Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Lebensüberdruß, ihren Eigennutz und ihre GeschäftSgier, ihre Spccula-
tionSwuth und ihren Kastengeist überall hindampfen, im Kleinen oder
Großen jede Poesie tödtet! Wie der Rauch die Bienen, so vertreibt
die Dampfwolke eines Dampfschiffes oder eines Locomotivs die Gei¬
ster der Vergangenheit und die goldgeflügelten Libellen der Phantasie.
Die Sylphen und Dryaden, die Waldgeister und Seefräulein, die
g.anze funkelnde Zauberwelt zerstiebt, und es bleibt die nackte, ange¬
rauchte, dampfberußte Wirklichkeit. Das Feenschloß ist zerfallen und macht
dem ziegelgebauten Fabriköhause Platz, in welchem kaum Platz bleibt,
um an den Wänden einige Andenken der Vergangenheit als unnüz^-
zen Zierrath anzubringen. Die Bilder unserer Ahnen, die ererbten
Schwerter oder Schilde, die Kränze der Liebe und des Ruhmes, sie
sind alle unnützer Plunder geworden, der nur in die Rumpelkammer
taugt. In dem Fabriksgebäude selbst ist dann wohl reges Treiben,
man lebt und webt und müht sich emsig ab, und am Ende frägt
sich's erst, wozu man eigentlich gelebt und besonders, wofür man ge¬
storben ist? Wer weiß, ob die frei im Morgenduft sich horrende,
summende Mücke nicht in dein großen Weltauge des Schöpfers so
großen Werth hat als der riesenmäßigfte Ameisenhaufen mit all sei¬
ner winzigen Thätigkeit? Gewiß aber ist eS, daß, seitdem Dampf¬
schiffe und Engländer überall hingelangen, kaum ein Plätzchen zu
finden ist, wo man mit seiner Geliebten, der Phantasie, ungestört ko
sen kann, ohne von unserer eifersüchtigen Hausfrau, der prosaischen
Wirklichkeit, welche in Gestalt irgend einer Jnsulanergruppe sich dar¬
stellt, überrascht zu werden.

Am Fuße der Memphis^Säule oder der Pyramiden reitet ein
podagrischer Gentleman auf seinem Pony umher; aus dem Rigi oder
auf dem Berge Sinai, wenn man an die Schweizermänner oder an
die Gesetztafeln Mosis denkt, trifft man auf hagere, blondlockige,
kurzberockte und langbefußte, grünverschleierte Misses; am Kapitol
steigen statt der Scipionen und Gänse Nichts als englische Touristen
"traf'U'v F"z"ol-i8 umher; im Alhambra und an den Klippen Nor¬
wegens dampft der englische Theekessel, umgeben von lebenSübcrdrüft
Sigm Lords, gezierten Ladies -oder sparlustigen Stockjobbers; am
Olymp und an der Hyppokrene schlürfen sie Soda-Water und, lesen
die Papers, welche ihnen Kunde bringen vom Parlament und Fas-
hion, Handel und Wandel, i-u:es oder Geldwechsel. Wie der letzte


Lebensüberdruß, ihren Eigennutz und ihre GeschäftSgier, ihre Spccula-
tionSwuth und ihren Kastengeist überall hindampfen, im Kleinen oder
Großen jede Poesie tödtet! Wie der Rauch die Bienen, so vertreibt
die Dampfwolke eines Dampfschiffes oder eines Locomotivs die Gei¬
ster der Vergangenheit und die goldgeflügelten Libellen der Phantasie.
Die Sylphen und Dryaden, die Waldgeister und Seefräulein, die
g.anze funkelnde Zauberwelt zerstiebt, und es bleibt die nackte, ange¬
rauchte, dampfberußte Wirklichkeit. Das Feenschloß ist zerfallen und macht
dem ziegelgebauten Fabriköhause Platz, in welchem kaum Platz bleibt,
um an den Wänden einige Andenken der Vergangenheit als unnüz^-
zen Zierrath anzubringen. Die Bilder unserer Ahnen, die ererbten
Schwerter oder Schilde, die Kränze der Liebe und des Ruhmes, sie
sind alle unnützer Plunder geworden, der nur in die Rumpelkammer
taugt. In dem Fabriksgebäude selbst ist dann wohl reges Treiben,
man lebt und webt und müht sich emsig ab, und am Ende frägt
sich's erst, wozu man eigentlich gelebt und besonders, wofür man ge¬
storben ist? Wer weiß, ob die frei im Morgenduft sich horrende,
summende Mücke nicht in dein großen Weltauge des Schöpfers so
großen Werth hat als der riesenmäßigfte Ameisenhaufen mit all sei¬
ner winzigen Thätigkeit? Gewiß aber ist eS, daß, seitdem Dampf¬
schiffe und Engländer überall hingelangen, kaum ein Plätzchen zu
finden ist, wo man mit seiner Geliebten, der Phantasie, ungestört ko
sen kann, ohne von unserer eifersüchtigen Hausfrau, der prosaischen
Wirklichkeit, welche in Gestalt irgend einer Jnsulanergruppe sich dar¬
stellt, überrascht zu werden.

Am Fuße der Memphis^Säule oder der Pyramiden reitet ein
podagrischer Gentleman auf seinem Pony umher; aus dem Rigi oder
auf dem Berge Sinai, wenn man an die Schweizermänner oder an
die Gesetztafeln Mosis denkt, trifft man auf hagere, blondlockige,
kurzberockte und langbefußte, grünverschleierte Misses; am Kapitol
steigen statt der Scipionen und Gänse Nichts als englische Touristen
„traf'U'v F«z»ol-i8 umher; im Alhambra und an den Klippen Nor¬
wegens dampft der englische Theekessel, umgeben von lebenSübcrdrüft
Sigm Lords, gezierten Ladies -oder sparlustigen Stockjobbers; am
Olymp und an der Hyppokrene schlürfen sie Soda-Water und, lesen
die Papers, welche ihnen Kunde bringen vom Parlament und Fas-
hion, Handel und Wandel, i-u:es oder Geldwechsel. Wie der letzte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180063"/>
          <p xml:id="ID_893" prev="#ID_892"> Lebensüberdruß, ihren Eigennutz und ihre GeschäftSgier, ihre Spccula-<lb/>
tionSwuth und ihren Kastengeist überall hindampfen, im Kleinen oder<lb/>
Großen jede Poesie tödtet! Wie der Rauch die Bienen, so vertreibt<lb/>
die Dampfwolke eines Dampfschiffes oder eines Locomotivs die Gei¬<lb/>
ster der Vergangenheit und die goldgeflügelten Libellen der Phantasie.<lb/>
Die Sylphen und Dryaden, die Waldgeister und Seefräulein, die<lb/>
g.anze funkelnde Zauberwelt zerstiebt, und es bleibt die nackte, ange¬<lb/>
rauchte, dampfberußte Wirklichkeit. Das Feenschloß ist zerfallen und macht<lb/>
dem ziegelgebauten Fabriköhause Platz, in welchem kaum Platz bleibt,<lb/>
um an den Wänden einige Andenken der Vergangenheit als unnüz^-<lb/>
zen Zierrath anzubringen. Die Bilder unserer Ahnen, die ererbten<lb/>
Schwerter oder Schilde, die Kränze der Liebe und des Ruhmes, sie<lb/>
sind alle unnützer Plunder geworden, der nur in die Rumpelkammer<lb/>
taugt. In dem Fabriksgebäude selbst ist dann wohl reges Treiben,<lb/>
man lebt und webt und müht sich emsig ab, und am Ende frägt<lb/>
sich's erst, wozu man eigentlich gelebt und besonders, wofür man ge¬<lb/>
storben ist? Wer weiß, ob die frei im Morgenduft sich horrende,<lb/>
summende Mücke nicht in dein großen Weltauge des Schöpfers so<lb/>
großen Werth hat als der riesenmäßigfte Ameisenhaufen mit all sei¬<lb/>
ner winzigen Thätigkeit? Gewiß aber ist eS, daß, seitdem Dampf¬<lb/>
schiffe und Engländer überall hingelangen, kaum ein Plätzchen zu<lb/>
finden ist, wo man mit seiner Geliebten, der Phantasie, ungestört ko<lb/>
sen kann, ohne von unserer eifersüchtigen Hausfrau, der prosaischen<lb/>
Wirklichkeit, welche in Gestalt irgend einer Jnsulanergruppe sich dar¬<lb/>
stellt, überrascht zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_894" next="#ID_895"> Am Fuße der Memphis^Säule oder der Pyramiden reitet ein<lb/>
podagrischer Gentleman auf seinem Pony umher; aus dem Rigi oder<lb/>
auf dem Berge Sinai, wenn man an die Schweizermänner oder an<lb/>
die Gesetztafeln Mosis denkt, trifft man auf hagere, blondlockige,<lb/>
kurzberockte und langbefußte, grünverschleierte Misses; am Kapitol<lb/>
steigen statt der Scipionen und Gänse Nichts als englische Touristen<lb/>
&#x201E;traf'U'v F«z»ol-i8 umher; im Alhambra und an den Klippen Nor¬<lb/>
wegens dampft der englische Theekessel, umgeben von lebenSübcrdrüft<lb/>
Sigm Lords, gezierten Ladies -oder sparlustigen Stockjobbers; am<lb/>
Olymp und an der Hyppokrene schlürfen sie Soda-Water und, lesen<lb/>
die Papers, welche ihnen Kunde bringen vom Parlament und Fas-<lb/>
hion, Handel und Wandel, i-u:es oder Geldwechsel. Wie der letzte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0350] Lebensüberdruß, ihren Eigennutz und ihre GeschäftSgier, ihre Spccula- tionSwuth und ihren Kastengeist überall hindampfen, im Kleinen oder Großen jede Poesie tödtet! Wie der Rauch die Bienen, so vertreibt die Dampfwolke eines Dampfschiffes oder eines Locomotivs die Gei¬ ster der Vergangenheit und die goldgeflügelten Libellen der Phantasie. Die Sylphen und Dryaden, die Waldgeister und Seefräulein, die g.anze funkelnde Zauberwelt zerstiebt, und es bleibt die nackte, ange¬ rauchte, dampfberußte Wirklichkeit. Das Feenschloß ist zerfallen und macht dem ziegelgebauten Fabriköhause Platz, in welchem kaum Platz bleibt, um an den Wänden einige Andenken der Vergangenheit als unnüz^- zen Zierrath anzubringen. Die Bilder unserer Ahnen, die ererbten Schwerter oder Schilde, die Kränze der Liebe und des Ruhmes, sie sind alle unnützer Plunder geworden, der nur in die Rumpelkammer taugt. In dem Fabriksgebäude selbst ist dann wohl reges Treiben, man lebt und webt und müht sich emsig ab, und am Ende frägt sich's erst, wozu man eigentlich gelebt und besonders, wofür man ge¬ storben ist? Wer weiß, ob die frei im Morgenduft sich horrende, summende Mücke nicht in dein großen Weltauge des Schöpfers so großen Werth hat als der riesenmäßigfte Ameisenhaufen mit all sei¬ ner winzigen Thätigkeit? Gewiß aber ist eS, daß, seitdem Dampf¬ schiffe und Engländer überall hingelangen, kaum ein Plätzchen zu finden ist, wo man mit seiner Geliebten, der Phantasie, ungestört ko sen kann, ohne von unserer eifersüchtigen Hausfrau, der prosaischen Wirklichkeit, welche in Gestalt irgend einer Jnsulanergruppe sich dar¬ stellt, überrascht zu werden. Am Fuße der Memphis^Säule oder der Pyramiden reitet ein podagrischer Gentleman auf seinem Pony umher; aus dem Rigi oder auf dem Berge Sinai, wenn man an die Schweizermänner oder an die Gesetztafeln Mosis denkt, trifft man auf hagere, blondlockige, kurzberockte und langbefußte, grünverschleierte Misses; am Kapitol steigen statt der Scipionen und Gänse Nichts als englische Touristen „traf'U'v F«z»ol-i8 umher; im Alhambra und an den Klippen Nor¬ wegens dampft der englische Theekessel, umgeben von lebenSübcrdrüft Sigm Lords, gezierten Ladies -oder sparlustigen Stockjobbers; am Olymp und an der Hyppokrene schlürfen sie Soda-Water und, lesen die Papers, welche ihnen Kunde bringen vom Parlament und Fas- hion, Handel und Wandel, i-u:es oder Geldwechsel. Wie der letzte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/350
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/350>, abgerufen am 22.12.2024.