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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Notizen

Karl Weck. -- Henvegh. -- Freiligrath. -- Nordische Allianz.-- Wlaby-Kawkas.
-- Türkischer Jesuitismus. -- Iastram Snitger. -- Nauwerk. -- Pastor
Meinhold und die Bernstcinhere. -- Gutzkow in Leipzig. -- Lenau. -- Grün.

(Brieflich aus Dresden.) Eine angenehme Ueberraschung war
uns hier tels plötzliche Erscheinen Karl Beck'ö, den man im "Capua
der Geister" traumverloren und gcnußvcrsnnkeu wähnte. Er will ans
einige Zeit nach Süddentschland wandern und dort einen neuen Roman
in Versen vollenden. Wahrscheinlich wird aber schon zu Ostern eine
Dichtung von ihm erscheinen, die in mehreren Kreisen, wo er sie vor¬
las, sehr großes Aussehn erregte. Der scchöundzwanzigjährigc Dichter
hat sich seit dem Wiedersehen seiner Heimath wesentlich verändert; die
Leiden und Freuden, im bürgerlichen und geistigen Leben, die eine ly¬
rische Natur in unserer Zeit so heftig bestürmen, haben nur zu seiner
reifern Entwickelung beigetragen. Die erwähnte Dichtung ist ein Fort¬
schritt, den Viele nicht, wenigstens so bald nicht, von ihm erwartet
hätten. ES ist nicht der Glanz der Sprache, der Schwung der Phan¬
tasie, die flammende Bildcrmalcrei, was darin überrascht, sondern, daß
bei diesen schönen Eigenthümlichkeiten eine so viel tiefere Anschauung,
eine so viel edlere Einfachheit und Männlichkeit herrscht, wie in sei¬
nen ersten Productionen. Das Gedicht ist aus dem innersten Herzen
der Zeit geschrieben und gleicht in Nichts jener Art politischer Lieder,
die, wenn auch scharf und geistvoll, von den Aeußerlichkeiten und Ein-
zclnhcttcn der Tagesgeschichte erfüllt sind. Wir glauben, daß Karl
Beck recht eigentlich jetzt erst zu dichten anfängt.'

-- Wir haben die neuen Gedichte Herweghs gelesen, aber durch¬
aus nicht den Horror empfinden können, der so viel treue und ehrliche
Seelen darüber ergriffen hat. nannten doch gewisse Blätter und Blätt-
chen den Dichter einen Banditen und Pasquillcmtcn!! -- Hat Heine
nicht Recht, wenn er singt: "Ein schimpfender Bedicntcnschwarm:c.",
Wir hätten blos das Duett Geldt'S und Freiligrath'ö weggewünscht.
Sonst, glauben wir, hätte Herwegh besser gethan, die Genien allein
herauszugeben und mit einer zweiten Lieferung von Gedichten zu war¬
te". Es frappirte das Publicum, so wenig neue Lieder zu finden,
und es wollte doch sehen, ob sein Fortschrittssänger auch in der Poesie
Fortschritte gemacht. Genien übrigens, das ist zu bedenken, müssen
an und für sich grausam und rücksichtslos sein. Wer einmal Genien
schreibt, setzt sich der Gefahr aus, kleinlich zu werden und oft einen Witz
nicht unterdrücken zu können. Darüber fallen dann die am meisten
her, die keinen Witz zu unterdrücken haben. Die jetzige Bitterkeit
Herwegh's erklärt sich aus seinem Grundfehler; dieser ist, wie es scheint,
der Wahn, im Leben selbst, persönlich, als Agitator auftreten und
wirken zu können. Aus diesem Glauben wurde er uicht sehr scho¬
nend geweckt. Allein dieser Grundfehler ist zugleich der größte Vor-


Notizen

Karl Weck. — Henvegh. — Freiligrath. — Nordische Allianz.— Wlaby-Kawkas.
— Türkischer Jesuitismus. — Iastram Snitger. — Nauwerk. — Pastor
Meinhold und die Bernstcinhere. — Gutzkow in Leipzig. — Lenau. — Grün.

(Brieflich aus Dresden.) Eine angenehme Ueberraschung war
uns hier tels plötzliche Erscheinen Karl Beck'ö, den man im „Capua
der Geister" traumverloren und gcnußvcrsnnkeu wähnte. Er will ans
einige Zeit nach Süddentschland wandern und dort einen neuen Roman
in Versen vollenden. Wahrscheinlich wird aber schon zu Ostern eine
Dichtung von ihm erscheinen, die in mehreren Kreisen, wo er sie vor¬
las, sehr großes Aussehn erregte. Der scchöundzwanzigjährigc Dichter
hat sich seit dem Wiedersehen seiner Heimath wesentlich verändert; die
Leiden und Freuden, im bürgerlichen und geistigen Leben, die eine ly¬
rische Natur in unserer Zeit so heftig bestürmen, haben nur zu seiner
reifern Entwickelung beigetragen. Die erwähnte Dichtung ist ein Fort¬
schritt, den Viele nicht, wenigstens so bald nicht, von ihm erwartet
hätten. ES ist nicht der Glanz der Sprache, der Schwung der Phan¬
tasie, die flammende Bildcrmalcrei, was darin überrascht, sondern, daß
bei diesen schönen Eigenthümlichkeiten eine so viel tiefere Anschauung,
eine so viel edlere Einfachheit und Männlichkeit herrscht, wie in sei¬
nen ersten Productionen. Das Gedicht ist aus dem innersten Herzen
der Zeit geschrieben und gleicht in Nichts jener Art politischer Lieder,
die, wenn auch scharf und geistvoll, von den Aeußerlichkeiten und Ein-
zclnhcttcn der Tagesgeschichte erfüllt sind. Wir glauben, daß Karl
Beck recht eigentlich jetzt erst zu dichten anfängt.'

— Wir haben die neuen Gedichte Herweghs gelesen, aber durch¬
aus nicht den Horror empfinden können, der so viel treue und ehrliche
Seelen darüber ergriffen hat. nannten doch gewisse Blätter und Blätt-
chen den Dichter einen Banditen und Pasquillcmtcn!! — Hat Heine
nicht Recht, wenn er singt: „Ein schimpfender Bedicntcnschwarm:c.",
Wir hätten blos das Duett Geldt'S und Freiligrath'ö weggewünscht.
Sonst, glauben wir, hätte Herwegh besser gethan, die Genien allein
herauszugeben und mit einer zweiten Lieferung von Gedichten zu war¬
te». Es frappirte das Publicum, so wenig neue Lieder zu finden,
und es wollte doch sehen, ob sein Fortschrittssänger auch in der Poesie
Fortschritte gemacht. Genien übrigens, das ist zu bedenken, müssen
an und für sich grausam und rücksichtslos sein. Wer einmal Genien
schreibt, setzt sich der Gefahr aus, kleinlich zu werden und oft einen Witz
nicht unterdrücken zu können. Darüber fallen dann die am meisten
her, die keinen Witz zu unterdrücken haben. Die jetzige Bitterkeit
Herwegh's erklärt sich aus seinem Grundfehler; dieser ist, wie es scheint,
der Wahn, im Leben selbst, persönlich, als Agitator auftreten und
wirken zu können. Aus diesem Glauben wurde er uicht sehr scho¬
nend geweckt. Allein dieser Grundfehler ist zugleich der größte Vor-


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[0364] Notizen Karl Weck. — Henvegh. — Freiligrath. — Nordische Allianz.— Wlaby-Kawkas. — Türkischer Jesuitismus. — Iastram Snitger. — Nauwerk. — Pastor Meinhold und die Bernstcinhere. — Gutzkow in Leipzig. — Lenau. — Grün. (Brieflich aus Dresden.) Eine angenehme Ueberraschung war uns hier tels plötzliche Erscheinen Karl Beck'ö, den man im „Capua der Geister" traumverloren und gcnußvcrsnnkeu wähnte. Er will ans einige Zeit nach Süddentschland wandern und dort einen neuen Roman in Versen vollenden. Wahrscheinlich wird aber schon zu Ostern eine Dichtung von ihm erscheinen, die in mehreren Kreisen, wo er sie vor¬ las, sehr großes Aussehn erregte. Der scchöundzwanzigjährigc Dichter hat sich seit dem Wiedersehen seiner Heimath wesentlich verändert; die Leiden und Freuden, im bürgerlichen und geistigen Leben, die eine ly¬ rische Natur in unserer Zeit so heftig bestürmen, haben nur zu seiner reifern Entwickelung beigetragen. Die erwähnte Dichtung ist ein Fort¬ schritt, den Viele nicht, wenigstens so bald nicht, von ihm erwartet hätten. ES ist nicht der Glanz der Sprache, der Schwung der Phan¬ tasie, die flammende Bildcrmalcrei, was darin überrascht, sondern, daß bei diesen schönen Eigenthümlichkeiten eine so viel tiefere Anschauung, eine so viel edlere Einfachheit und Männlichkeit herrscht, wie in sei¬ nen ersten Productionen. Das Gedicht ist aus dem innersten Herzen der Zeit geschrieben und gleicht in Nichts jener Art politischer Lieder, die, wenn auch scharf und geistvoll, von den Aeußerlichkeiten und Ein- zclnhcttcn der Tagesgeschichte erfüllt sind. Wir glauben, daß Karl Beck recht eigentlich jetzt erst zu dichten anfängt.' — Wir haben die neuen Gedichte Herweghs gelesen, aber durch¬ aus nicht den Horror empfinden können, der so viel treue und ehrliche Seelen darüber ergriffen hat. nannten doch gewisse Blätter und Blätt- chen den Dichter einen Banditen und Pasquillcmtcn!! — Hat Heine nicht Recht, wenn er singt: „Ein schimpfender Bedicntcnschwarm:c.", Wir hätten blos das Duett Geldt'S und Freiligrath'ö weggewünscht. Sonst, glauben wir, hätte Herwegh besser gethan, die Genien allein herauszugeben und mit einer zweiten Lieferung von Gedichten zu war¬ te». Es frappirte das Publicum, so wenig neue Lieder zu finden, und es wollte doch sehen, ob sein Fortschrittssänger auch in der Poesie Fortschritte gemacht. Genien übrigens, das ist zu bedenken, müssen an und für sich grausam und rücksichtslos sein. Wer einmal Genien schreibt, setzt sich der Gefahr aus, kleinlich zu werden und oft einen Witz nicht unterdrücken zu können. Darüber fallen dann die am meisten her, die keinen Witz zu unterdrücken haben. Die jetzige Bitterkeit Herwegh's erklärt sich aus seinem Grundfehler; dieser ist, wie es scheint, der Wahn, im Leben selbst, persönlich, als Agitator auftreten und wirken zu können. Aus diesem Glauben wurde er uicht sehr scho¬ nend geweckt. Allein dieser Grundfehler ist zugleich der größte Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/364>, abgerufen am 26.06.2024.