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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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i" Berlin und Halle haben in Leipzig ihre Nachahmung gefunden und
in Gießen ist vor Kurzem den Studirenden ebenfalls die Gründung
eines Lcscmuseums untersagt werden. Welch ein laues Mitglied des
deutschen Bundes die dänische Regierung ist, sieht man daraus, daß in
Kiel den Studirenden ihr revolutionäres Lesen, Versammeln und Ver^
einen ungeahndet hingeht. So ist man einig im Zerreißen und Aus-
einanderhalten. --

-- Höchst sinnreich ist die Einrichtung der modernen, nach nord-
amerikanischen Muster gebauten Gefängnisse mit einsamer Absperrung.
Während nämlich die Gefangenen völlig isolirt und abgesperrt sind, so daß
sie selbst beim Spazierengehen einander weder sehen, noch höre", stehen
die Gefängnißanfsehcr und Büttel, durch gewisse Corridore und Gale¬
rien, fortwährend in der genauesten und unmittelbarsten Verbindung.
Jeder einzelne derselben kann nicht nur alle Verbrecher belauschen und
beobachten, ohne von ihnen gesehen und gehört zu werden, sondern
auch durch den leisesten Wink sich seinen Genossen mittheile". Da ist
Einheit und Einigkeit bei der größten Uneinigkeit. Freilich gibt es in
diesen Gefängnissen -- keine Eisenbahnen.

-- Sehr treffend zeichnet ein Korrespondent der "Deutschen All¬
gemeinen" daS NcqicrungSsvstcm eines großen deutsche" Staates. Erst,
sagt er, rufe ma" mit der Jdccnlarmtrommel die Menge auf den
Markt zusammen, dann suche man durch Püffe und Fahndungen sie
auseinanderzujagen. Man mag diese Politik unklug und unweise nen¬
nen: etwas romantisch Geniales, etwas humoristisch Kavalieres hat sie
jedenfalls.

-- Hoffina"" v. Fallersleben wurde aus Berlin verwiesen, das
er auf kurze Zeit besuchte, weil er zu einem de" beide" Grimm ge¬
brachten Fackelzug kam, und von den Studenten -- iionibilv clivtu!
-- auch el" Vivat erhielt! Die berühmten Brüder Grimm fühlten sich
dadurch schrecklich compromittirt und gaben in den Zeitungen unnöthi¬
ger Weife eine Erklärung, wie sie nur "ein Hase mit acht Füßen"
geben kann. Welch ein Winde" und Drehen, um die Harmlosigkeit
ihres Verhältnisses zu Hoffmann zu beweisen, um sich zu entschuldigen,
daß sie mit ihm, der als Kenner altdeutscher Literatur ihnen schätzbare
Dienste geleistet, dessen Tendenzen sie aber ja nicht theilten, daß sie
mit diesem fürchterlichen Hoffmann noch bekannt sind! Und wie zart
ist die Versicherung, er (Hoffmann) müsse selbst fühlen, wie viel Ver¬
druß er ihnen durch sein unerwartetes und ungelegenes Erscheinen ver¬
ursacht habe. Zum Schluß aber domuit die Doctrinc, das Beste von'
Allen,. Man solle doch nicht "an ihnen rütteln" (l), sie hielte" es für
leichtsinnig und unbesonnen, jeden Augenblick seine Gesinnung "preis-


i» Berlin und Halle haben in Leipzig ihre Nachahmung gefunden und
in Gießen ist vor Kurzem den Studirenden ebenfalls die Gründung
eines Lcscmuseums untersagt werden. Welch ein laues Mitglied des
deutschen Bundes die dänische Regierung ist, sieht man daraus, daß in
Kiel den Studirenden ihr revolutionäres Lesen, Versammeln und Ver^
einen ungeahndet hingeht. So ist man einig im Zerreißen und Aus-
einanderhalten. —

— Höchst sinnreich ist die Einrichtung der modernen, nach nord-
amerikanischen Muster gebauten Gefängnisse mit einsamer Absperrung.
Während nämlich die Gefangenen völlig isolirt und abgesperrt sind, so daß
sie selbst beim Spazierengehen einander weder sehen, noch höre», stehen
die Gefängnißanfsehcr und Büttel, durch gewisse Corridore und Gale¬
rien, fortwährend in der genauesten und unmittelbarsten Verbindung.
Jeder einzelne derselben kann nicht nur alle Verbrecher belauschen und
beobachten, ohne von ihnen gesehen und gehört zu werden, sondern
auch durch den leisesten Wink sich seinen Genossen mittheile». Da ist
Einheit und Einigkeit bei der größten Uneinigkeit. Freilich gibt es in
diesen Gefängnissen — keine Eisenbahnen.

— Sehr treffend zeichnet ein Korrespondent der „Deutschen All¬
gemeinen" daS NcqicrungSsvstcm eines großen deutsche» Staates. Erst,
sagt er, rufe ma» mit der Jdccnlarmtrommel die Menge auf den
Markt zusammen, dann suche man durch Püffe und Fahndungen sie
auseinanderzujagen. Man mag diese Politik unklug und unweise nen¬
nen: etwas romantisch Geniales, etwas humoristisch Kavalieres hat sie
jedenfalls.

— Hoffina»» v. Fallersleben wurde aus Berlin verwiesen, das
er auf kurze Zeit besuchte, weil er zu einem de» beide» Grimm ge¬
brachten Fackelzug kam, und von den Studenten — iionibilv clivtu!
— auch el» Vivat erhielt! Die berühmten Brüder Grimm fühlten sich
dadurch schrecklich compromittirt und gaben in den Zeitungen unnöthi¬
ger Weife eine Erklärung, wie sie nur „ein Hase mit acht Füßen"
geben kann. Welch ein Winde» und Drehen, um die Harmlosigkeit
ihres Verhältnisses zu Hoffmann zu beweisen, um sich zu entschuldigen,
daß sie mit ihm, der als Kenner altdeutscher Literatur ihnen schätzbare
Dienste geleistet, dessen Tendenzen sie aber ja nicht theilten, daß sie
mit diesem fürchterlichen Hoffmann noch bekannt sind! Und wie zart
ist die Versicherung, er (Hoffmann) müsse selbst fühlen, wie viel Ver¬
druß er ihnen durch sein unerwartetes und ungelegenes Erscheinen ver¬
ursacht habe. Zum Schluß aber domuit die Doctrinc, das Beste von'
Allen,. Man solle doch nicht „an ihnen rütteln" (l), sie hielte» es für
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[0396] i» Berlin und Halle haben in Leipzig ihre Nachahmung gefunden und in Gießen ist vor Kurzem den Studirenden ebenfalls die Gründung eines Lcscmuseums untersagt werden. Welch ein laues Mitglied des deutschen Bundes die dänische Regierung ist, sieht man daraus, daß in Kiel den Studirenden ihr revolutionäres Lesen, Versammeln und Ver^ einen ungeahndet hingeht. So ist man einig im Zerreißen und Aus- einanderhalten. — — Höchst sinnreich ist die Einrichtung der modernen, nach nord- amerikanischen Muster gebauten Gefängnisse mit einsamer Absperrung. Während nämlich die Gefangenen völlig isolirt und abgesperrt sind, so daß sie selbst beim Spazierengehen einander weder sehen, noch höre», stehen die Gefängnißanfsehcr und Büttel, durch gewisse Corridore und Gale¬ rien, fortwährend in der genauesten und unmittelbarsten Verbindung. Jeder einzelne derselben kann nicht nur alle Verbrecher belauschen und beobachten, ohne von ihnen gesehen und gehört zu werden, sondern auch durch den leisesten Wink sich seinen Genossen mittheile». Da ist Einheit und Einigkeit bei der größten Uneinigkeit. Freilich gibt es in diesen Gefängnissen — keine Eisenbahnen. — Sehr treffend zeichnet ein Korrespondent der „Deutschen All¬ gemeinen" daS NcqicrungSsvstcm eines großen deutsche» Staates. Erst, sagt er, rufe ma» mit der Jdccnlarmtrommel die Menge auf den Markt zusammen, dann suche man durch Püffe und Fahndungen sie auseinanderzujagen. Man mag diese Politik unklug und unweise nen¬ nen: etwas romantisch Geniales, etwas humoristisch Kavalieres hat sie jedenfalls. — Hoffina»» v. Fallersleben wurde aus Berlin verwiesen, das er auf kurze Zeit besuchte, weil er zu einem de» beide» Grimm ge¬ brachten Fackelzug kam, und von den Studenten — iionibilv clivtu! — auch el» Vivat erhielt! Die berühmten Brüder Grimm fühlten sich dadurch schrecklich compromittirt und gaben in den Zeitungen unnöthi¬ ger Weife eine Erklärung, wie sie nur „ein Hase mit acht Füßen" geben kann. Welch ein Winde» und Drehen, um die Harmlosigkeit ihres Verhältnisses zu Hoffmann zu beweisen, um sich zu entschuldigen, daß sie mit ihm, der als Kenner altdeutscher Literatur ihnen schätzbare Dienste geleistet, dessen Tendenzen sie aber ja nicht theilten, daß sie mit diesem fürchterlichen Hoffmann noch bekannt sind! Und wie zart ist die Versicherung, er (Hoffmann) müsse selbst fühlen, wie viel Ver¬ druß er ihnen durch sein unerwartetes und ungelegenes Erscheinen ver¬ ursacht habe. Zum Schluß aber domuit die Doctrinc, das Beste von' Allen,. Man solle doch nicht „an ihnen rütteln" (l), sie hielte» es für leichtsinnig und unbesonnen, jeden Augenblick seine Gesinnung „preis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/396>, abgerufen am 26.06.2024.