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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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damit dieser vor leeren Bänken lesen könne, während Kinkel die Zu¬
hörer hat. Risses's höchst bedeutende Persönlichkeit imponirt; die
ganze Fülle und Tiefe seiner Gedanken wirkt durch,sie noch blenden¬
der und hinreißender: dabei besitzt Nitzsch die seltene Eigenschaft, auch
den Gegnern gerecht sein zu können, und das ist wohl eins der be¬
sten Zeugnisse wahrer Wissenschaftlichkeit. Sein Aeußeres trägt eine
gewisse feierliche Würde, die weit entfernt ist von der gewöhnlichen
Pastorensalbung. Um so ärgerlicher macht sich der nämliche Habitus
bei Sack, wo er zur offenbaren Karrikatur verzerrt wird. Sack ist
ein echt preußischer Patriot, was sich ja bekanntlich mit Orthodoxie
ganz gut vereinigt. Den Fürsten Blücher möchte er um's Leben gern
canonisiren; weil der wilde Reitersmann aber doch durchaus nicht
nach Vorschrift der lutherischen Symbol" gelebt hat, so abstrahirt er
von dessen Persönlichkeit und meint, der Held sei blos als Werkzeug
in der Hand Gottes zu betrachten. -- Wer die Bonner evangelisch-
theologische Facultät kennt, wird übrigens erst das rechte Licht er¬
halten über viele sehr witzige, doch versteckte Anspielungen in Bruno
Bauer'S Posaune, so wie er sich's überhaupt wird erklären können,
wie dieser Philosoph gerade durch seine hiesige Stellung unter lau¬
ter Hyperorthodoren -- aus. Opposition -- in so crasse Extreme
sich schrauben konnte.

Unter den alten Bonner Celebritäten sind zwei des Contrastes
wegen neben einander zu stellen -- Arndt und A. W. von Schle¬
gel. In dem Einen das Bild des frisch und fröhlich in beinahe
jugendlicher Kraft noch fortgrünenden Alters, der Andere die trau¬
rige Figur eines geistig verschrumpften, abgestorbenen, vertrockneten
Menschen, den all seine früheren Tugenden verlassen haben, um ei¬
ner einzigen Untugend, der Eitelkeit, Platz zu machen. Die Roman¬
tiker haben doch fast sammt und sonders ein trauriges Ende er¬
lebt! Bei dem alten Arndt zu hospitiren ist eine wahre Freude.
Unter dem schneeweißen Haar schauen noch immer frische Wangen
und ein glänzendes, freundlich lächelndes Auge hervor, daß es Einen
unwillkürlich an seine Verse gemahnt:


"Dem Treue fest im Herzen sitzt
Und Freude hell im Auge blitzt!"

Sein Vortrag ist ungemein lebendig und nachdrucksvoll. Er liest


damit dieser vor leeren Bänken lesen könne, während Kinkel die Zu¬
hörer hat. Risses's höchst bedeutende Persönlichkeit imponirt; die
ganze Fülle und Tiefe seiner Gedanken wirkt durch,sie noch blenden¬
der und hinreißender: dabei besitzt Nitzsch die seltene Eigenschaft, auch
den Gegnern gerecht sein zu können, und das ist wohl eins der be¬
sten Zeugnisse wahrer Wissenschaftlichkeit. Sein Aeußeres trägt eine
gewisse feierliche Würde, die weit entfernt ist von der gewöhnlichen
Pastorensalbung. Um so ärgerlicher macht sich der nämliche Habitus
bei Sack, wo er zur offenbaren Karrikatur verzerrt wird. Sack ist
ein echt preußischer Patriot, was sich ja bekanntlich mit Orthodoxie
ganz gut vereinigt. Den Fürsten Blücher möchte er um's Leben gern
canonisiren; weil der wilde Reitersmann aber doch durchaus nicht
nach Vorschrift der lutherischen Symbol« gelebt hat, so abstrahirt er
von dessen Persönlichkeit und meint, der Held sei blos als Werkzeug
in der Hand Gottes zu betrachten. — Wer die Bonner evangelisch-
theologische Facultät kennt, wird übrigens erst das rechte Licht er¬
halten über viele sehr witzige, doch versteckte Anspielungen in Bruno
Bauer'S Posaune, so wie er sich's überhaupt wird erklären können,
wie dieser Philosoph gerade durch seine hiesige Stellung unter lau¬
ter Hyperorthodoren — aus. Opposition — in so crasse Extreme
sich schrauben konnte.

Unter den alten Bonner Celebritäten sind zwei des Contrastes
wegen neben einander zu stellen — Arndt und A. W. von Schle¬
gel. In dem Einen das Bild des frisch und fröhlich in beinahe
jugendlicher Kraft noch fortgrünenden Alters, der Andere die trau¬
rige Figur eines geistig verschrumpften, abgestorbenen, vertrockneten
Menschen, den all seine früheren Tugenden verlassen haben, um ei¬
ner einzigen Untugend, der Eitelkeit, Platz zu machen. Die Roman¬
tiker haben doch fast sammt und sonders ein trauriges Ende er¬
lebt! Bei dem alten Arndt zu hospitiren ist eine wahre Freude.
Unter dem schneeweißen Haar schauen noch immer frische Wangen
und ein glänzendes, freundlich lächelndes Auge hervor, daß es Einen
unwillkürlich an seine Verse gemahnt:


„Dem Treue fest im Herzen sitzt
Und Freude hell im Auge blitzt!"

Sein Vortrag ist ungemein lebendig und nachdrucksvoll. Er liest


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[0320] damit dieser vor leeren Bänken lesen könne, während Kinkel die Zu¬ hörer hat. Risses's höchst bedeutende Persönlichkeit imponirt; die ganze Fülle und Tiefe seiner Gedanken wirkt durch,sie noch blenden¬ der und hinreißender: dabei besitzt Nitzsch die seltene Eigenschaft, auch den Gegnern gerecht sein zu können, und das ist wohl eins der be¬ sten Zeugnisse wahrer Wissenschaftlichkeit. Sein Aeußeres trägt eine gewisse feierliche Würde, die weit entfernt ist von der gewöhnlichen Pastorensalbung. Um so ärgerlicher macht sich der nämliche Habitus bei Sack, wo er zur offenbaren Karrikatur verzerrt wird. Sack ist ein echt preußischer Patriot, was sich ja bekanntlich mit Orthodoxie ganz gut vereinigt. Den Fürsten Blücher möchte er um's Leben gern canonisiren; weil der wilde Reitersmann aber doch durchaus nicht nach Vorschrift der lutherischen Symbol« gelebt hat, so abstrahirt er von dessen Persönlichkeit und meint, der Held sei blos als Werkzeug in der Hand Gottes zu betrachten. — Wer die Bonner evangelisch- theologische Facultät kennt, wird übrigens erst das rechte Licht er¬ halten über viele sehr witzige, doch versteckte Anspielungen in Bruno Bauer'S Posaune, so wie er sich's überhaupt wird erklären können, wie dieser Philosoph gerade durch seine hiesige Stellung unter lau¬ ter Hyperorthodoren — aus. Opposition — in so crasse Extreme sich schrauben konnte. Unter den alten Bonner Celebritäten sind zwei des Contrastes wegen neben einander zu stellen — Arndt und A. W. von Schle¬ gel. In dem Einen das Bild des frisch und fröhlich in beinahe jugendlicher Kraft noch fortgrünenden Alters, der Andere die trau¬ rige Figur eines geistig verschrumpften, abgestorbenen, vertrockneten Menschen, den all seine früheren Tugenden verlassen haben, um ei¬ ner einzigen Untugend, der Eitelkeit, Platz zu machen. Die Roman¬ tiker haben doch fast sammt und sonders ein trauriges Ende er¬ lebt! Bei dem alten Arndt zu hospitiren ist eine wahre Freude. Unter dem schneeweißen Haar schauen noch immer frische Wangen und ein glänzendes, freundlich lächelndes Auge hervor, daß es Einen unwillkürlich an seine Verse gemahnt: „Dem Treue fest im Herzen sitzt Und Freude hell im Auge blitzt!" Sein Vortrag ist ungemein lebendig und nachdrucksvoll. Er liest

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/320>, abgerufen am 26.06.2024.