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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ohne Erfolg, in Galizien versucht. In Preuße" gelang die List und
eine Folge daven war die traurige Maßregel gegen die polnischen
Emigranten in Posen. Jetzt endlich, um gleichsam das Geschehene
nur auszusprechen, krächzen die Naben schon wieder, bald von einem
Handelsvertrag, bald von einer Allianz zwischen Preußen und Ru߬
land. Letzterem ist allerdings an einer "Emancipation^ vom Einfluß
des Westens gelegen, an einer Fernhaltung jenes Geistes, der früher
oder später auch in Rußland eindringen muß. Deutschland kann in
dieser Hinsicht ein Bollwerk für Rußland werden ; wenn es seine Zu¬
kunft opfern, in seiner politischen Entwickelung stocken will, wird es
ein schlechter Leiter deö sogenannten westlichen Einflusses und kann die
geistige Invasion aus eine längere Zeit von Nußland abhalte"; zu¬
gleich bekäme die Riesenschlange Muße, um den polnischen Edelhirsch,
dessen Haupt ihr noch ans dem Rache" häugt, ganz in sich aufzuneh-
men. Vorzüglich aber muß dem Czaren an Berlin gelegen sein,
weil ein Hemmschuh in Preußen ein Hemmschuh für Deutschland ist.
Wir wollen nicht dem Ausland zuschreiben, was vielleicht von selbst
geschehen wäre; aber häufen sich nicht gewisse Maßregeln, die man
als Wendepunkte in der innern Politik Preußens ansehen kann, z. B.
der Ton der Landtagsabschiede, die Beschränkungen der Lehrfreiheit,
daS Project einer Univcrsitätcnuuiformirung, die Studcntcnuntcrsu-
chungeu, daS Verbot der Mainzer Advokatcnvcrsammlung und die
Ausweisung der polnischen Emigranten, gerade jetzt so auffallend? --
Ist es nicht kostbar, daß officielle Publicisten, aller Erfahrung und
Geschichte, allem gesunden Menschenverstande hohnsprechend, uns auf¬
schwatzen wollen, dynastische Heirathen hätten keine politische Bedeutung?
Sie führen als Beispiel Napoleons und Marie Louisens Verbindung
an, die doch von den gewichtigsten Folgen war und erst, als Alles
auf dem Spiele stand, im letzten Augenblicke, schwer zerrissen wurde.
Alles auf den letzten Augenblick ankommen zu lassen, Alle" sich plau¬
sibel zu machen! Die letztere Gabe ist für den deutschen Philister be¬
sonders bezeichnend. Damit macht man aus der höllischsten Noth eine
himmlische Tugend und dünkt sich frei in Sklavenfesseln. Während
man aber einerseits die politische Bedeutung dynastischer Heirathen
läugnet, redet man sich doch mit süßer Zunge gar liebliche Vortheile
ein, die Stephan's und Olga's Verbindung haben würde. Rußland
werde, in seiner bekannten Großmuth, etwas für die Donaumündungen
thun und Deutschland glücklich luacheu -- gerade wie an der ostpreußi-
schen Grenze. Also hätte eine solche Heirath doch politische Fol¬
gen! Also das, was man als gutes Recht verlangen- kann und soll,
das möchte man als ein Geschenk der Dana er erhoffen! --

-- Nußland hat nun alle Aussicht, den Kaukasus zu erstürmen.
Ein Reisender am schwarzen Meere erzählt in der "Angsb. Allgemei¬
nen", daß es am östlichen Theil der kaukasischen Gebirge eins jener


ohne Erfolg, in Galizien versucht. In Preuße» gelang die List und
eine Folge daven war die traurige Maßregel gegen die polnischen
Emigranten in Posen. Jetzt endlich, um gleichsam das Geschehene
nur auszusprechen, krächzen die Naben schon wieder, bald von einem
Handelsvertrag, bald von einer Allianz zwischen Preußen und Ru߬
land. Letzterem ist allerdings an einer „Emancipation^ vom Einfluß
des Westens gelegen, an einer Fernhaltung jenes Geistes, der früher
oder später auch in Rußland eindringen muß. Deutschland kann in
dieser Hinsicht ein Bollwerk für Rußland werden ; wenn es seine Zu¬
kunft opfern, in seiner politischen Entwickelung stocken will, wird es
ein schlechter Leiter deö sogenannten westlichen Einflusses und kann die
geistige Invasion aus eine längere Zeit von Nußland abhalte»; zu¬
gleich bekäme die Riesenschlange Muße, um den polnischen Edelhirsch,
dessen Haupt ihr noch ans dem Rache» häugt, ganz in sich aufzuneh-
men. Vorzüglich aber muß dem Czaren an Berlin gelegen sein,
weil ein Hemmschuh in Preußen ein Hemmschuh für Deutschland ist.
Wir wollen nicht dem Ausland zuschreiben, was vielleicht von selbst
geschehen wäre; aber häufen sich nicht gewisse Maßregeln, die man
als Wendepunkte in der innern Politik Preußens ansehen kann, z. B.
der Ton der Landtagsabschiede, die Beschränkungen der Lehrfreiheit,
daS Project einer Univcrsitätcnuuiformirung, die Studcntcnuntcrsu-
chungeu, daS Verbot der Mainzer Advokatcnvcrsammlung und die
Ausweisung der polnischen Emigranten, gerade jetzt so auffallend? —
Ist es nicht kostbar, daß officielle Publicisten, aller Erfahrung und
Geschichte, allem gesunden Menschenverstande hohnsprechend, uns auf¬
schwatzen wollen, dynastische Heirathen hätten keine politische Bedeutung?
Sie führen als Beispiel Napoleons und Marie Louisens Verbindung
an, die doch von den gewichtigsten Folgen war und erst, als Alles
auf dem Spiele stand, im letzten Augenblicke, schwer zerrissen wurde.
Alles auf den letzten Augenblick ankommen zu lassen, Alle« sich plau¬
sibel zu machen! Die letztere Gabe ist für den deutschen Philister be¬
sonders bezeichnend. Damit macht man aus der höllischsten Noth eine
himmlische Tugend und dünkt sich frei in Sklavenfesseln. Während
man aber einerseits die politische Bedeutung dynastischer Heirathen
läugnet, redet man sich doch mit süßer Zunge gar liebliche Vortheile
ein, die Stephan's und Olga's Verbindung haben würde. Rußland
werde, in seiner bekannten Großmuth, etwas für die Donaumündungen
thun und Deutschland glücklich luacheu — gerade wie an der ostpreußi-
schen Grenze. Also hätte eine solche Heirath doch politische Fol¬
gen! Also das, was man als gutes Recht verlangen- kann und soll,
das möchte man als ein Geschenk der Dana er erhoffen! —

— Nußland hat nun alle Aussicht, den Kaukasus zu erstürmen.
Ein Reisender am schwarzen Meere erzählt in der „Angsb. Allgemei¬
nen", daß es am östlichen Theil der kaukasischen Gebirge eins jener


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[0366] ohne Erfolg, in Galizien versucht. In Preuße» gelang die List und eine Folge daven war die traurige Maßregel gegen die polnischen Emigranten in Posen. Jetzt endlich, um gleichsam das Geschehene nur auszusprechen, krächzen die Naben schon wieder, bald von einem Handelsvertrag, bald von einer Allianz zwischen Preußen und Ru߬ land. Letzterem ist allerdings an einer „Emancipation^ vom Einfluß des Westens gelegen, an einer Fernhaltung jenes Geistes, der früher oder später auch in Rußland eindringen muß. Deutschland kann in dieser Hinsicht ein Bollwerk für Rußland werden ; wenn es seine Zu¬ kunft opfern, in seiner politischen Entwickelung stocken will, wird es ein schlechter Leiter deö sogenannten westlichen Einflusses und kann die geistige Invasion aus eine längere Zeit von Nußland abhalte»; zu¬ gleich bekäme die Riesenschlange Muße, um den polnischen Edelhirsch, dessen Haupt ihr noch ans dem Rache» häugt, ganz in sich aufzuneh- men. Vorzüglich aber muß dem Czaren an Berlin gelegen sein, weil ein Hemmschuh in Preußen ein Hemmschuh für Deutschland ist. Wir wollen nicht dem Ausland zuschreiben, was vielleicht von selbst geschehen wäre; aber häufen sich nicht gewisse Maßregeln, die man als Wendepunkte in der innern Politik Preußens ansehen kann, z. B. der Ton der Landtagsabschiede, die Beschränkungen der Lehrfreiheit, daS Project einer Univcrsitätcnuuiformirung, die Studcntcnuntcrsu- chungeu, daS Verbot der Mainzer Advokatcnvcrsammlung und die Ausweisung der polnischen Emigranten, gerade jetzt so auffallend? — Ist es nicht kostbar, daß officielle Publicisten, aller Erfahrung und Geschichte, allem gesunden Menschenverstande hohnsprechend, uns auf¬ schwatzen wollen, dynastische Heirathen hätten keine politische Bedeutung? Sie führen als Beispiel Napoleons und Marie Louisens Verbindung an, die doch von den gewichtigsten Folgen war und erst, als Alles auf dem Spiele stand, im letzten Augenblicke, schwer zerrissen wurde. Alles auf den letzten Augenblick ankommen zu lassen, Alle« sich plau¬ sibel zu machen! Die letztere Gabe ist für den deutschen Philister be¬ sonders bezeichnend. Damit macht man aus der höllischsten Noth eine himmlische Tugend und dünkt sich frei in Sklavenfesseln. Während man aber einerseits die politische Bedeutung dynastischer Heirathen läugnet, redet man sich doch mit süßer Zunge gar liebliche Vortheile ein, die Stephan's und Olga's Verbindung haben würde. Rußland werde, in seiner bekannten Großmuth, etwas für die Donaumündungen thun und Deutschland glücklich luacheu — gerade wie an der ostpreußi- schen Grenze. Also hätte eine solche Heirath doch politische Fol¬ gen! Also das, was man als gutes Recht verlangen- kann und soll, das möchte man als ein Geschenk der Dana er erhoffen! — — Nußland hat nun alle Aussicht, den Kaukasus zu erstürmen. Ein Reisender am schwarzen Meere erzählt in der „Angsb. Allgemei¬ nen", daß es am östlichen Theil der kaukasischen Gebirge eins jener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/366>, abgerufen am 26.06.2024.