Haben wir in Winther einen genußsuchenden Lebemann kennen gelernt, so wenden wir uns jetzt einem poetischen Einsiedler zu. (5s dämmerte ein klarer, schöner Augustabend empor, als ich mit einem Freunde von Charlottenlund nach dem königlichen Thiergarten hin¬ schritt. Die Sonne sank eben zum Meere hinab, und ihre Strahlen ließen den Thau, der die Wiesenfläche bedeckte, wie Rubinen und Granaten schimmern. Weit umher lag die tiefste Stille ausgebreitet und über den dunklen Buchenwaldungen des Thiergartens stieg bereits der goldene Mond empor. Da begegnete uns ein kleiner Mann im dunkeln Ueberrocke. Mein Begleiter redete ihn an und stellte uns einander vor . . . es war Henrik Hertz. Sein Gesicht war bleich, aber voll, es hatte etwas Gedunsenes, Krankhaftes, und die Augen versteckten sich hinter einer schwarzen Hornbrille. Ani die schmalen Lippen schwankte ein nervös-satyrischer Zug; seine Sprache tönte klanglos, wie es bei Schwerhörigen oft der Fall ist, und Hertz hört nicht gut. Aus der persönlichen Erscheinung des Dichters lernt man sein Schriftstellerleben begreifen, und man muß mit seiner Biographie vertraut sein, um die Persönlichkeit nicht mißzuverstehen -- sie com- mentiren sich gegenseitig.
Hertz ist am 25. August 1798 in Kopenhagen geboren. Seine Elrern waren Juden und erzogen den Sohn in ihrer Religion. Er studirte Jura, gab aber daneben, ohne seinen Namen zu nennen, seit 1826 mehrere Lustspiele heraus. Dieselben zeigten vom Studium Holberg's und von dramatischem Geschick, machten jedoch keinen be¬ sonderen Eindruck. Da erschienen im Jahre 1830 "Geisterbriefe, oder poetische Episteln aus dem Paradies" und brachten eine große Auf¬ regung in die dänischen Literaturintcressen. Sturmglocken schallten; auf allen Bergen loderten Feuerzeichen; die sichere Ruhe war gestört. Baggesen'S ganze Eigenthümlichkeit wurde im Ton der poetischen Briefe treu wiedergegeben, doch das Buch glich jenen Diaphanbil- dern, die sich verwandeln, sobald man sie gegen das Licht hält. Sah man es nämlich genauer an, so bemerkte man, daß hinter der zier- lichen Rococo-Maske ein moderner Genius, eine kräftige Individua¬ lität stecken müsse. Die Episteln berührten alle tiefsten Eleusinien der Literatur und stöberten jeden Schlupfwinkel auf, allein ein trefflicher Humor milderte das Grelle und wußte selbst das Gemäuer der Klo¬ aken mit grünen Ranken zu umspinnen. Alles Andere war hierüber
Haben wir in Winther einen genußsuchenden Lebemann kennen gelernt, so wenden wir uns jetzt einem poetischen Einsiedler zu. (5s dämmerte ein klarer, schöner Augustabend empor, als ich mit einem Freunde von Charlottenlund nach dem königlichen Thiergarten hin¬ schritt. Die Sonne sank eben zum Meere hinab, und ihre Strahlen ließen den Thau, der die Wiesenfläche bedeckte, wie Rubinen und Granaten schimmern. Weit umher lag die tiefste Stille ausgebreitet und über den dunklen Buchenwaldungen des Thiergartens stieg bereits der goldene Mond empor. Da begegnete uns ein kleiner Mann im dunkeln Ueberrocke. Mein Begleiter redete ihn an und stellte uns einander vor . . . es war Henrik Hertz. Sein Gesicht war bleich, aber voll, es hatte etwas Gedunsenes, Krankhaftes, und die Augen versteckten sich hinter einer schwarzen Hornbrille. Ani die schmalen Lippen schwankte ein nervös-satyrischer Zug; seine Sprache tönte klanglos, wie es bei Schwerhörigen oft der Fall ist, und Hertz hört nicht gut. Aus der persönlichen Erscheinung des Dichters lernt man sein Schriftstellerleben begreifen, und man muß mit seiner Biographie vertraut sein, um die Persönlichkeit nicht mißzuverstehen — sie com- mentiren sich gegenseitig.
Hertz ist am 25. August 1798 in Kopenhagen geboren. Seine Elrern waren Juden und erzogen den Sohn in ihrer Religion. Er studirte Jura, gab aber daneben, ohne seinen Namen zu nennen, seit 1826 mehrere Lustspiele heraus. Dieselben zeigten vom Studium Holberg's und von dramatischem Geschick, machten jedoch keinen be¬ sonderen Eindruck. Da erschienen im Jahre 1830 „Geisterbriefe, oder poetische Episteln aus dem Paradies" und brachten eine große Auf¬ regung in die dänischen Literaturintcressen. Sturmglocken schallten; auf allen Bergen loderten Feuerzeichen; die sichere Ruhe war gestört. Baggesen'S ganze Eigenthümlichkeit wurde im Ton der poetischen Briefe treu wiedergegeben, doch das Buch glich jenen Diaphanbil- dern, die sich verwandeln, sobald man sie gegen das Licht hält. Sah man es nämlich genauer an, so bemerkte man, daß hinter der zier- lichen Rococo-Maske ein moderner Genius, eine kräftige Individua¬ lität stecken müsse. Die Episteln berührten alle tiefsten Eleusinien der Literatur und stöberten jeden Schlupfwinkel auf, allein ein trefflicher Humor milderte das Grelle und wußte selbst das Gemäuer der Klo¬ aken mit grünen Ranken zu umspinnen. Alles Andere war hierüber
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Haben wir in Winther einen genußsuchenden Lebemann kennen
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Freunde von Charlottenlund nach dem königlichen Thiergarten hin¬
schritt. Die Sonne sank eben zum Meere hinab, und ihre Strahlen
ließen den Thau, der die Wiesenfläche bedeckte, wie Rubinen und
Granaten schimmern. Weit umher lag die tiefste Stille ausgebreitet
und über den dunklen Buchenwaldungen des Thiergartens stieg bereits
der goldene Mond empor. Da begegnete uns ein kleiner Mann im
dunkeln Ueberrocke. Mein Begleiter redete ihn an und stellte uns
einander vor . . . es war Henrik Hertz. Sein Gesicht war bleich,
aber voll, es hatte etwas Gedunsenes, Krankhaftes, und die Augen
versteckten sich hinter einer schwarzen Hornbrille. Ani die schmalen
Lippen schwankte ein nervös-satyrischer Zug; seine Sprache tönte
klanglos, wie es bei Schwerhörigen oft der Fall ist, und Hertz hört
nicht gut. Aus der persönlichen Erscheinung des Dichters lernt man
sein Schriftstellerleben begreifen, und man muß mit seiner Biographie
vertraut sein, um die Persönlichkeit nicht mißzuverstehen — sie com-
mentiren sich gegenseitig.
Hertz ist am 25. August 1798 in Kopenhagen geboren. Seine
Elrern waren Juden und erzogen den Sohn in ihrer Religion. Er
studirte Jura, gab aber daneben, ohne seinen Namen zu nennen, seit
1826 mehrere Lustspiele heraus. Dieselben zeigten vom Studium
Holberg's und von dramatischem Geschick, machten jedoch keinen be¬
sonderen Eindruck. Da erschienen im Jahre 1830 „Geisterbriefe, oder
poetische Episteln aus dem Paradies" und brachten eine große Auf¬
regung in die dänischen Literaturintcressen. Sturmglocken schallten;
auf allen Bergen loderten Feuerzeichen; die sichere Ruhe war gestört.
Baggesen'S ganze Eigenthümlichkeit wurde im Ton der poetischen
Briefe treu wiedergegeben, doch das Buch glich jenen Diaphanbil-
dern, die sich verwandeln, sobald man sie gegen das Licht hält. Sah
man es nämlich genauer an, so bemerkte man, daß hinter der zier-
lichen Rococo-Maske ein moderner Genius, eine kräftige Individua¬
lität stecken müsse. Die Episteln berührten alle tiefsten Eleusinien der
Literatur und stöberten jeden Schlupfwinkel auf, allein ein trefflicher
Humor milderte das Grelle und wußte selbst das Gemäuer der Klo¬
aken mit grünen Ranken zu umspinnen. Alles Andere war hierüber
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/372>, abgerufen am 22.12.2024.
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