Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.zug, den er vor ander", geistig begabtern Dichtern seit; denn er gibt -- Freiligrath singt in der Kölnischen: "Am Baum der Menschheit drängt sich Bluts' an Blüthe, und dieses trübselige Lied hat er noch durch das Oberccnsurgcricht den -- Man erinnert sich noch zweier Berliner Korrespondenzen, die zug, den er vor ander», geistig begabtern Dichtern seit; denn er gibt — Freiligrath singt in der Kölnischen: „Am Baum der Menschheit drängt sich Bluts' an Blüthe, und dieses trübselige Lied hat er noch durch das Oberccnsurgcricht den — Man erinnert sich noch zweier Berliner Korrespondenzen, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180078"/> <p xml:id="ID_923" prev="#ID_922"> zug, den er vor ander», geistig begabtern Dichtern seit; denn er gibt<lb/> seinen Liedern die Kraft und den Nachdruck eines ernstgemeinten und<lb/> gefühlten Thatendurstes. Das Schlußgedicht hat großartige Züge.</p><lb/> <p xml:id="ID_924"> — Freiligrath singt in der Kölnischen:</p><lb/> <quote> „Am Baum der Menschheit drängt sich Bluts' an Blüthe,<lb/> Nach co'gen Regeln wiegen sie sich drauf -c."</quote><lb/> <p xml:id="ID_925"> und dieses trübselige Lied hat er noch durch das Oberccnsurgcricht den<lb/> Klauen der Censur abjagen müssen. Wir haben nie zu denen gehört,<lb/> die von jedem Baume dieselben Früchte verlangen; die Freiligrath einen<lb/> Vorwurf daraus machten, daß-er nicht politische Poesie trieb. Wir<lb/> fanden diesen Vorwurf vielmehr abgeschmackt und recht handwerksmä¬<lb/> ßig. Daß aber Freiligrath diesem Geschrei nachgibt und sich forcirt,<lb/> ausgesprochene politische Gedichte zu machen, die sehr abgestanden sind,<lb/> ist ein schlechtes Zeichen und könnte irre machen an seinem innersten<lb/> Beruf, der ohne ein gewisses, in manchen Dingen untrügliches Selbst¬<lb/> bewußtsein und Sickselbstkcnncn niemals da ist. Seine „irische Wittwe"<lb/> war in viel besserem und edleren Sinne politisches Gedicht, als die<lb/> Sentenzen, die er jetzt zusammenschmiedet.</p><lb/> <p xml:id="ID_926" next="#ID_927"> — Man erinnert sich noch zweier Berliner Korrespondenzen, die<lb/> in hochbürcaukratischcm Tone geschrieben, allem Anscheine nach von<lb/> wohlunterrichteter Feder, in der „Deutschen Allgemeinen" vor mehr<lb/> als drei Monaten eine nordische Allianz zwischen Rußland, Preu¬<lb/> ßen, Skandinavien und vielleicht auch Oesterreich in Aussicht stellten<lb/> und als Tendenz derselben die „Emancipation" des östlichen Europa<lb/> voni Einfluß des westlichen! anpriesen. Man wollte diese Nabcnstim-<lb/> inen sür pin (Jo,>ii<Z,'i'i!l irgend eines stehen gebliebenen Hofraths vom<lb/> alten Regime halten. Darauf kam eine Periode der Polemik gegen<lb/> Rußland. Während dabei einige alt- und stockprcußische Zeitungen,<lb/> wie die „Königsberger Allgemeine", Nußland sccundirten, häuften<lb/> sich die Reibungen mit dem slavischen Nachbar und gingen einzelne<lb/> jener pi-» desiäeria in Erfüllung. Die Nothwendigkeit, das russisch-<lb/> preußische Cartell wieder herzustellen, wurde fortwährend aufs Tapet<lb/> gebracht; dann kam die Nachricht von der russischen Heirath des even¬<lb/> tuellen Kronprinzen von Dänemark; endlich die von einer verwandt¬<lb/> schaftlichen Verbindung zwischen Rußland und Oesterreich. Die Po-<lb/> sener Schußgeschichtc, wöbet die preußischen Behörden unablässig dienst<lb/> eifrig einen polnischen Czarcnmördcr suchten, der gewiß gar nicht<lb/> eristirte, war die Einfädclung zu einem neuen Knoten. Ein Kor¬<lb/> respondent in der „Deutsche» Allgemeinen", zugleich wohl Unterrichtet,<lb/> tief blickend und gut deutsch gesinnt, warnte fortwährend vor den rus¬<lb/> sischen Insinuationen, wies deutlich »ach, daß russische Spione, als<lb/> Ucbcrläufor maskirt, die Posener compromittiren und bei der preußi¬<lb/> schen Regierung verleumden wollten. Aehnliches wurde zur selben Zeit,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0365]
zug, den er vor ander», geistig begabtern Dichtern seit; denn er gibt
seinen Liedern die Kraft und den Nachdruck eines ernstgemeinten und
gefühlten Thatendurstes. Das Schlußgedicht hat großartige Züge.
— Freiligrath singt in der Kölnischen:
„Am Baum der Menschheit drängt sich Bluts' an Blüthe,
Nach co'gen Regeln wiegen sie sich drauf -c."
und dieses trübselige Lied hat er noch durch das Oberccnsurgcricht den
Klauen der Censur abjagen müssen. Wir haben nie zu denen gehört,
die von jedem Baume dieselben Früchte verlangen; die Freiligrath einen
Vorwurf daraus machten, daß-er nicht politische Poesie trieb. Wir
fanden diesen Vorwurf vielmehr abgeschmackt und recht handwerksmä¬
ßig. Daß aber Freiligrath diesem Geschrei nachgibt und sich forcirt,
ausgesprochene politische Gedichte zu machen, die sehr abgestanden sind,
ist ein schlechtes Zeichen und könnte irre machen an seinem innersten
Beruf, der ohne ein gewisses, in manchen Dingen untrügliches Selbst¬
bewußtsein und Sickselbstkcnncn niemals da ist. Seine „irische Wittwe"
war in viel besserem und edleren Sinne politisches Gedicht, als die
Sentenzen, die er jetzt zusammenschmiedet.
— Man erinnert sich noch zweier Berliner Korrespondenzen, die
in hochbürcaukratischcm Tone geschrieben, allem Anscheine nach von
wohlunterrichteter Feder, in der „Deutschen Allgemeinen" vor mehr
als drei Monaten eine nordische Allianz zwischen Rußland, Preu¬
ßen, Skandinavien und vielleicht auch Oesterreich in Aussicht stellten
und als Tendenz derselben die „Emancipation" des östlichen Europa
voni Einfluß des westlichen! anpriesen. Man wollte diese Nabcnstim-
inen sür pin (Jo,>ii<Z,'i'i!l irgend eines stehen gebliebenen Hofraths vom
alten Regime halten. Darauf kam eine Periode der Polemik gegen
Rußland. Während dabei einige alt- und stockprcußische Zeitungen,
wie die „Königsberger Allgemeine", Nußland sccundirten, häuften
sich die Reibungen mit dem slavischen Nachbar und gingen einzelne
jener pi-» desiäeria in Erfüllung. Die Nothwendigkeit, das russisch-
preußische Cartell wieder herzustellen, wurde fortwährend aufs Tapet
gebracht; dann kam die Nachricht von der russischen Heirath des even¬
tuellen Kronprinzen von Dänemark; endlich die von einer verwandt¬
schaftlichen Verbindung zwischen Rußland und Oesterreich. Die Po-
sener Schußgeschichtc, wöbet die preußischen Behörden unablässig dienst
eifrig einen polnischen Czarcnmördcr suchten, der gewiß gar nicht
eristirte, war die Einfädclung zu einem neuen Knoten. Ein Kor¬
respondent in der „Deutsche» Allgemeinen", zugleich wohl Unterrichtet,
tief blickend und gut deutsch gesinnt, warnte fortwährend vor den rus¬
sischen Insinuationen, wies deutlich »ach, daß russische Spione, als
Ucbcrläufor maskirt, die Posener compromittiren und bei der preußi¬
schen Regierung verleumden wollten. Aehnliches wurde zur selben Zeit,
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