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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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-- Pastor Mcinhold in Usedom ist ein wahrer Hexenmeister.
Mcinhold hat fromme Dichtungen geschrieben, die kein Gluck machten.
Wie wird man berühmt? fragt er sich. Er gibt eine "wahre" Hcx-n-
geschichte heraus, die sogenannte Schwcidler'sche Chronik; ein Lecker¬
bissen für eine gewisse Sorte von Romantikern, die in den krankhaf¬
ten Ausartungen des Mittelalters eine Medizin gegen den modernen
Unglauben suchen. Die Geschichte ist aber zu novellistisch reizend, >um
Chronik zu sein, sagt die literarische Kritik, und die Historiker sind
schon im Begriffe, die Mystifikation aufzudecken, da tritt Mcinhold ge¬
schwind auf, erklärt die Geschichte für reine Dichtung ohne Wahrheit
und triumphirt, daß er die ganze Welt mystificirt habe -- was nicht
wahr ist. Das ist aber nicht genug. Nicht eine unschuldige Mysti¬
fikation, wie die Chattcrton's und Macpherson's, will Meinhold be¬
gangen haben, nein, er will sie gethan haben, um die Echtheit des
Evangeliums zu beweisen! Weil im neunzehnten Jahrhundert sich die
Welt (angeblich) mystifieiren lassen, sei es unmöglich gewesen, sie im
zweiten oder dritten Jahrhundert zu mystifieiren! So erklärt er in ei¬
nem Schreiben an die A. A. Z>, das voll von jener süßlich widerli¬
chen, pfäffischen Hoffart und Frömmigkeit ist, die in aller Demuth
mit dem Christenthum romantische Kunststückchen machen möchte. Jetzt
kommt auch ein Brief an den Tag, in welchem der listige Pfarrer den
David Strauß zu einer historischen Kritik seines Buches verlocken
wollte. Aber Strauß ließ sich nicht auf das Glatteis führen. Genug,
über die sonst so reizende Hercngcschichte hat sich jetzt ein übler Geruch ver¬
breitet. Wir denken übrigens, Laube hat Recht, wenn er behauptet,
die Geschichte könne nicht baare Erfindung sein, und es müsse ihr
irgend etwas Historisches zu Grunde liegen; doch scheu wir nicht ein,
von welcher Bedeutung dies für Laube's dramatische Bearbeitung der
Bernstcinhexe sein soll. ES wird immer nur darauf ankommen, mit
welcher Freiheit und wie der Dichter den Stoff behandelt hat.

-- Von Lenau haben wir nächstens einen Band neuer Gedichte
zu erwarten, der wieder viel Ausgezeichnetes enthalten soll. Darunter
ist auch der Cyclus "Ziska", aus welchem diezwei schönen Gedichte: Zis-
ka'S Blindheit und Ziska unter der Eiche bei Trocznow bereits' bekannt
sind.

- Anastasius Grün's "Schutt" hat die sechste Auflage, sein "letz
der Ritter" die dritte Auflage erlebt.

-- Gutzkow hat in Leipzig der Aufführung seine" "Zopf und
Schwert,, beigewohnt und wurde lebhaft gerufen.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

— Pastor Mcinhold in Usedom ist ein wahrer Hexenmeister.
Mcinhold hat fromme Dichtungen geschrieben, die kein Gluck machten.
Wie wird man berühmt? fragt er sich. Er gibt eine „wahre" Hcx-n-
geschichte heraus, die sogenannte Schwcidler'sche Chronik; ein Lecker¬
bissen für eine gewisse Sorte von Romantikern, die in den krankhaf¬
ten Ausartungen des Mittelalters eine Medizin gegen den modernen
Unglauben suchen. Die Geschichte ist aber zu novellistisch reizend, >um
Chronik zu sein, sagt die literarische Kritik, und die Historiker sind
schon im Begriffe, die Mystifikation aufzudecken, da tritt Mcinhold ge¬
schwind auf, erklärt die Geschichte für reine Dichtung ohne Wahrheit
und triumphirt, daß er die ganze Welt mystificirt habe — was nicht
wahr ist. Das ist aber nicht genug. Nicht eine unschuldige Mysti¬
fikation, wie die Chattcrton's und Macpherson's, will Meinhold be¬
gangen haben, nein, er will sie gethan haben, um die Echtheit des
Evangeliums zu beweisen! Weil im neunzehnten Jahrhundert sich die
Welt (angeblich) mystifieiren lassen, sei es unmöglich gewesen, sie im
zweiten oder dritten Jahrhundert zu mystifieiren! So erklärt er in ei¬
nem Schreiben an die A. A. Z>, das voll von jener süßlich widerli¬
chen, pfäffischen Hoffart und Frömmigkeit ist, die in aller Demuth
mit dem Christenthum romantische Kunststückchen machen möchte. Jetzt
kommt auch ein Brief an den Tag, in welchem der listige Pfarrer den
David Strauß zu einer historischen Kritik seines Buches verlocken
wollte. Aber Strauß ließ sich nicht auf das Glatteis führen. Genug,
über die sonst so reizende Hercngcschichte hat sich jetzt ein übler Geruch ver¬
breitet. Wir denken übrigens, Laube hat Recht, wenn er behauptet,
die Geschichte könne nicht baare Erfindung sein, und es müsse ihr
irgend etwas Historisches zu Grunde liegen; doch scheu wir nicht ein,
von welcher Bedeutung dies für Laube's dramatische Bearbeitung der
Bernstcinhexe sein soll. ES wird immer nur darauf ankommen, mit
welcher Freiheit und wie der Dichter den Stoff behandelt hat.

— Von Lenau haben wir nächstens einen Band neuer Gedichte
zu erwarten, der wieder viel Ausgezeichnetes enthalten soll. Darunter
ist auch der Cyclus „Ziska", aus welchem diezwei schönen Gedichte: Zis-
ka'S Blindheit und Ziska unter der Eiche bei Trocznow bereits' bekannt
sind.

- Anastasius Grün's „Schutt" hat die sechste Auflage, sein „letz
der Ritter" die dritte Auflage erlebt.

— Gutzkow hat in Leipzig der Aufführung seine» „Zopf und
Schwert,, beigewohnt und wurde lebhaft gerufen.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0368] — Pastor Mcinhold in Usedom ist ein wahrer Hexenmeister. Mcinhold hat fromme Dichtungen geschrieben, die kein Gluck machten. Wie wird man berühmt? fragt er sich. Er gibt eine „wahre" Hcx-n- geschichte heraus, die sogenannte Schwcidler'sche Chronik; ein Lecker¬ bissen für eine gewisse Sorte von Romantikern, die in den krankhaf¬ ten Ausartungen des Mittelalters eine Medizin gegen den modernen Unglauben suchen. Die Geschichte ist aber zu novellistisch reizend, >um Chronik zu sein, sagt die literarische Kritik, und die Historiker sind schon im Begriffe, die Mystifikation aufzudecken, da tritt Mcinhold ge¬ schwind auf, erklärt die Geschichte für reine Dichtung ohne Wahrheit und triumphirt, daß er die ganze Welt mystificirt habe — was nicht wahr ist. Das ist aber nicht genug. Nicht eine unschuldige Mysti¬ fikation, wie die Chattcrton's und Macpherson's, will Meinhold be¬ gangen haben, nein, er will sie gethan haben, um die Echtheit des Evangeliums zu beweisen! Weil im neunzehnten Jahrhundert sich die Welt (angeblich) mystifieiren lassen, sei es unmöglich gewesen, sie im zweiten oder dritten Jahrhundert zu mystifieiren! So erklärt er in ei¬ nem Schreiben an die A. A. Z>, das voll von jener süßlich widerli¬ chen, pfäffischen Hoffart und Frömmigkeit ist, die in aller Demuth mit dem Christenthum romantische Kunststückchen machen möchte. Jetzt kommt auch ein Brief an den Tag, in welchem der listige Pfarrer den David Strauß zu einer historischen Kritik seines Buches verlocken wollte. Aber Strauß ließ sich nicht auf das Glatteis führen. Genug, über die sonst so reizende Hercngcschichte hat sich jetzt ein übler Geruch ver¬ breitet. Wir denken übrigens, Laube hat Recht, wenn er behauptet, die Geschichte könne nicht baare Erfindung sein, und es müsse ihr irgend etwas Historisches zu Grunde liegen; doch scheu wir nicht ein, von welcher Bedeutung dies für Laube's dramatische Bearbeitung der Bernstcinhexe sein soll. ES wird immer nur darauf ankommen, mit welcher Freiheit und wie der Dichter den Stoff behandelt hat. — Von Lenau haben wir nächstens einen Band neuer Gedichte zu erwarten, der wieder viel Ausgezeichnetes enthalten soll. Darunter ist auch der Cyclus „Ziska", aus welchem diezwei schönen Gedichte: Zis- ka'S Blindheit und Ziska unter der Eiche bei Trocznow bereits' bekannt sind. - Anastasius Grün's „Schutt" hat die sechste Auflage, sein „letz der Ritter" die dritte Auflage erlebt. — Gutzkow hat in Leipzig der Aufführung seine» „Zopf und Schwert,, beigewohnt und wurde lebhaft gerufen. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/368>, abgerufen am 26.06.2024.