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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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der "Judith" zum Stoffe hatte. Aber kaum war er wieder am hei¬
mischen Strand, da tauchte eine zürnende Gestalt aus der Meerfluty
herauf und rief ihm zu:


Laß ab, Verwegner! o fühlst Du es nicht.
Daß mehr als den fremden Zungen
Stehst Du den Tönen in heiliger Pflicht,
Die an Deiner Wiege geklungen!

Da ließ ich den Kranz, wonach ich gezielt,
Dem eitlen Herzen zu fröhnen --
Ein Freund hat das Lied mir nachgespielt
In vaterländischen Tönen.

Dieser Freund ist H. P. Holst. Mit einer dänischen Ueberhebung
von ihm erschien die "Judith" 1837 als Fragment, und Fragment
blieb sie auch. Darum läßt sich nichts Abschließendes über das
Gedicht sagen; man findet jedoch einzelne poetische Schönheiten darin
und muß bekennen, daß Winther die deutsche Sprache für einen Aus¬
länder mit vieler Gewandtheit zu behandeln weiß. Namentlich wo
es einen sinnlichen Zauber gilt, gerathen ihm die Bilder sehr gut,
und eS blüht wirklich ein gewisser orientalischer Farbenreiz aus dem
Liede hervor.

Winther ist ein Mann mit angenehmen Zügen und einem wei¬
chen schwärmerischen Blick; sein Embonpoint steht ihm nicht übel. Er
liebt immer und sühlt sich dabei immer unglücklich. Denn ehe er
erhört wird, reibt ihn die heiße Sehnsucht beinahe auf, und wenn
ihn Amor mit dem Rosenkranz des Sieges krönt, dann fühlt er sich
so enttäuscht, so öde, daß er nur noch Klagen und Schmerzen kennt.
Dieser Zustand dauert fort, bis er sich von Neuem verliebt. Obgleich
sieben und vierzig Jahre alt, hat er doch viel Glück in der Liebe,
und darum kommt er aus dem Unglück gar nicht heraus.

Als der Kronprinz von Dänemark sich im Frühjahre 1841 ver¬
mählte, wollte seine junge Gemahlin den Versuch machen, die Sprache
ihres neuen Vaterlandes zu erlernen, und Winther wurde die an-
genehme, ehrenvolle Stellung, ihr Lehrmeister zu sein. Zwar hörte
der Unterricht bereits nach einem Jahre wieder auf, allein Winther
behielt den Professortitel und ein lebenslängliches Jahrgehalt von tau¬
send Thalern.


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der „Judith" zum Stoffe hatte. Aber kaum war er wieder am hei¬
mischen Strand, da tauchte eine zürnende Gestalt aus der Meerfluty
herauf und rief ihm zu:


Laß ab, Verwegner! o fühlst Du es nicht.
Daß mehr als den fremden Zungen
Stehst Du den Tönen in heiliger Pflicht,
Die an Deiner Wiege geklungen!

Da ließ ich den Kranz, wonach ich gezielt,
Dem eitlen Herzen zu fröhnen —
Ein Freund hat das Lied mir nachgespielt
In vaterländischen Tönen.

Dieser Freund ist H. P. Holst. Mit einer dänischen Ueberhebung
von ihm erschien die „Judith" 1837 als Fragment, und Fragment
blieb sie auch. Darum läßt sich nichts Abschließendes über das
Gedicht sagen; man findet jedoch einzelne poetische Schönheiten darin
und muß bekennen, daß Winther die deutsche Sprache für einen Aus¬
länder mit vieler Gewandtheit zu behandeln weiß. Namentlich wo
es einen sinnlichen Zauber gilt, gerathen ihm die Bilder sehr gut,
und eS blüht wirklich ein gewisser orientalischer Farbenreiz aus dem
Liede hervor.

Winther ist ein Mann mit angenehmen Zügen und einem wei¬
chen schwärmerischen Blick; sein Embonpoint steht ihm nicht übel. Er
liebt immer und sühlt sich dabei immer unglücklich. Denn ehe er
erhört wird, reibt ihn die heiße Sehnsucht beinahe auf, und wenn
ihn Amor mit dem Rosenkranz des Sieges krönt, dann fühlt er sich
so enttäuscht, so öde, daß er nur noch Klagen und Schmerzen kennt.
Dieser Zustand dauert fort, bis er sich von Neuem verliebt. Obgleich
sieben und vierzig Jahre alt, hat er doch viel Glück in der Liebe,
und darum kommt er aus dem Unglück gar nicht heraus.

Als der Kronprinz von Dänemark sich im Frühjahre 1841 ver¬
mählte, wollte seine junge Gemahlin den Versuch machen, die Sprache
ihres neuen Vaterlandes zu erlernen, und Winther wurde die an-
genehme, ehrenvolle Stellung, ihr Lehrmeister zu sein. Zwar hörte
der Unterricht bereits nach einem Jahre wieder auf, allein Winther
behielt den Professortitel und ein lebenslängliches Jahrgehalt von tau¬
send Thalern.


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[0371] der „Judith" zum Stoffe hatte. Aber kaum war er wieder am hei¬ mischen Strand, da tauchte eine zürnende Gestalt aus der Meerfluty herauf und rief ihm zu: Laß ab, Verwegner! o fühlst Du es nicht. Daß mehr als den fremden Zungen Stehst Du den Tönen in heiliger Pflicht, Die an Deiner Wiege geklungen! Da ließ ich den Kranz, wonach ich gezielt, Dem eitlen Herzen zu fröhnen — Ein Freund hat das Lied mir nachgespielt In vaterländischen Tönen. Dieser Freund ist H. P. Holst. Mit einer dänischen Ueberhebung von ihm erschien die „Judith" 1837 als Fragment, und Fragment blieb sie auch. Darum läßt sich nichts Abschließendes über das Gedicht sagen; man findet jedoch einzelne poetische Schönheiten darin und muß bekennen, daß Winther die deutsche Sprache für einen Aus¬ länder mit vieler Gewandtheit zu behandeln weiß. Namentlich wo es einen sinnlichen Zauber gilt, gerathen ihm die Bilder sehr gut, und eS blüht wirklich ein gewisser orientalischer Farbenreiz aus dem Liede hervor. Winther ist ein Mann mit angenehmen Zügen und einem wei¬ chen schwärmerischen Blick; sein Embonpoint steht ihm nicht übel. Er liebt immer und sühlt sich dabei immer unglücklich. Denn ehe er erhört wird, reibt ihn die heiße Sehnsucht beinahe auf, und wenn ihn Amor mit dem Rosenkranz des Sieges krönt, dann fühlt er sich so enttäuscht, so öde, daß er nur noch Klagen und Schmerzen kennt. Dieser Zustand dauert fort, bis er sich von Neuem verliebt. Obgleich sieben und vierzig Jahre alt, hat er doch viel Glück in der Liebe, und darum kommt er aus dem Unglück gar nicht heraus. Als der Kronprinz von Dänemark sich im Frühjahre 1841 ver¬ mählte, wollte seine junge Gemahlin den Versuch machen, die Sprache ihres neuen Vaterlandes zu erlernen, und Winther wurde die an- genehme, ehrenvolle Stellung, ihr Lehrmeister zu sein. Zwar hörte der Unterricht bereits nach einem Jahre wieder auf, allein Winther behielt den Professortitel und ein lebenslängliches Jahrgehalt von tau¬ send Thalern. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/371>, abgerufen am 26.06.2024.