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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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einem Jahre, war ihm unnütz geworden, da es nicht fein genug zu¬
sammengerichtet war, und die Gemse, welche er als ein trefflicher
Schütze glücklich erlegt hatte, war mit dem unscheinbaren Stutzen des
Iägerjungm geschossen, dem er dafür an Trinkgeld mehr gab, als
sein Stutzen werth sein mochte. Eben so sehr von der ungewohnten
Anstrengung ermattet, als in der britischen Nationaleitelkeit gekränkt,
hatte er sich zur Ruhe gelegt.

Die kleine Jägerstube, -- in welcher das Hausgeräthe der Fa¬
milie, ein Paar hölzerne Stühle und Schemel, ein großer, eichener
Tisch, Stockuhr, Spinnrocken, eine buntgemalte Kiste mit den Kleidern
der Frau, ein Schrank mit einigen Tellern und Gläsern und eine
leere Wiege stand: dann ein warmes Winterwamms, ein grüner Hut
mit Gemsbart und Federn, ein kleiner, zinnerner Weihwasserkessel, das
Bild des heiligen Eustachius und der eingerahmte Lehrbrief des Jä¬
gers hingen air der Wand, welche nebstbei noch ein Paar Hirsch-
und Rehgewcihe verzierten, während ober der Thüre ein kleiner Gems-
bock, aus Holz geschnitzt, mit wirklichen Geweihen ganz klug in die
Stube hineinguckte, -- war mit einer zahllosen Quantität von Büch¬
sen und Büchslcin, Flaschen und Fläschlein, Schachteln und Schäch¬
telchen, Bürsten, Scheeren und Waschschwämmen, welche, zur Toilette
des Lords vorbereitet, auf den Bänken, Stühlen und dem einzigen
vorhandenen Tische umherlagen, beinahe und ganz ausgefüllt.

Wenn ich diese Menge unnützer Nothwendigkeiten mit dem ein¬
fachen Hausgeräthe der Familie verglich, mußte ich mir die Frage
stellen: ob die Civilisation, durch welche eine solche Unzahl von Be¬
dürfnissen geschaffen wird, daß ein Mensch zum Bedarf einer Stunde
beinahe mehr braucht, als eine ganze Familie durch ein ganzes Jahr,
eine Wohlthat sein könne? Zur wahren inneren Freiheit und Unab¬
hängigkeit gehört vor Allem, daß man wenig bedürfe, was man sich
nicht selbst schaffen kann. Deswegen ist meines Erachtens wahrhaft
frei nur der Beduine in der Wüste und der Indianer im Urwalde,
und der braucht hierzu keine geschriebene Charte, keine Oppositions-
presse und keine Jury. --

Ich war nicht grausam genug, meinen Freund aus seinem
Schlummer zu wecken. Ich bewundere die Engländer als Nation
und kann sie auch als Person einzeln wohl leiden; allein es ist ge¬
wiß, daß der Stmikshlendampf, mit dem sie sich ihre Langweile und ihren


einem Jahre, war ihm unnütz geworden, da es nicht fein genug zu¬
sammengerichtet war, und die Gemse, welche er als ein trefflicher
Schütze glücklich erlegt hatte, war mit dem unscheinbaren Stutzen des
Iägerjungm geschossen, dem er dafür an Trinkgeld mehr gab, als
sein Stutzen werth sein mochte. Eben so sehr von der ungewohnten
Anstrengung ermattet, als in der britischen Nationaleitelkeit gekränkt,
hatte er sich zur Ruhe gelegt.

Die kleine Jägerstube, — in welcher das Hausgeräthe der Fa¬
milie, ein Paar hölzerne Stühle und Schemel, ein großer, eichener
Tisch, Stockuhr, Spinnrocken, eine buntgemalte Kiste mit den Kleidern
der Frau, ein Schrank mit einigen Tellern und Gläsern und eine
leere Wiege stand: dann ein warmes Winterwamms, ein grüner Hut
mit Gemsbart und Federn, ein kleiner, zinnerner Weihwasserkessel, das
Bild des heiligen Eustachius und der eingerahmte Lehrbrief des Jä¬
gers hingen air der Wand, welche nebstbei noch ein Paar Hirsch-
und Rehgewcihe verzierten, während ober der Thüre ein kleiner Gems-
bock, aus Holz geschnitzt, mit wirklichen Geweihen ganz klug in die
Stube hineinguckte, — war mit einer zahllosen Quantität von Büch¬
sen und Büchslcin, Flaschen und Fläschlein, Schachteln und Schäch¬
telchen, Bürsten, Scheeren und Waschschwämmen, welche, zur Toilette
des Lords vorbereitet, auf den Bänken, Stühlen und dem einzigen
vorhandenen Tische umherlagen, beinahe und ganz ausgefüllt.

Wenn ich diese Menge unnützer Nothwendigkeiten mit dem ein¬
fachen Hausgeräthe der Familie verglich, mußte ich mir die Frage
stellen: ob die Civilisation, durch welche eine solche Unzahl von Be¬
dürfnissen geschaffen wird, daß ein Mensch zum Bedarf einer Stunde
beinahe mehr braucht, als eine ganze Familie durch ein ganzes Jahr,
eine Wohlthat sein könne? Zur wahren inneren Freiheit und Unab¬
hängigkeit gehört vor Allem, daß man wenig bedürfe, was man sich
nicht selbst schaffen kann. Deswegen ist meines Erachtens wahrhaft
frei nur der Beduine in der Wüste und der Indianer im Urwalde,
und der braucht hierzu keine geschriebene Charte, keine Oppositions-
presse und keine Jury. —

Ich war nicht grausam genug, meinen Freund aus seinem
Schlummer zu wecken. Ich bewundere die Engländer als Nation
und kann sie auch als Person einzeln wohl leiden; allein es ist ge¬
wiß, daß der Stmikshlendampf, mit dem sie sich ihre Langweile und ihren


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[0349] einem Jahre, war ihm unnütz geworden, da es nicht fein genug zu¬ sammengerichtet war, und die Gemse, welche er als ein trefflicher Schütze glücklich erlegt hatte, war mit dem unscheinbaren Stutzen des Iägerjungm geschossen, dem er dafür an Trinkgeld mehr gab, als sein Stutzen werth sein mochte. Eben so sehr von der ungewohnten Anstrengung ermattet, als in der britischen Nationaleitelkeit gekränkt, hatte er sich zur Ruhe gelegt. Die kleine Jägerstube, — in welcher das Hausgeräthe der Fa¬ milie, ein Paar hölzerne Stühle und Schemel, ein großer, eichener Tisch, Stockuhr, Spinnrocken, eine buntgemalte Kiste mit den Kleidern der Frau, ein Schrank mit einigen Tellern und Gläsern und eine leere Wiege stand: dann ein warmes Winterwamms, ein grüner Hut mit Gemsbart und Federn, ein kleiner, zinnerner Weihwasserkessel, das Bild des heiligen Eustachius und der eingerahmte Lehrbrief des Jä¬ gers hingen air der Wand, welche nebstbei noch ein Paar Hirsch- und Rehgewcihe verzierten, während ober der Thüre ein kleiner Gems- bock, aus Holz geschnitzt, mit wirklichen Geweihen ganz klug in die Stube hineinguckte, — war mit einer zahllosen Quantität von Büch¬ sen und Büchslcin, Flaschen und Fläschlein, Schachteln und Schäch¬ telchen, Bürsten, Scheeren und Waschschwämmen, welche, zur Toilette des Lords vorbereitet, auf den Bänken, Stühlen und dem einzigen vorhandenen Tische umherlagen, beinahe und ganz ausgefüllt. Wenn ich diese Menge unnützer Nothwendigkeiten mit dem ein¬ fachen Hausgeräthe der Familie verglich, mußte ich mir die Frage stellen: ob die Civilisation, durch welche eine solche Unzahl von Be¬ dürfnissen geschaffen wird, daß ein Mensch zum Bedarf einer Stunde beinahe mehr braucht, als eine ganze Familie durch ein ganzes Jahr, eine Wohlthat sein könne? Zur wahren inneren Freiheit und Unab¬ hängigkeit gehört vor Allem, daß man wenig bedürfe, was man sich nicht selbst schaffen kann. Deswegen ist meines Erachtens wahrhaft frei nur der Beduine in der Wüste und der Indianer im Urwalde, und der braucht hierzu keine geschriebene Charte, keine Oppositions- presse und keine Jury. — Ich war nicht grausam genug, meinen Freund aus seinem Schlummer zu wecken. Ich bewundere die Engländer als Nation und kann sie auch als Person einzeln wohl leiden; allein es ist ge¬ wiß, daß der Stmikshlendampf, mit dem sie sich ihre Langweile und ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/349>, abgerufen am 26.06.2024.