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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Schauspieler" gegenüber sich als strengen Contrahenten hinstellen, weil
sie immer solvent ist und es an Gage nicht fehlen läßt; dem Pub-
licum sucht sie sich durch Aufführung der namhaftesten neuen Stücke,
besonders freilich Lustspiele, beliebt zu machen. Daß sich das höhere
Drama nicht immer gleicher Sorgfalt erfreuen kann, obgleich auch
Tragödien mitunter nicht ohne Glück gegeben werden, ergibt sich von
selbst, wenn man erwägt, daß auch eine Oper zu unterhalten ist
und diese Vergleichungsweise, auch wenn sie nur sehr mäßig ist, zu
viele Opfer an Geld und Kräften in Anspruch nimmt; denn unsere
Bühne muß durch sich selbst bestehen und erhält durchaus keine hö-
here Unterstützung. Indeß fehlt es auch nicht an außergewöhnlichen
Erscheinungen, und wie uns früher Herr Kunst lind die Madame
Walter durch Gastspiele erfreut haben, thut es gegenwärtig Ham¬
burgs jetzige erste Sängerin Temoiselle Evers. Unter den enga-
girten Darstellern ist besonders ein Herr v, Sternwaldt zu nen¬
nen, dessen eigentlicher Name einer ausgezeichneten Familie unserer
einheimischen Aristokratie angehören soll, der ihr aber als Schau¬
spieler-- wenn das in der Welt überhaupt für möglich gehalten wird --
durchaus keine Schande macht, da er -- er hat sich besonders in Charakter-
und feineren Rollen gezeigt -- wirklichen Künstlerberuf zusahen scheint.

So habe ich denn ungefähr die Elemente angegeben, welche
das Kieler Leben bilden, und vielleicht nur noch Eius vergessen, weil
es gerade Winter ist, nämlich die schöne Lage unserer Stadt und
deren anmuthige Umgebungen. Aus dem Obigen mag man aber
schon schließen, daß sich hier zu Vieles vereinigt, als daß unsere
Stadt für ein "altes Nest" gelten könnte, in dem Alles in seinem al¬
ten Schlendrian ein Jahrzehent nach dem anderen ungefähr auf die¬
selbe Manier fortgeht. Vielmehr ist Kiel ein Ort der Bewegung,
der steten Spannung, fast Unruhe. Stets gibt es etwas Neues,
welches das Interesse in Anspruch nimmt, warum gekämpft, gezankt,
gejubelt, gezahlt wird. Immer wird gehofft, gehofft von einer Zu¬
kunft, welche unfehlbar in reichem Maße das einbringen soll, waS
die Gegenwart entbehrt, und daher sucht man oft auch mehr, diese
froh zu überwinden, als in ihr den klugen, aber mürrischen Haus¬
halter, der an künftige trübe Tage denkt, zu spielen.




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Schauspieler» gegenüber sich als strengen Contrahenten hinstellen, weil
sie immer solvent ist und es an Gage nicht fehlen läßt; dem Pub-
licum sucht sie sich durch Aufführung der namhaftesten neuen Stücke,
besonders freilich Lustspiele, beliebt zu machen. Daß sich das höhere
Drama nicht immer gleicher Sorgfalt erfreuen kann, obgleich auch
Tragödien mitunter nicht ohne Glück gegeben werden, ergibt sich von
selbst, wenn man erwägt, daß auch eine Oper zu unterhalten ist
und diese Vergleichungsweise, auch wenn sie nur sehr mäßig ist, zu
viele Opfer an Geld und Kräften in Anspruch nimmt; denn unsere
Bühne muß durch sich selbst bestehen und erhält durchaus keine hö-
here Unterstützung. Indeß fehlt es auch nicht an außergewöhnlichen
Erscheinungen, und wie uns früher Herr Kunst lind die Madame
Walter durch Gastspiele erfreut haben, thut es gegenwärtig Ham¬
burgs jetzige erste Sängerin Temoiselle Evers. Unter den enga-
girten Darstellern ist besonders ein Herr v, Sternwaldt zu nen¬
nen, dessen eigentlicher Name einer ausgezeichneten Familie unserer
einheimischen Aristokratie angehören soll, der ihr aber als Schau¬
spieler— wenn das in der Welt überhaupt für möglich gehalten wird —
durchaus keine Schande macht, da er — er hat sich besonders in Charakter-
und feineren Rollen gezeigt — wirklichen Künstlerberuf zusahen scheint.

So habe ich denn ungefähr die Elemente angegeben, welche
das Kieler Leben bilden, und vielleicht nur noch Eius vergessen, weil
es gerade Winter ist, nämlich die schöne Lage unserer Stadt und
deren anmuthige Umgebungen. Aus dem Obigen mag man aber
schon schließen, daß sich hier zu Vieles vereinigt, als daß unsere
Stadt für ein „altes Nest" gelten könnte, in dem Alles in seinem al¬
ten Schlendrian ein Jahrzehent nach dem anderen ungefähr auf die¬
selbe Manier fortgeht. Vielmehr ist Kiel ein Ort der Bewegung,
der steten Spannung, fast Unruhe. Stets gibt es etwas Neues,
welches das Interesse in Anspruch nimmt, warum gekämpft, gezankt,
gejubelt, gezahlt wird. Immer wird gehofft, gehofft von einer Zu¬
kunft, welche unfehlbar in reichem Maße das einbringen soll, waS
die Gegenwart entbehrt, und daher sucht man oft auch mehr, diese
froh zu überwinden, als in ihr den klugen, aber mürrischen Haus¬
halter, der an künftige trübe Tage denkt, zu spielen.




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[0315] Schauspieler» gegenüber sich als strengen Contrahenten hinstellen, weil sie immer solvent ist und es an Gage nicht fehlen läßt; dem Pub- licum sucht sie sich durch Aufführung der namhaftesten neuen Stücke, besonders freilich Lustspiele, beliebt zu machen. Daß sich das höhere Drama nicht immer gleicher Sorgfalt erfreuen kann, obgleich auch Tragödien mitunter nicht ohne Glück gegeben werden, ergibt sich von selbst, wenn man erwägt, daß auch eine Oper zu unterhalten ist und diese Vergleichungsweise, auch wenn sie nur sehr mäßig ist, zu viele Opfer an Geld und Kräften in Anspruch nimmt; denn unsere Bühne muß durch sich selbst bestehen und erhält durchaus keine hö- here Unterstützung. Indeß fehlt es auch nicht an außergewöhnlichen Erscheinungen, und wie uns früher Herr Kunst lind die Madame Walter durch Gastspiele erfreut haben, thut es gegenwärtig Ham¬ burgs jetzige erste Sängerin Temoiselle Evers. Unter den enga- girten Darstellern ist besonders ein Herr v, Sternwaldt zu nen¬ nen, dessen eigentlicher Name einer ausgezeichneten Familie unserer einheimischen Aristokratie angehören soll, der ihr aber als Schau¬ spieler— wenn das in der Welt überhaupt für möglich gehalten wird — durchaus keine Schande macht, da er — er hat sich besonders in Charakter- und feineren Rollen gezeigt — wirklichen Künstlerberuf zusahen scheint. So habe ich denn ungefähr die Elemente angegeben, welche das Kieler Leben bilden, und vielleicht nur noch Eius vergessen, weil es gerade Winter ist, nämlich die schöne Lage unserer Stadt und deren anmuthige Umgebungen. Aus dem Obigen mag man aber schon schließen, daß sich hier zu Vieles vereinigt, als daß unsere Stadt für ein „altes Nest" gelten könnte, in dem Alles in seinem al¬ ten Schlendrian ein Jahrzehent nach dem anderen ungefähr auf die¬ selbe Manier fortgeht. Vielmehr ist Kiel ein Ort der Bewegung, der steten Spannung, fast Unruhe. Stets gibt es etwas Neues, welches das Interesse in Anspruch nimmt, warum gekämpft, gezankt, gejubelt, gezahlt wird. Immer wird gehofft, gehofft von einer Zu¬ kunft, welche unfehlbar in reichem Maße das einbringen soll, waS die Gegenwart entbehrt, und daher sucht man oft auch mehr, diese froh zu überwinden, als in ihr den klugen, aber mürrischen Haus¬ halter, der an künftige trübe Tage denkt, zu spielen. 41*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/315>, abgerufen am 26.06.2024.