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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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zugeben!" -- DaS heißt, man soll seine Gesinnung vorsichtig bei
sich behalten und hüten wie ein seidenes Tüchlein, welches sich leicht
abnutzt, wenn man zu oft Gebrauch davon macht. Darum singt Heine:
Nur im innersten Gemüthe ein deutscher Mann die Freiheit hegt. --
So reden zwei von den Sieben! Solch eine Trennung ist in Deutsch¬
land noch zwischen dem Gelehrten und dem Man"! Selbst die Gesin¬
nung ist ihnen nur wie die Kenntniß einer todten Sprache. Wir wollen
kein Gewicht legen auf Vivats und ähnliche Demonstrationen, noch
verlangen, daß ältere Männer etwa dergleichen für eine That halten;
aber, wenn einmal die Jugend sich in sanguinischer Weise Luft macht,
gleich kaltes Wasser über sie gießen und sich, mit solcher Verläugnung
aller Conscquenzc", die Hände in Unschuld waschen-- das würde kein
französischer oder englischer Gelehrter in solcher Stellung bei einem
solchen Falle. Die beiden Grimm sind als Männer der Wissen¬
schaft der höchsten Verehrung und Liebe würdig, aber daß auch sie
Professoren vom alten Schlage sind, haben sie durch ihre Erklärung
bewiesen.

-- ES ist wohl zu beachten und anzuerkennen, daß in Berlin
die Universität selbst sich weigerte, Nauwerk'S politische Vorlesungen zu
schließen, indem sie in denselben nichts die Grenzen der Lehrfreiheit
Ucbcrschreitcndce- sah. Da erließ Herr Eichhorn kraft seiner unmittel¬
baren Ministcrialgcwalt das Verbot gegen Nauwerk. Eben so verhält
es sich mit der, schon früher angekündigten und von wohlmeinenden
Bcrüchtigungöfedcrn in Abrede gestellten Maßregel gegen die politischen
Vorlesungen des Hallenser Professors Hinrichs. Diese Vorlesungen
sind nun wirklich verboten worden; und zwar auf den unmittelbaren
Befehl des Herrn Eichhorn, welcher dem Professor Hinrichs die "wis¬
senschaftliche Befähigung", dergleichen Vorträge zu halten, absprach.
'Wenn, wie man sagt, in Zukunft nur vom Ministerium die Privatdo-
centen und außerordentlichen Professoren ernannt werden sollen, so kann
man sich denken, mit welcher Elle man die Fähigkeiten der akademi¬
schen Lehrer messen wirdXHintcr all den Studeutcnuntcrsuchnngcn und
Lehrvcrbotcn scheint doch ein tiefer gehender Plan gegen die jetzige
Verfassung der Universitäten zu stecken. Wäre eS sonst nicht kleinlich
von einer, mit europäischen Dingen beschäftigten Staatsgewalt, so viel
Polizei- und andere Maschinerie in Bewegung zu setzen gegen ein
Paar Vivats!, ein Paar Jünglingsrcdcu, überhaupt gegen eine rein
geistige Bewegung, die man doch gern als unreifes Raisonnement und
Larifarilärm darstellen möchte? Hat ein großer Staat nichts Größeres
zu thu", als Stunde für Stunde jedes unreife Wort eines Studenten
offiziell zu berichtigen? Daß eine ernstere Absicht im Hintergrund der
Bureaus schlummere, haben selbst die beiden Grimm in ihrer Erklä¬
rung angedeutet. Aber welchen Rath knüpfen sie an ihre Voraussag-


zugeben!" — DaS heißt, man soll seine Gesinnung vorsichtig bei
sich behalten und hüten wie ein seidenes Tüchlein, welches sich leicht
abnutzt, wenn man zu oft Gebrauch davon macht. Darum singt Heine:
Nur im innersten Gemüthe ein deutscher Mann die Freiheit hegt. —
So reden zwei von den Sieben! Solch eine Trennung ist in Deutsch¬
land noch zwischen dem Gelehrten und dem Man»! Selbst die Gesin¬
nung ist ihnen nur wie die Kenntniß einer todten Sprache. Wir wollen
kein Gewicht legen auf Vivats und ähnliche Demonstrationen, noch
verlangen, daß ältere Männer etwa dergleichen für eine That halten;
aber, wenn einmal die Jugend sich in sanguinischer Weise Luft macht,
gleich kaltes Wasser über sie gießen und sich, mit solcher Verläugnung
aller Conscquenzc», die Hände in Unschuld waschen— das würde kein
französischer oder englischer Gelehrter in solcher Stellung bei einem
solchen Falle. Die beiden Grimm sind als Männer der Wissen¬
schaft der höchsten Verehrung und Liebe würdig, aber daß auch sie
Professoren vom alten Schlage sind, haben sie durch ihre Erklärung
bewiesen.

— ES ist wohl zu beachten und anzuerkennen, daß in Berlin
die Universität selbst sich weigerte, Nauwerk'S politische Vorlesungen zu
schließen, indem sie in denselben nichts die Grenzen der Lehrfreiheit
Ucbcrschreitcndce- sah. Da erließ Herr Eichhorn kraft seiner unmittel¬
baren Ministcrialgcwalt das Verbot gegen Nauwerk. Eben so verhält
es sich mit der, schon früher angekündigten und von wohlmeinenden
Bcrüchtigungöfedcrn in Abrede gestellten Maßregel gegen die politischen
Vorlesungen des Hallenser Professors Hinrichs. Diese Vorlesungen
sind nun wirklich verboten worden; und zwar auf den unmittelbaren
Befehl des Herrn Eichhorn, welcher dem Professor Hinrichs die „wis¬
senschaftliche Befähigung", dergleichen Vorträge zu halten, absprach.
'Wenn, wie man sagt, in Zukunft nur vom Ministerium die Privatdo-
centen und außerordentlichen Professoren ernannt werden sollen, so kann
man sich denken, mit welcher Elle man die Fähigkeiten der akademi¬
schen Lehrer messen wirdXHintcr all den Studeutcnuntcrsuchnngcn und
Lehrvcrbotcn scheint doch ein tiefer gehender Plan gegen die jetzige
Verfassung der Universitäten zu stecken. Wäre eS sonst nicht kleinlich
von einer, mit europäischen Dingen beschäftigten Staatsgewalt, so viel
Polizei- und andere Maschinerie in Bewegung zu setzen gegen ein
Paar Vivats!, ein Paar Jünglingsrcdcu, überhaupt gegen eine rein
geistige Bewegung, die man doch gern als unreifes Raisonnement und
Larifarilärm darstellen möchte? Hat ein großer Staat nichts Größeres
zu thu», als Stunde für Stunde jedes unreife Wort eines Studenten
offiziell zu berichtigen? Daß eine ernstere Absicht im Hintergrund der
Bureaus schlummere, haben selbst die beiden Grimm in ihrer Erklä¬
rung angedeutet. Aber welchen Rath knüpfen sie an ihre Voraussag-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/397>, abgerufen am 26.06.2024.