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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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auf die schönwissenschaftlichc Literatur der Dänen unser Augenmerk
zu richten. Haben doch selbst die Franzosen, denen wir so gern ih-
ren Indifferentismus in Bezug auf Fremdes vorwerfen, bereits be¬
gonnen, sich mit derselben vertraut zu machen. Marmier eröffnete
ihnen eine Perspective auf die Geschichte jener Literatur und suchte
deren Bedeutung durch Uebersetzungen in helleres Licht zu setzen. Wie
lückenhaft und änfängerisch seine Versuche nun auch sein mögen, so
waren sie doch immer ein erster lobenswerther Schritt, der sich reich
belohnte. Denn die dänische Poesie ist ein duftiger Rosenzweig, der
auf den starken Eichstamm deutscher Dichtkunst gepropft ward und
der nun Blüthen von ganz eigenthümlicher Farbe und Frische tragt.

Der Uebergang von der alten zur neuen Schule ist bald bezeich¬
net, denn er geschah plötzlich. Jens Baggesen lehnte in ruhi¬
gem Behagen auf dem Thron der Poesie; seine Werke, ein Abdruck
französischer Liebenswürdigkeit und Eleganz, galten für das erfüllte
Ideal poetischer Schönheit und er wurde "der Sänger der Grazien"
genannt. Jetzt machen Baggesen's Gedichte zwar den Eindruck eines
Putzzimmcrs im Rococogeschmack, aber dennoch kam ihm jener Name
zu. Denn zwischen den goldenen Muschclschnörkeln, zwischen den
antiquirten Göttern und Nymphen, lauschen auf glattem Porzellan
gar liebliche, farbenheitcre Bilder, mit feinem Pinsel ausgeführt. Bag¬
gesen war immer graziös, selbst wenn er schilderte, wie seine Hel¬
dinnen sich ein Fußbad machen.

So saß er also auf dem Thron, ein überaus milder Herrscher.
Mit Szepter und Krone hielt er sein Mittagsschläfchen, nicht träu¬
mend, daß es Jemandem einfallen könnte, ihn zu verdrängen. Da
trat Oehlcnschläger still und anspruchslos aus. Baggesen freute
sich seiner, lobte seine Gedichte und hätschelte ihn, so lange er ihn
für gefahrlos hielt. Plötzlich schleuderte aber der junge Titan den
^Aladdin", diesen orientalischen Zauberberg voll klingender Goldadern,
in die Welt; er schrieb die wunderbar schöne "Helge", und ein be¬
geistertes Hosiannah wurde ihm von Dänemarko Jugend zugerufen.
Sie jauchzten, als der Zopf gefallen war, als sie statt des franzö¬
sischen Puderstaubs nun freie deutsche Bergluft athmeten. Aber
Baggesen runzelte die Stirn, sein Auge umwölkte sich und mit ge^
"waldigen Blitzen wollte er den kühnen Dtchtcrjüngling niederschmet¬
tern. Er richtete deshalb das kritische Schwert zunächst wider Och-


auf die schönwissenschaftlichc Literatur der Dänen unser Augenmerk
zu richten. Haben doch selbst die Franzosen, denen wir so gern ih-
ren Indifferentismus in Bezug auf Fremdes vorwerfen, bereits be¬
gonnen, sich mit derselben vertraut zu machen. Marmier eröffnete
ihnen eine Perspective auf die Geschichte jener Literatur und suchte
deren Bedeutung durch Uebersetzungen in helleres Licht zu setzen. Wie
lückenhaft und änfängerisch seine Versuche nun auch sein mögen, so
waren sie doch immer ein erster lobenswerther Schritt, der sich reich
belohnte. Denn die dänische Poesie ist ein duftiger Rosenzweig, der
auf den starken Eichstamm deutscher Dichtkunst gepropft ward und
der nun Blüthen von ganz eigenthümlicher Farbe und Frische tragt.

Der Uebergang von der alten zur neuen Schule ist bald bezeich¬
net, denn er geschah plötzlich. Jens Baggesen lehnte in ruhi¬
gem Behagen auf dem Thron der Poesie; seine Werke, ein Abdruck
französischer Liebenswürdigkeit und Eleganz, galten für das erfüllte
Ideal poetischer Schönheit und er wurde „der Sänger der Grazien"
genannt. Jetzt machen Baggesen's Gedichte zwar den Eindruck eines
Putzzimmcrs im Rococogeschmack, aber dennoch kam ihm jener Name
zu. Denn zwischen den goldenen Muschclschnörkeln, zwischen den
antiquirten Göttern und Nymphen, lauschen auf glattem Porzellan
gar liebliche, farbenheitcre Bilder, mit feinem Pinsel ausgeführt. Bag¬
gesen war immer graziös, selbst wenn er schilderte, wie seine Hel¬
dinnen sich ein Fußbad machen.

So saß er also auf dem Thron, ein überaus milder Herrscher.
Mit Szepter und Krone hielt er sein Mittagsschläfchen, nicht träu¬
mend, daß es Jemandem einfallen könnte, ihn zu verdrängen. Da
trat Oehlcnschläger still und anspruchslos aus. Baggesen freute
sich seiner, lobte seine Gedichte und hätschelte ihn, so lange er ihn
für gefahrlos hielt. Plötzlich schleuderte aber der junge Titan den
^Aladdin", diesen orientalischen Zauberberg voll klingender Goldadern,
in die Welt; er schrieb die wunderbar schöne „Helge", und ein be¬
geistertes Hosiannah wurde ihm von Dänemarko Jugend zugerufen.
Sie jauchzten, als der Zopf gefallen war, als sie statt des franzö¬
sischen Puderstaubs nun freie deutsche Bergluft athmeten. Aber
Baggesen runzelte die Stirn, sein Auge umwölkte sich und mit ge^
«waldigen Blitzen wollte er den kühnen Dtchtcrjüngling niederschmet¬
tern. Er richtete deshalb das kritische Schwert zunächst wider Och-


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[0330] auf die schönwissenschaftlichc Literatur der Dänen unser Augenmerk zu richten. Haben doch selbst die Franzosen, denen wir so gern ih- ren Indifferentismus in Bezug auf Fremdes vorwerfen, bereits be¬ gonnen, sich mit derselben vertraut zu machen. Marmier eröffnete ihnen eine Perspective auf die Geschichte jener Literatur und suchte deren Bedeutung durch Uebersetzungen in helleres Licht zu setzen. Wie lückenhaft und änfängerisch seine Versuche nun auch sein mögen, so waren sie doch immer ein erster lobenswerther Schritt, der sich reich belohnte. Denn die dänische Poesie ist ein duftiger Rosenzweig, der auf den starken Eichstamm deutscher Dichtkunst gepropft ward und der nun Blüthen von ganz eigenthümlicher Farbe und Frische tragt. Der Uebergang von der alten zur neuen Schule ist bald bezeich¬ net, denn er geschah plötzlich. Jens Baggesen lehnte in ruhi¬ gem Behagen auf dem Thron der Poesie; seine Werke, ein Abdruck französischer Liebenswürdigkeit und Eleganz, galten für das erfüllte Ideal poetischer Schönheit und er wurde „der Sänger der Grazien" genannt. Jetzt machen Baggesen's Gedichte zwar den Eindruck eines Putzzimmcrs im Rococogeschmack, aber dennoch kam ihm jener Name zu. Denn zwischen den goldenen Muschclschnörkeln, zwischen den antiquirten Göttern und Nymphen, lauschen auf glattem Porzellan gar liebliche, farbenheitcre Bilder, mit feinem Pinsel ausgeführt. Bag¬ gesen war immer graziös, selbst wenn er schilderte, wie seine Hel¬ dinnen sich ein Fußbad machen. So saß er also auf dem Thron, ein überaus milder Herrscher. Mit Szepter und Krone hielt er sein Mittagsschläfchen, nicht träu¬ mend, daß es Jemandem einfallen könnte, ihn zu verdrängen. Da trat Oehlcnschläger still und anspruchslos aus. Baggesen freute sich seiner, lobte seine Gedichte und hätschelte ihn, so lange er ihn für gefahrlos hielt. Plötzlich schleuderte aber der junge Titan den ^Aladdin", diesen orientalischen Zauberberg voll klingender Goldadern, in die Welt; er schrieb die wunderbar schöne „Helge", und ein be¬ geistertes Hosiannah wurde ihm von Dänemarko Jugend zugerufen. Sie jauchzten, als der Zopf gefallen war, als sie statt des franzö¬ sischen Puderstaubs nun freie deutsche Bergluft athmeten. Aber Baggesen runzelte die Stirn, sein Auge umwölkte sich und mit ge^ «waldigen Blitzen wollte er den kühnen Dtchtcrjüngling niederschmet¬ tern. Er richtete deshalb das kritische Schwert zunächst wider Och-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/330>, abgerufen am 26.06.2024.