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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Die dänische Poesie der Gegenwart
Von Eduard Boas.



it.

Die jüngere Dichterschule. --ChristianWinther. -- Henrik Hertz. -- Andersen.--
Paludan Müller und Holst. -- Karl Bernhard. --Ein Hegelianer. --Rückblick.

Wir haben jetzt mit einer neueren, jüngeren Dichterschule zu
thun^ und da muß denn, nächst Heiberg, Christian Winther ge¬
nannt werden, der am 29. Juli 1796 zu Fensmark geboren ist. --
In Kopenhagen liegt ein großes, etwas antiquirtes Gebäude, "die
Negenz" genauen, das für hundert Studirende freie Wohnungen ent¬
hält. Eine ungemeine Sauberkeit sieht man über die ganze Anstalt
verbreitet; hinter großen spicgelklaren Fensterscheiben schimmern recht
freundliche Zimmer, rothwangige Musensöhne schauen heraus und
blasen den Rauch ihrer langen Pfeifen durch die Luft. Die Regcnz
bildet ein Viereck, im Innern einen geräumigen Hof umschließend,
und mitten auf dem letztern steht ein uralter Lindenbaum, unter des¬
sen breitem Wipfel die lustigen Commerce gehalten werden.

In diesem Hause wohnte vormals auch Winther, als ehrsamer
Candidatus Theologiae, obgleich er weder Lust noch Anlage zur Got-
tesgelahrtheit in sich verspürte. Reisen, dichten, lieben und träu¬
men wollte er, dazu hatte ihn die Natur geschaffen, aber sein Vater,
der Bischof auf der Insel Laaland war, wollte durchaus einen Prie¬
ster aus ihm machen. Winther lebte sich zurück in eine frühere, kind¬
lich poetische Zeit; er sang, was die Erinnerung ihm in's Herz flü¬
sterte und so entstanden seine"Traesnit -- Holzschnitte", eine Samm¬
lung reiner, nationaler Gesänge. Keiner hat gleich ihm den wun¬
derbaren Ton der Volkslieder wieder getroffen, und seine Gedichte,
die anfangs nicht genügend beachtet wurden, schlugen nach und nach


Wr-nzbotrn >.
Die dänische Poesie der Gegenwart
Von Eduard Boas.



it.

Die jüngere Dichterschule. —ChristianWinther. — Henrik Hertz. — Andersen.—
Paludan Müller und Holst. — Karl Bernhard. —Ein Hegelianer. —Rückblick.

Wir haben jetzt mit einer neueren, jüngeren Dichterschule zu
thun^ und da muß denn, nächst Heiberg, Christian Winther ge¬
nannt werden, der am 29. Juli 1796 zu Fensmark geboren ist. —
In Kopenhagen liegt ein großes, etwas antiquirtes Gebäude, „die
Negenz" genauen, das für hundert Studirende freie Wohnungen ent¬
hält. Eine ungemeine Sauberkeit sieht man über die ganze Anstalt
verbreitet; hinter großen spicgelklaren Fensterscheiben schimmern recht
freundliche Zimmer, rothwangige Musensöhne schauen heraus und
blasen den Rauch ihrer langen Pfeifen durch die Luft. Die Regcnz
bildet ein Viereck, im Innern einen geräumigen Hof umschließend,
und mitten auf dem letztern steht ein uralter Lindenbaum, unter des¬
sen breitem Wipfel die lustigen Commerce gehalten werden.

In diesem Hause wohnte vormals auch Winther, als ehrsamer
Candidatus Theologiae, obgleich er weder Lust noch Anlage zur Got-
tesgelahrtheit in sich verspürte. Reisen, dichten, lieben und träu¬
men wollte er, dazu hatte ihn die Natur geschaffen, aber sein Vater,
der Bischof auf der Insel Laaland war, wollte durchaus einen Prie¬
ster aus ihm machen. Winther lebte sich zurück in eine frühere, kind¬
lich poetische Zeit; er sang, was die Erinnerung ihm in's Herz flü¬
sterte und so entstanden seine„Traesnit — Holzschnitte", eine Samm¬
lung reiner, nationaler Gesänge. Keiner hat gleich ihm den wun¬
derbaren Ton der Volkslieder wieder getroffen, und seine Gedichte,
die anfangs nicht genügend beachtet wurden, schlugen nach und nach


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[0369] Die dänische Poesie der Gegenwart Von Eduard Boas. it. Die jüngere Dichterschule. —ChristianWinther. — Henrik Hertz. — Andersen.— Paludan Müller und Holst. — Karl Bernhard. —Ein Hegelianer. —Rückblick. Wir haben jetzt mit einer neueren, jüngeren Dichterschule zu thun^ und da muß denn, nächst Heiberg, Christian Winther ge¬ nannt werden, der am 29. Juli 1796 zu Fensmark geboren ist. — In Kopenhagen liegt ein großes, etwas antiquirtes Gebäude, „die Negenz" genauen, das für hundert Studirende freie Wohnungen ent¬ hält. Eine ungemeine Sauberkeit sieht man über die ganze Anstalt verbreitet; hinter großen spicgelklaren Fensterscheiben schimmern recht freundliche Zimmer, rothwangige Musensöhne schauen heraus und blasen den Rauch ihrer langen Pfeifen durch die Luft. Die Regcnz bildet ein Viereck, im Innern einen geräumigen Hof umschließend, und mitten auf dem letztern steht ein uralter Lindenbaum, unter des¬ sen breitem Wipfel die lustigen Commerce gehalten werden. In diesem Hause wohnte vormals auch Winther, als ehrsamer Candidatus Theologiae, obgleich er weder Lust noch Anlage zur Got- tesgelahrtheit in sich verspürte. Reisen, dichten, lieben und träu¬ men wollte er, dazu hatte ihn die Natur geschaffen, aber sein Vater, der Bischof auf der Insel Laaland war, wollte durchaus einen Prie¬ ster aus ihm machen. Winther lebte sich zurück in eine frühere, kind¬ lich poetische Zeit; er sang, was die Erinnerung ihm in's Herz flü¬ sterte und so entstanden seine„Traesnit — Holzschnitte", eine Samm¬ lung reiner, nationaler Gesänge. Keiner hat gleich ihm den wun¬ derbaren Ton der Volkslieder wieder getroffen, und seine Gedichte, die anfangs nicht genügend beachtet wurden, schlugen nach und nach Wr-nzbotrn >.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/369>, abgerufen am 26.06.2024.