, was mir fehlte, rufst Du entzückt, das
war's, wornach ich mich ziellos sehnte! Diese Luft, die mich wie der
Flügelschlag seliger Geister umrauscht; diese kühngeschwungenen, grün¬
laubigen Bäume, denen ihre verkrüppelten, bettelhafter Stadtvettcrn
Mitleid einflößen müssen; dieser Aether, der von Qualm und Dampf
so wenig weiß, wie eine große Seele vou Gemeinheit — o wie
schön, wie herrlich, wie heilig! Thor, der ich war, diese Himmels¬
güter bis jetzt zu entbehren! Aber ich will es gut machen, aufthauen
will ich und aufblühen, mich weihen und segnen lassen von dem gro¬
ßen liebevollen Geist. Morgen zieh' ich aufs Land, morgen —
— Ganz gut, unterbricht Dich hier eine dünne, scharfe, jeden Cho-
ral der Begeisterung übertönende Stimme, nur vergiß nicht, daß wir
morgen den zwanzigsten September haben, und daß in drei Wochen
die ganze Herrlichkeit, die Du jetzt anstaunst, vorüber sein wird.
Warum bist Du nicht früher so klug gewesen? Für dies Jahr haft
Du nichts Anderes zu thun, als die Doppelfenster bald einhängen zu
lassen, den nöthigen Holzvorrath zu bestellen und Dich nach den
neuen Wintermoden zu erkundigen. Wenn Du mit der Natur schwär¬
men willst, so fange ein anderes Mal früher als Ende September
damit an. Inzwischen vertröste Dich bis zum nächsten Frühling.
— Bis zum nächsten Frühling? Und wer sagt mir, daß ich ihn
erleben werde?
Oder:
Du hast einen Freund in einer altbekannten Stadt; nach langer
Abwesenheit kehrst Du dahin zurück. Dein Herz sehnt sich darnach,
den Freund zu sehen, in den alten treuen Augen zu lesen, daß, wenn
Alles zusammenbrach, hier etwas Festes, Ewiges blieb. „O, wenn
er käme!" ruft es in Dir, aber Du thust nicht das Geringste, um
ihn kommen zu machen. Und er? Ach Gott! wenn er nicht gerade
Zvllvisitator oder im Paßbureau angestellt ist, so kannst Du lange
in der großen Stadt sein, ohne daß er um Deine Anwesenheit erfährt.
Warum rufst Du den Freund nicht herbei? Weißt Du nicht, daß,
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