Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite
Die dänische Poesie der Gegenwart.
Bon Eduard Boas.



I.

Verhältniß der dänischen Poesie Zur deutschen- -- Waggesen. -- Oehlenschlä-
ger als Professor und als Dichter in zwei Sprachen. -- Bucher, der Dichter
von Jütland. -- Grundtvig. -- Ingemann's Tragödien. -- Hauch. -- Hei-
berg. -- Gräfin Gyllenborg.

Die dänische Poesie hat Ähnlichkeit mit einem jungen Mädchen.
Wir haben sie als blasses, scheues Kind gekannt und haben uns
seitdem kaum um sie bekümmert; sie schien uns nicht bedeutend ge¬
nug, ihr unsere Aufmerksamkeit zu widmen. Kehren wir jetzt zu ihr
zurück, so finden wir, überrascht, eine volle, feurige und schöne Jung¬
frau wieder, die sich in reicher Blüthe entfaltet hat und nur mit
halbem Ohr nach unseren Schmeicheleien hört. -- Früher, als Jens
Baggesen sich so in die deutsche Poesie stürzte, daß er darüber fast,
seine Muttersprache Vergaß; als Friederike Brun, gleich einer emsigen
Brieftaube, herüber und hinüber flatterte; als Oehlenschläger, ein
poetischer Dualist, für Dänen und für Deutsche dichtete, da knüpfte
ein festes Band die Literaturen beider Völker an einander. Längst
ist das Band morsch geworden, und wir wissen wenig mehr
von dänischen Schriftenthum in Deutschland. Nur aus einer ein¬
samen Literaturzeitung klingt hin und wieder ein tobendes Wort, ei¬
ner Stimme in der Wüste vergleichbar, und wissen wir auch genügende
Auskunft zu geben über russische, indische, persische und samojedischc
Poesie, so wurde uns doch der Reichthum unserer Stammverwand-
ren fremd. Bringen auch die Uebersetzer mitunter ein einzelnes Stück,
so ist ihre Einsicht doch keineswegs ausreichend, um die wichtigsten,
bezeichnendsten Leistungen zu wählen und uns dadurch einen vollen
Ueberblick des Fortschritts zu verschaffen.

Es wird aber wahrlich nochwendig, daß wir ernstlich anfangen,


Grcnztoten 184". I. 4Z
Die dänische Poesie der Gegenwart.
Bon Eduard Boas.



I.

Verhältniß der dänischen Poesie Zur deutschen- — Waggesen. — Oehlenschlä-
ger als Professor und als Dichter in zwei Sprachen. — Bucher, der Dichter
von Jütland. — Grundtvig. — Ingemann's Tragödien. — Hauch. — Hei-
berg. — Gräfin Gyllenborg.

Die dänische Poesie hat Ähnlichkeit mit einem jungen Mädchen.
Wir haben sie als blasses, scheues Kind gekannt und haben uns
seitdem kaum um sie bekümmert; sie schien uns nicht bedeutend ge¬
nug, ihr unsere Aufmerksamkeit zu widmen. Kehren wir jetzt zu ihr
zurück, so finden wir, überrascht, eine volle, feurige und schöne Jung¬
frau wieder, die sich in reicher Blüthe entfaltet hat und nur mit
halbem Ohr nach unseren Schmeicheleien hört. — Früher, als Jens
Baggesen sich so in die deutsche Poesie stürzte, daß er darüber fast,
seine Muttersprache Vergaß; als Friederike Brun, gleich einer emsigen
Brieftaube, herüber und hinüber flatterte; als Oehlenschläger, ein
poetischer Dualist, für Dänen und für Deutsche dichtete, da knüpfte
ein festes Band die Literaturen beider Völker an einander. Längst
ist das Band morsch geworden, und wir wissen wenig mehr
von dänischen Schriftenthum in Deutschland. Nur aus einer ein¬
samen Literaturzeitung klingt hin und wieder ein tobendes Wort, ei¬
ner Stimme in der Wüste vergleichbar, und wissen wir auch genügende
Auskunft zu geben über russische, indische, persische und samojedischc
Poesie, so wurde uns doch der Reichthum unserer Stammverwand-
ren fremd. Bringen auch die Uebersetzer mitunter ein einzelnes Stück,
so ist ihre Einsicht doch keineswegs ausreichend, um die wichtigsten,
bezeichnendsten Leistungen zu wählen und uns dadurch einen vollen
Ueberblick des Fortschritts zu verschaffen.

Es wird aber wahrlich nochwendig, daß wir ernstlich anfangen,


Grcnztoten 184«. I. 4Z
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180042"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die dänische Poesie der Gegenwart.<lb/><note type="byline"> Bon Eduard Boas.</note></head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> I.</head><lb/>
            <note type="argument"> Verhältniß der dänischen Poesie Zur deutschen- &#x2014; Waggesen. &#x2014; Oehlenschlä-<lb/>
ger als Professor und als Dichter in zwei Sprachen. &#x2014; Bucher, der Dichter<lb/>
von Jütland. &#x2014; Grundtvig. &#x2014; Ingemann's Tragödien. &#x2014; Hauch. &#x2014; Hei-<lb/>
berg. &#x2014; Gräfin Gyllenborg.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_829"> Die dänische Poesie hat Ähnlichkeit mit einem jungen Mädchen.<lb/>
Wir haben sie als blasses, scheues Kind gekannt und haben uns<lb/>
seitdem kaum um sie bekümmert; sie schien uns nicht bedeutend ge¬<lb/>
nug, ihr unsere Aufmerksamkeit zu widmen. Kehren wir jetzt zu ihr<lb/>
zurück, so finden wir, überrascht, eine volle, feurige und schöne Jung¬<lb/>
frau wieder, die sich in reicher Blüthe entfaltet hat und nur mit<lb/>
halbem Ohr nach unseren Schmeicheleien hört. &#x2014; Früher, als Jens<lb/>
Baggesen sich so in die deutsche Poesie stürzte, daß er darüber fast,<lb/>
seine Muttersprache Vergaß; als Friederike Brun, gleich einer emsigen<lb/>
Brieftaube, herüber und hinüber flatterte; als Oehlenschläger, ein<lb/>
poetischer Dualist, für Dänen und für Deutsche dichtete, da knüpfte<lb/>
ein festes Band die Literaturen beider Völker an einander. Längst<lb/>
ist das Band morsch geworden, und wir wissen wenig mehr<lb/>
von dänischen Schriftenthum in Deutschland. Nur aus einer ein¬<lb/>
samen Literaturzeitung klingt hin und wieder ein tobendes Wort, ei¬<lb/>
ner Stimme in der Wüste vergleichbar, und wissen wir auch genügende<lb/>
Auskunft zu geben über russische, indische, persische und samojedischc<lb/>
Poesie, so wurde uns doch der Reichthum unserer Stammverwand-<lb/>
ren fremd. Bringen auch die Uebersetzer mitunter ein einzelnes Stück,<lb/>
so ist ihre Einsicht doch keineswegs ausreichend, um die wichtigsten,<lb/>
bezeichnendsten Leistungen zu wählen und uns dadurch einen vollen<lb/>
Ueberblick des Fortschritts zu verschaffen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_830" next="#ID_831"> Es wird aber wahrlich nochwendig, daß wir ernstlich anfangen,</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"> Grcnztoten 184«. I. 4Z</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0329] Die dänische Poesie der Gegenwart. Bon Eduard Boas. I. Verhältniß der dänischen Poesie Zur deutschen- — Waggesen. — Oehlenschlä- ger als Professor und als Dichter in zwei Sprachen. — Bucher, der Dichter von Jütland. — Grundtvig. — Ingemann's Tragödien. — Hauch. — Hei- berg. — Gräfin Gyllenborg. Die dänische Poesie hat Ähnlichkeit mit einem jungen Mädchen. Wir haben sie als blasses, scheues Kind gekannt und haben uns seitdem kaum um sie bekümmert; sie schien uns nicht bedeutend ge¬ nug, ihr unsere Aufmerksamkeit zu widmen. Kehren wir jetzt zu ihr zurück, so finden wir, überrascht, eine volle, feurige und schöne Jung¬ frau wieder, die sich in reicher Blüthe entfaltet hat und nur mit halbem Ohr nach unseren Schmeicheleien hört. — Früher, als Jens Baggesen sich so in die deutsche Poesie stürzte, daß er darüber fast, seine Muttersprache Vergaß; als Friederike Brun, gleich einer emsigen Brieftaube, herüber und hinüber flatterte; als Oehlenschläger, ein poetischer Dualist, für Dänen und für Deutsche dichtete, da knüpfte ein festes Band die Literaturen beider Völker an einander. Längst ist das Band morsch geworden, und wir wissen wenig mehr von dänischen Schriftenthum in Deutschland. Nur aus einer ein¬ samen Literaturzeitung klingt hin und wieder ein tobendes Wort, ei¬ ner Stimme in der Wüste vergleichbar, und wissen wir auch genügende Auskunft zu geben über russische, indische, persische und samojedischc Poesie, so wurde uns doch der Reichthum unserer Stammverwand- ren fremd. Bringen auch die Uebersetzer mitunter ein einzelnes Stück, so ist ihre Einsicht doch keineswegs ausreichend, um die wichtigsten, bezeichnendsten Leistungen zu wählen und uns dadurch einen vollen Ueberblick des Fortschritts zu verschaffen. Es wird aber wahrlich nochwendig, daß wir ernstlich anfangen, Grcnztoten 184«. I. 4Z

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/329
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/329>, abgerufen am 26.06.2024.