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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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diese sauberen poetischen Gebilde, und wenn in den späteren auch die
Frische und die volle Blüthenkraft der Phantasie einigermaßen im
Abnehmen ist, so athmet doch auch hier noch eine dichterisch vered-
lcnde Auffassung des Alltagslebens. Ihr Verfasser ist von Rechts,
wegen der Vater Frederika Bremer's, doch er würde gewiß sein Kind
verläugnen, wie die unnatürliche Mutter des Richard Savage. Die
feine, fast mikroskopische Beobachtung unscheinbarer, aber tief psycho¬
logischer Züge in den Erzählungen läßt auf eine Verfasserin schlie¬
ßen, während die krystallreine Form und die hohe Intelligenz andeu¬
ten: eine Männerhand müsse ordnend und ausführend über die schönen
Skizzen hingegangen sein. In der Kürze entwickelt, sind das die
Gründe, welche man dafür angibt, daß Heiberg's Mutter die Schö¬
pferin jener lieblichen Gebilde sei, denen ihr Sohn dann noch die
blitzenden Lichter und die gedankentiefen Schatten hinzugefügt habe.

Man zeihe mich nicht der Indiskretion, man denke nicht, ich
"volle den dichtgewebtem Schleier irgend einer seltenen Bescheidenheit
zerreißen, sondern ich erzähle nur, was man in Kopenhagen allge¬
mein darüber sagt. Und wohl mag es sein, daß man hier das
Rechte getroffen hat, denn die Gräfin Gyllenborg gehört unstrei¬
tig zu den merkwürdigsten Frauen unserer Zeit. Sie hat das Leben
geschaut in allen seinen prismatischen Abspiegelungen; tausendfältig
sind ihrem scharfen Auge die interessantesten Charaktere entgegenge¬
treten, und sie hat einen Schatz von Erfahrungen gesammelt. Schriebe
sie ihre Memoiren, so müßten dieselben von höchster Bedeutung sein,
denn seit mehr als fünfzig Jahren eristirte keine Berühmtheit in
Dänemark, der sie nicht persönlich nahe gestanden hätte.

Sie war zuerst an den Lustspieldichter und Politiker Peter An¬
dreas Heiberg (geb. 1758) vermählt, der jedem Dänen unverge߬
lich ist. In seinem Hause verkehrten Baggesen, Münter, Rahbeck,
Weyse und andere geistreiche Männer jener Zeit. Er gehörte aus
inniger Ueberzeugung zur liberalen Partei, und Alles, was er aus-
sprach, war so feurig, so gründlich und so wahr, daß es manch zar¬
tes Trommelfell sehr unangenehm berührte. Heiberg wurde durch
richterlichen Spruch aus dem Vaterlande verbannt, ging nach Paris
und bekam unter Napoleon eine Anstellung im Ministerium des Aus¬
wärtigen. Zwar glaubte er, daß seine Gattin ihm folgen würde,
allein si? trug auf Trennung an, was ihn tief betrübte. Als Na-


diese sauberen poetischen Gebilde, und wenn in den späteren auch die
Frische und die volle Blüthenkraft der Phantasie einigermaßen im
Abnehmen ist, so athmet doch auch hier noch eine dichterisch vered-
lcnde Auffassung des Alltagslebens. Ihr Verfasser ist von Rechts,
wegen der Vater Frederika Bremer's, doch er würde gewiß sein Kind
verläugnen, wie die unnatürliche Mutter des Richard Savage. Die
feine, fast mikroskopische Beobachtung unscheinbarer, aber tief psycho¬
logischer Züge in den Erzählungen läßt auf eine Verfasserin schlie¬
ßen, während die krystallreine Form und die hohe Intelligenz andeu¬
ten: eine Männerhand müsse ordnend und ausführend über die schönen
Skizzen hingegangen sein. In der Kürze entwickelt, sind das die
Gründe, welche man dafür angibt, daß Heiberg's Mutter die Schö¬
pferin jener lieblichen Gebilde sei, denen ihr Sohn dann noch die
blitzenden Lichter und die gedankentiefen Schatten hinzugefügt habe.

Man zeihe mich nicht der Indiskretion, man denke nicht, ich
»volle den dichtgewebtem Schleier irgend einer seltenen Bescheidenheit
zerreißen, sondern ich erzähle nur, was man in Kopenhagen allge¬
mein darüber sagt. Und wohl mag es sein, daß man hier das
Rechte getroffen hat, denn die Gräfin Gyllenborg gehört unstrei¬
tig zu den merkwürdigsten Frauen unserer Zeit. Sie hat das Leben
geschaut in allen seinen prismatischen Abspiegelungen; tausendfältig
sind ihrem scharfen Auge die interessantesten Charaktere entgegenge¬
treten, und sie hat einen Schatz von Erfahrungen gesammelt. Schriebe
sie ihre Memoiren, so müßten dieselben von höchster Bedeutung sein,
denn seit mehr als fünfzig Jahren eristirte keine Berühmtheit in
Dänemark, der sie nicht persönlich nahe gestanden hätte.

Sie war zuerst an den Lustspieldichter und Politiker Peter An¬
dreas Heiberg (geb. 1758) vermählt, der jedem Dänen unverge߬
lich ist. In seinem Hause verkehrten Baggesen, Münter, Rahbeck,
Weyse und andere geistreiche Männer jener Zeit. Er gehörte aus
inniger Ueberzeugung zur liberalen Partei, und Alles, was er aus-
sprach, war so feurig, so gründlich und so wahr, daß es manch zar¬
tes Trommelfell sehr unangenehm berührte. Heiberg wurde durch
richterlichen Spruch aus dem Vaterlande verbannt, ging nach Paris
und bekam unter Napoleon eine Anstellung im Ministerium des Aus¬
wärtigen. Zwar glaubte er, daß seine Gattin ihm folgen würde,
allein si? trug auf Trennung an, was ihn tief betrübte. Als Na-


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[0344] diese sauberen poetischen Gebilde, und wenn in den späteren auch die Frische und die volle Blüthenkraft der Phantasie einigermaßen im Abnehmen ist, so athmet doch auch hier noch eine dichterisch vered- lcnde Auffassung des Alltagslebens. Ihr Verfasser ist von Rechts, wegen der Vater Frederika Bremer's, doch er würde gewiß sein Kind verläugnen, wie die unnatürliche Mutter des Richard Savage. Die feine, fast mikroskopische Beobachtung unscheinbarer, aber tief psycho¬ logischer Züge in den Erzählungen läßt auf eine Verfasserin schlie¬ ßen, während die krystallreine Form und die hohe Intelligenz andeu¬ ten: eine Männerhand müsse ordnend und ausführend über die schönen Skizzen hingegangen sein. In der Kürze entwickelt, sind das die Gründe, welche man dafür angibt, daß Heiberg's Mutter die Schö¬ pferin jener lieblichen Gebilde sei, denen ihr Sohn dann noch die blitzenden Lichter und die gedankentiefen Schatten hinzugefügt habe. Man zeihe mich nicht der Indiskretion, man denke nicht, ich »volle den dichtgewebtem Schleier irgend einer seltenen Bescheidenheit zerreißen, sondern ich erzähle nur, was man in Kopenhagen allge¬ mein darüber sagt. Und wohl mag es sein, daß man hier das Rechte getroffen hat, denn die Gräfin Gyllenborg gehört unstrei¬ tig zu den merkwürdigsten Frauen unserer Zeit. Sie hat das Leben geschaut in allen seinen prismatischen Abspiegelungen; tausendfältig sind ihrem scharfen Auge die interessantesten Charaktere entgegenge¬ treten, und sie hat einen Schatz von Erfahrungen gesammelt. Schriebe sie ihre Memoiren, so müßten dieselben von höchster Bedeutung sein, denn seit mehr als fünfzig Jahren eristirte keine Berühmtheit in Dänemark, der sie nicht persönlich nahe gestanden hätte. Sie war zuerst an den Lustspieldichter und Politiker Peter An¬ dreas Heiberg (geb. 1758) vermählt, der jedem Dänen unverge߬ lich ist. In seinem Hause verkehrten Baggesen, Münter, Rahbeck, Weyse und andere geistreiche Männer jener Zeit. Er gehörte aus inniger Ueberzeugung zur liberalen Partei, und Alles, was er aus- sprach, war so feurig, so gründlich und so wahr, daß es manch zar¬ tes Trommelfell sehr unangenehm berührte. Heiberg wurde durch richterlichen Spruch aus dem Vaterlande verbannt, ging nach Paris und bekam unter Napoleon eine Anstellung im Ministerium des Aus¬ wärtigen. Zwar glaubte er, daß seine Gattin ihm folgen würde, allein si? trug auf Trennung an, was ihn tief betrübte. Als Na-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/344>, abgerufen am 26.06.2024.