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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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liebenswürdigen Coloß verbreiten, das, bei allem Glanz, ihm selbst
unangenehm sein dürfte. So wichtig übrigens die Kenntniß der inne¬
ren Zustände Rußlands ist, weil sich daraus auf seine äußere Poli¬
tik schließen läßt, so sehr wäre zu wünschen, daß in dieser letzteren
Beziehung mehr gethan würde. Unsere Staatsmänner und Diploma¬
ten aber sind zu vertrauensvoll und patriotisch, um der Nation etwas
von den Maßregeln zu sagen, die unsere Regierungen gegen die uiitcr-
minircnde Politik des Nordens treffen. Sehr wichtig wird ein Buch
von der tapfern Hand deS berühmten Magyaren Wcssclcnyi sein,
das sich mit Rußlands äußerer Politik beschäftigt und wovon eine
deutsche Uebersetzung angekündigt ist.

-- DaS hätte sich der fromme König David auch nicht träumen
lassen, daß seine Lieder einst in den Augen der russischen Censur keine
Gnade finden würden. In einem Exemplar der Psalmen (gedruckt
bei Landau in Prag), das auf Bestellung nach Rußland geschickt
wurde, riß der russische Censor mehrere Blätter heraus. Vielleicht glaubte
er, es stehe etwas gegen die Ukase zur Verweisung der Juden darin.
-- Eben so wurden in einer arabischen Ausgabe der Tausend und
Einen Nacht (Habicht in Breslau), von Leipzig aus nach Nußland
verschrieben -- ..wegen Obscönitatcn" -- auf's Gerathewohl mehrere
Blätter herausgerissen. Das ist die Censur auf dem Gipfel der Voll¬
kommenheit. Wir haben diese interessanten Censurrisse aus sehr guter
Quelle: von einem in Leipzig lebenden Gelehrten, der für einen Freund
in Rußland jene gefährlichen Bücher besorgt hatte.

-- Im russischen StaatSkalcndcr wird der Czar "regierender"
Herzog von Holstein und Schleswig genannt, während der König von
Dänemark blos als Herzog aufgeführt ist! Dieser StaatSkalcndcr er¬
scheint unter der Redaction und Aufsicht der Petersburger Academie
der Wissenschaften. Ein Brief von der Eider in der Augsburger All¬
gemeinen enthält darüber närrische Conjuncturcn und Datenzusammcn-
stcllungcn. Der Kieler Hafen, sagt man, kann die ganze russische Flotte
fassen und die englische dazu (?). In Deutschland ist überhaupt viel
Platz und doch nicht immer Raum für ein grcidcö Wort. -- Die
Sippschaftsverhältnissc, in die wir durch unsere zahlreichen kleinen Für¬
sten mit aller Welt kommen, werden nachgerade so verzwickt, daß sich
die Genealogen einmal die Köpfe zerbrechen werden. Die Erbfolgrechte,
die sich daraus ergeben, sind haarsträubend. Das wird einst noch ein
gordischer Knoten, den nur das Schwert zerhauen kann.

-- Die Deutsche Allgemeine Zeitung bewies unlängst klar und
deutlich, daß die kurhessische Regierung, durch den Hofrath Murhard
angehängten Prozeß, die bundestäglichcn Preßgesetze verletzt hat.
Nach der Preßgcsctzgcbung von 1819 mußte sich die kurhcssischc Re¬
gierung erst an die sächsische wenden, mit deren Censur das Welker'sche


liebenswürdigen Coloß verbreiten, das, bei allem Glanz, ihm selbst
unangenehm sein dürfte. So wichtig übrigens die Kenntniß der inne¬
ren Zustände Rußlands ist, weil sich daraus auf seine äußere Poli¬
tik schließen läßt, so sehr wäre zu wünschen, daß in dieser letzteren
Beziehung mehr gethan würde. Unsere Staatsmänner und Diploma¬
ten aber sind zu vertrauensvoll und patriotisch, um der Nation etwas
von den Maßregeln zu sagen, die unsere Regierungen gegen die uiitcr-
minircnde Politik des Nordens treffen. Sehr wichtig wird ein Buch
von der tapfern Hand deS berühmten Magyaren Wcssclcnyi sein,
das sich mit Rußlands äußerer Politik beschäftigt und wovon eine
deutsche Uebersetzung angekündigt ist.

— DaS hätte sich der fromme König David auch nicht träumen
lassen, daß seine Lieder einst in den Augen der russischen Censur keine
Gnade finden würden. In einem Exemplar der Psalmen (gedruckt
bei Landau in Prag), das auf Bestellung nach Rußland geschickt
wurde, riß der russische Censor mehrere Blätter heraus. Vielleicht glaubte
er, es stehe etwas gegen die Ukase zur Verweisung der Juden darin.
— Eben so wurden in einer arabischen Ausgabe der Tausend und
Einen Nacht (Habicht in Breslau), von Leipzig aus nach Nußland
verschrieben — ..wegen Obscönitatcn" — auf's Gerathewohl mehrere
Blätter herausgerissen. Das ist die Censur auf dem Gipfel der Voll¬
kommenheit. Wir haben diese interessanten Censurrisse aus sehr guter
Quelle: von einem in Leipzig lebenden Gelehrten, der für einen Freund
in Rußland jene gefährlichen Bücher besorgt hatte.

— Im russischen StaatSkalcndcr wird der Czar „regierender"
Herzog von Holstein und Schleswig genannt, während der König von
Dänemark blos als Herzog aufgeführt ist! Dieser StaatSkalcndcr er¬
scheint unter der Redaction und Aufsicht der Petersburger Academie
der Wissenschaften. Ein Brief von der Eider in der Augsburger All¬
gemeinen enthält darüber närrische Conjuncturcn und Datenzusammcn-
stcllungcn. Der Kieler Hafen, sagt man, kann die ganze russische Flotte
fassen und die englische dazu (?). In Deutschland ist überhaupt viel
Platz und doch nicht immer Raum für ein grcidcö Wort. — Die
Sippschaftsverhältnissc, in die wir durch unsere zahlreichen kleinen Für¬
sten mit aller Welt kommen, werden nachgerade so verzwickt, daß sich
die Genealogen einmal die Köpfe zerbrechen werden. Die Erbfolgrechte,
die sich daraus ergeben, sind haarsträubend. Das wird einst noch ein
gordischer Knoten, den nur das Schwert zerhauen kann.

— Die Deutsche Allgemeine Zeitung bewies unlängst klar und
deutlich, daß die kurhessische Regierung, durch den Hofrath Murhard
angehängten Prozeß, die bundestäglichcn Preßgesetze verletzt hat.
Nach der Preßgcsctzgcbung von 1819 mußte sich die kurhcssischc Re¬
gierung erst an die sächsische wenden, mit deren Censur das Welker'sche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/326>, abgerufen am 26.06.2024.