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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ung? Still zu s"n, sich ruhig zu halte", keine" Vor wand zu gebe".
Recht großmüttcrlich. I" rer "Deutschen Allgemeinen" ivird sehr
wahr bemerkt, daß es zu keiner Zeit weniger als jetzt an Anlässen zur
Beschränkung der aeademtschen Freiheit gefehlt habe; daS Studenten-
thum war stets turbulenter als jetzt, ohne daß man ans den sprudeln¬
den Jugendübermuth ein Recht zur Dämpfung des Jugcndmuths ge¬
gründet hätte. Wenn man aber will, kann man die Gelegenheit von
jedem Zaune brechen; Männer, wie Grimm, müßten ein freies, keckes
Wort sprechen in solchen Fällen; wer soll reden, wenn es die
gefeierten Helden nicht thun?,,Wenn Leute, ohne ehrwürdige Autorität,
die Wahrheit sprechen, nennt man sie ja Narren und Schreier. Ein
Stoßseufzer über die inj"na t,-in>in,'um aber, ein frommes Händefalten
und eine Ermahnung, wie sie die Henne den Entenküchlein gibt, das
heißt nicht reden, nicht männlich handeln für eine Sache, deren gutes
Recht so offen und klar ist.

-- Tolstoi suchte in seiner Schrift gegen Custinc die Russcnfurcht
zu pcrstffliren. Das ist von einem russischen Agenten klug und na¬
türlich. Sollte man aber glauben, daß es Deutsche gibt, die, vor ei¬
tel Gutmüthigkeit, die Russophobic lächerlich finden und sich über die
antirussischeu Schildcrhcbungen der deutschen Presse wundern? Diese
Gemüthlichen sehen keine Gefahr, bis sie ihnen als Faustschlag in's Gesicht
kommt. Man kann die Russeufurcht lächerlich machen, wenn sie aus
phantastischen Träumen von einer "unifvrmirtcn Völkerwanderung",
einer kosakischon Weltherrschaft entspringt. Es ist aber anders und
Russeufurcht ist nicht das rechte Wort für die Empfindungen, die in
Bezug auf Se. Petersburg herrschen. Man wird sich hoffentlich nicht einbil¬
den, daß wir den Heldenmuth, den überwiegenden Geist und die moralische
Kraft der großen und freien russischen Nation fürchten. Die offen zuschlagende
Bärentatze würde man nicht scheuen, wohl aber die sammtweiche, heim¬
lich kratzende, diplomatische Katzenpfote. Nicht als ehrlicher Feind wird
Rußland gefürchtet, sondern als Hausfreund, als Ohrenbläser, als An¬
Hetzer, als Beobachter und als Sämann jeder Art von Mißtrauen
und Zwietracht. Haben die deutschen Universitäten, die deutsche Presse,
die deutschen Verfassungen nie was von dem nächtlichen Fcosthauch
des nordische" Einflusses verspürt. Oder ist es nicht genug, daß wir,
schon russische Berüchtigcr haben, die mit euphemistischer Feinheit die
russische Barbarei zu beschönigen, plausibel zu machen und den deut¬
schen Widerwillen vor russischer Denkungsart abzustumpfen suchen? --
Davon abgesehen, gibt es bekanntlich auch materielle Punkte, wo man
Rußland auf die Finger zu sehen hat.

-- Schuselka ist, auf russische Requisition, wegen seines Buches:
"Die orientalische d. i. die russische Frage" in einen neuen Prozeß ver¬
wickelt worden. Oesterreich soll also einen Schriftsteller, der Oester-


ung? Still zu s"n, sich ruhig zu halte», keine» Vor wand zu gebe».
Recht großmüttcrlich. I» rer „Deutschen Allgemeinen" ivird sehr
wahr bemerkt, daß es zu keiner Zeit weniger als jetzt an Anlässen zur
Beschränkung der aeademtschen Freiheit gefehlt habe; daS Studenten-
thum war stets turbulenter als jetzt, ohne daß man ans den sprudeln¬
den Jugendübermuth ein Recht zur Dämpfung des Jugcndmuths ge¬
gründet hätte. Wenn man aber will, kann man die Gelegenheit von
jedem Zaune brechen; Männer, wie Grimm, müßten ein freies, keckes
Wort sprechen in solchen Fällen; wer soll reden, wenn es die
gefeierten Helden nicht thun?,,Wenn Leute, ohne ehrwürdige Autorität,
die Wahrheit sprechen, nennt man sie ja Narren und Schreier. Ein
Stoßseufzer über die inj»na t,-in>in,'um aber, ein frommes Händefalten
und eine Ermahnung, wie sie die Henne den Entenküchlein gibt, das
heißt nicht reden, nicht männlich handeln für eine Sache, deren gutes
Recht so offen und klar ist.

— Tolstoi suchte in seiner Schrift gegen Custinc die Russcnfurcht
zu pcrstffliren. Das ist von einem russischen Agenten klug und na¬
türlich. Sollte man aber glauben, daß es Deutsche gibt, die, vor ei¬
tel Gutmüthigkeit, die Russophobic lächerlich finden und sich über die
antirussischeu Schildcrhcbungen der deutschen Presse wundern? Diese
Gemüthlichen sehen keine Gefahr, bis sie ihnen als Faustschlag in's Gesicht
kommt. Man kann die Russeufurcht lächerlich machen, wenn sie aus
phantastischen Träumen von einer „unifvrmirtcn Völkerwanderung",
einer kosakischon Weltherrschaft entspringt. Es ist aber anders und
Russeufurcht ist nicht das rechte Wort für die Empfindungen, die in
Bezug auf Se. Petersburg herrschen. Man wird sich hoffentlich nicht einbil¬
den, daß wir den Heldenmuth, den überwiegenden Geist und die moralische
Kraft der großen und freien russischen Nation fürchten. Die offen zuschlagende
Bärentatze würde man nicht scheuen, wohl aber die sammtweiche, heim¬
lich kratzende, diplomatische Katzenpfote. Nicht als ehrlicher Feind wird
Rußland gefürchtet, sondern als Hausfreund, als Ohrenbläser, als An¬
Hetzer, als Beobachter und als Sämann jeder Art von Mißtrauen
und Zwietracht. Haben die deutschen Universitäten, die deutsche Presse,
die deutschen Verfassungen nie was von dem nächtlichen Fcosthauch
des nordische» Einflusses verspürt. Oder ist es nicht genug, daß wir,
schon russische Berüchtigcr haben, die mit euphemistischer Feinheit die
russische Barbarei zu beschönigen, plausibel zu machen und den deut¬
schen Widerwillen vor russischer Denkungsart abzustumpfen suchen? —
Davon abgesehen, gibt es bekanntlich auch materielle Punkte, wo man
Rußland auf die Finger zu sehen hat.

— Schuselka ist, auf russische Requisition, wegen seines Buches:
„Die orientalische d. i. die russische Frage" in einen neuen Prozeß ver¬
wickelt worden. Oesterreich soll also einen Schriftsteller, der Oester-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/398>, abgerufen am 26.06.2024.