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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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immer tiefere Wurzel in der Nationalität. Sie sind jetzt der dänische
Kuhreigen geworden. Wohl eilt der Däne gern zum Süden hin,
doch wenn er draußen, weit draußen in Italien ein Winthcr'sches
Lied vernimmt, dann denkt er an die grünen Buchenwälder und an
die blauen Mädchenaugen seines Vaterlandes und er kann weinen
vor Heimweh.

Zwar folgte nun bald eine Ausgabe dieser Lieder der anderen,
doch trugen sie dem Dichter wenig goldene Früchte ein, und er litt
beinahe Mangel. So war er im Jahre 1829 eines Tages allsge¬
gangen, um eine kleine Anleihe zu machen, und als er nach Hause
kam, fand er ein Schreiben mit stattlichem Gerichtssiegel auf seinem
Tisch. -- Winther hatte 25,000 dänische Thaler geerbt. Unverzüglich
reiste er nach Italien ab, wohin ihn seine Sehnsucht seit lange schon
gezogen hatte. sparen und Rechnen ist jedoch nicht Sache deS Ge¬
nies, und als Winther ein Jahr später nach Kopenhagen zurückkehrte,
war sein Kapital auf weniger als die Hälfte zusammengeschmolzen.
Auch der Rest schwand bald in alle Winde, und statt der Dukaten
strömten ihm neue Lieder zu. Er gab neue Poesien heraus und
wenn diese einen minder großen Eindruck machten, so liegt der Grund
wohl darin, daß die Holzschnitte ganz primitiv waren, während sich
in die späteren Gedichte erkünstelte Sentimentalität und wüste Roman¬
tik nachtheilig einmischen.

Winther war einmal nahe daran, Renegat zu werden und sich
der deutschen Poesie zuzuwenden. Als er nach Italien ging, ver¬
weilte er nämlich längere Zeit am Rhein und dort klangen ihm un¬
sere Volksweisen so voll und warm in die Seele, daß er noch im
römischen Lande ihre bald heiteren, bald wehmüthigen Klänge vernahm.


Es schwebten leicht im blühenden Hain
Der Lorbeern und Cypressen
Die kleinen Lieder von Lieb' und Wein,
Von Erinnern und Vergessen.

Spitzohrige Faune guckten hervor
Aus dunklen Hecken und Lauben;
Es sammelte sich der Nymphen Chor
Mit Tamburinen und Trauben.

Ein poetischer Drang, ein Gelüsten nach deutschem Ruhm er¬
griff ihn, und er begann ein lyrisch-episches Gedicht, das die Historie


immer tiefere Wurzel in der Nationalität. Sie sind jetzt der dänische
Kuhreigen geworden. Wohl eilt der Däne gern zum Süden hin,
doch wenn er draußen, weit draußen in Italien ein Winthcr'sches
Lied vernimmt, dann denkt er an die grünen Buchenwälder und an
die blauen Mädchenaugen seines Vaterlandes und er kann weinen
vor Heimweh.

Zwar folgte nun bald eine Ausgabe dieser Lieder der anderen,
doch trugen sie dem Dichter wenig goldene Früchte ein, und er litt
beinahe Mangel. So war er im Jahre 1829 eines Tages allsge¬
gangen, um eine kleine Anleihe zu machen, und als er nach Hause
kam, fand er ein Schreiben mit stattlichem Gerichtssiegel auf seinem
Tisch. — Winther hatte 25,000 dänische Thaler geerbt. Unverzüglich
reiste er nach Italien ab, wohin ihn seine Sehnsucht seit lange schon
gezogen hatte. sparen und Rechnen ist jedoch nicht Sache deS Ge¬
nies, und als Winther ein Jahr später nach Kopenhagen zurückkehrte,
war sein Kapital auf weniger als die Hälfte zusammengeschmolzen.
Auch der Rest schwand bald in alle Winde, und statt der Dukaten
strömten ihm neue Lieder zu. Er gab neue Poesien heraus und
wenn diese einen minder großen Eindruck machten, so liegt der Grund
wohl darin, daß die Holzschnitte ganz primitiv waren, während sich
in die späteren Gedichte erkünstelte Sentimentalität und wüste Roman¬
tik nachtheilig einmischen.

Winther war einmal nahe daran, Renegat zu werden und sich
der deutschen Poesie zuzuwenden. Als er nach Italien ging, ver¬
weilte er nämlich längere Zeit am Rhein und dort klangen ihm un¬
sere Volksweisen so voll und warm in die Seele, daß er noch im
römischen Lande ihre bald heiteren, bald wehmüthigen Klänge vernahm.


Es schwebten leicht im blühenden Hain
Der Lorbeern und Cypressen
Die kleinen Lieder von Lieb' und Wein,
Von Erinnern und Vergessen.

Spitzohrige Faune guckten hervor
Aus dunklen Hecken und Lauben;
Es sammelte sich der Nymphen Chor
Mit Tamburinen und Trauben.

Ein poetischer Drang, ein Gelüsten nach deutschem Ruhm er¬
griff ihn, und er begann ein lyrisch-episches Gedicht, das die Historie


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[0370] immer tiefere Wurzel in der Nationalität. Sie sind jetzt der dänische Kuhreigen geworden. Wohl eilt der Däne gern zum Süden hin, doch wenn er draußen, weit draußen in Italien ein Winthcr'sches Lied vernimmt, dann denkt er an die grünen Buchenwälder und an die blauen Mädchenaugen seines Vaterlandes und er kann weinen vor Heimweh. Zwar folgte nun bald eine Ausgabe dieser Lieder der anderen, doch trugen sie dem Dichter wenig goldene Früchte ein, und er litt beinahe Mangel. So war er im Jahre 1829 eines Tages allsge¬ gangen, um eine kleine Anleihe zu machen, und als er nach Hause kam, fand er ein Schreiben mit stattlichem Gerichtssiegel auf seinem Tisch. — Winther hatte 25,000 dänische Thaler geerbt. Unverzüglich reiste er nach Italien ab, wohin ihn seine Sehnsucht seit lange schon gezogen hatte. sparen und Rechnen ist jedoch nicht Sache deS Ge¬ nies, und als Winther ein Jahr später nach Kopenhagen zurückkehrte, war sein Kapital auf weniger als die Hälfte zusammengeschmolzen. Auch der Rest schwand bald in alle Winde, und statt der Dukaten strömten ihm neue Lieder zu. Er gab neue Poesien heraus und wenn diese einen minder großen Eindruck machten, so liegt der Grund wohl darin, daß die Holzschnitte ganz primitiv waren, während sich in die späteren Gedichte erkünstelte Sentimentalität und wüste Roman¬ tik nachtheilig einmischen. Winther war einmal nahe daran, Renegat zu werden und sich der deutschen Poesie zuzuwenden. Als er nach Italien ging, ver¬ weilte er nämlich längere Zeit am Rhein und dort klangen ihm un¬ sere Volksweisen so voll und warm in die Seele, daß er noch im römischen Lande ihre bald heiteren, bald wehmüthigen Klänge vernahm. Es schwebten leicht im blühenden Hain Der Lorbeern und Cypressen Die kleinen Lieder von Lieb' und Wein, Von Erinnern und Vergessen. Spitzohrige Faune guckten hervor Aus dunklen Hecken und Lauben; Es sammelte sich der Nymphen Chor Mit Tamburinen und Trauben. Ein poetischer Drang, ein Gelüsten nach deutschem Ruhm er¬ griff ihn, und er begann ein lyrisch-episches Gedicht, das die Historie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/370>, abgerufen am 26.06.2024.