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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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-- Vermischte Nachrichten. In Frankreich wankt das Ministe¬
rium Guizot, in England das Ministcruim Peel; denn während der O'Con-
nellprozeß die irische Frage gewiß nicht lösen wirr, erhebt sich im Herzen
Altcnglands die Anticornlawlcaguc und verspricht neue Parteibildungen,
die zu naturwüchsig sein könnten, um gleich in daS parlamentarische Gleise
zu passen. In England und Frankreich, namentlich in letzterem, sind die
Ministcricnwcchsel eine Art politischer Weticrhahn; dieser dreht sich aber
nur zu oft beim leiseste" Lüftchen, so das, man sich nicht selten über
die Größe kommender Erschütterungen tauscht. Zu friedlichen Deutsch¬
land fehlt solch ein Wettcrzcichen, ein deutsches "Ministerium erzittert
nicht"; man kann sich bei uns umgekehrt täuschen. -- Die politische
Einsicht dringt immer breiter in die Massen, und damit wird hoffent¬
lich der moralische Muth kommen, der noch gar schwach ist. Sehr
dankbar sollte man daher für die Offenheit sein, mit der manche Re¬
gierungen von ihren Ncprcsfivmaßregcln Gebrauch macheu. Die kin¬
dischen Illusionen verschwinden immer mehr; zwar klagen die Patri¬
archalischen, daß die vertrauensvolle Gemnthlickkeit zwischen Völkern
und Regierungen aufhöre; aber man glaube nicht, daß die Deutschen
darum an Gemüth verlieren werden. Wo es gut angewendet ist, wird
es sich doppelt geltend machen. -- Zur politischen B.ilduug muß der
Grund zeitig gelegt werden; es ist daher natürlich , daß Studenten,
junge, wissenschaftlich angeregte Männer von 2t)--25 Jahren, sich um
Gesetz und Verfassung kümmern, besonder", wo es sie selbst betrifft.
In dem Maße, als die Studcntcnvcrsammluug"" durch den Mangel
aller Gcheimthucroi und Renommage einen ernsten gesetzlichen Sinn
verrathen, sollte anch die Strenge der Ueberwachung, Verbote und,
Hemmungen nachlassen. Man will aber wohl nur überall die politi¬
sche Entwicklung auf die Probe stellen? -- Ein preußischer Advocat
forderte seine College" auf, den, wissenschaftliche" Verein deutscher
Advceatcn in Mainz beizuwohnen. Der Justizminister Muster pro-
clamirt darauf ein Verbot, dieser gesetzwidrigen Aufforderung Folge zu
leisten und citirt einen.Paragraphen des sonst nicht immer giltigen Land-
rcchts. Es wird gewundene Artikel darüber regnen, wie immer. Die Deut¬
schen sind in solchen Fällen wie dn Mann in der bekannten Anekdote, der
da fragte: Soll das vielleicht eine Anspielung sein? Auch hier will
man nur die politische Reife erprobe" und fördern. -- Der Ver¬
fasser des Buches über Weidig ist Dr. Schulz in Zürich, der
die ischöne und gehaltvolle Schrift: "Bewegung der Production"
geschrieben hat. -- Alle polnischen Emigranten, die in der letzten
Revolution gegen Rußland gefochten und sich seitdem im Großherzog-
thum Posen angesiedelt, zum Theil verheirathet haben, sollen binnen
14 Tagen das Land verlassen!! ! -- Das neue preußische Ehc-
schcidungögcsetz" dessen Entwurf die ganze deutsche Presse in Feuer


— Vermischte Nachrichten. In Frankreich wankt das Ministe¬
rium Guizot, in England das Ministcruim Peel; denn während der O'Con-
nellprozeß die irische Frage gewiß nicht lösen wirr, erhebt sich im Herzen
Altcnglands die Anticornlawlcaguc und verspricht neue Parteibildungen,
die zu naturwüchsig sein könnten, um gleich in daS parlamentarische Gleise
zu passen. In England und Frankreich, namentlich in letzterem, sind die
Ministcricnwcchsel eine Art politischer Weticrhahn; dieser dreht sich aber
nur zu oft beim leiseste» Lüftchen, so das, man sich nicht selten über
die Größe kommender Erschütterungen tauscht. Zu friedlichen Deutsch¬
land fehlt solch ein Wettcrzcichen, ein deutsches „Ministerium erzittert
nicht"; man kann sich bei uns umgekehrt täuschen. — Die politische
Einsicht dringt immer breiter in die Massen, und damit wird hoffent¬
lich der moralische Muth kommen, der noch gar schwach ist. Sehr
dankbar sollte man daher für die Offenheit sein, mit der manche Re¬
gierungen von ihren Ncprcsfivmaßregcln Gebrauch macheu. Die kin¬
dischen Illusionen verschwinden immer mehr; zwar klagen die Patri¬
archalischen, daß die vertrauensvolle Gemnthlickkeit zwischen Völkern
und Regierungen aufhöre; aber man glaube nicht, daß die Deutschen
darum an Gemüth verlieren werden. Wo es gut angewendet ist, wird
es sich doppelt geltend machen. — Zur politischen B.ilduug muß der
Grund zeitig gelegt werden; es ist daher natürlich , daß Studenten,
junge, wissenschaftlich angeregte Männer von 2t)—25 Jahren, sich um
Gesetz und Verfassung kümmern, besonder«, wo es sie selbst betrifft.
In dem Maße, als die Studcntcnvcrsammluug«» durch den Mangel
aller Gcheimthucroi und Renommage einen ernsten gesetzlichen Sinn
verrathen, sollte anch die Strenge der Ueberwachung, Verbote und,
Hemmungen nachlassen. Man will aber wohl nur überall die politi¬
sche Entwicklung auf die Probe stellen? — Ein preußischer Advocat
forderte seine College» auf, den, wissenschaftliche» Verein deutscher
Advceatcn in Mainz beizuwohnen. Der Justizminister Muster pro-
clamirt darauf ein Verbot, dieser gesetzwidrigen Aufforderung Folge zu
leisten und citirt einen.Paragraphen des sonst nicht immer giltigen Land-
rcchts. Es wird gewundene Artikel darüber regnen, wie immer. Die Deut¬
schen sind in solchen Fällen wie dn Mann in der bekannten Anekdote, der
da fragte: Soll das vielleicht eine Anspielung sein? Auch hier will
man nur die politische Reife erprobe» und fördern. — Der Ver¬
fasser des Buches über Weidig ist Dr. Schulz in Zürich, der
die ischöne und gehaltvolle Schrift: „Bewegung der Production"
geschrieben hat. — Alle polnischen Emigranten, die in der letzten
Revolution gegen Rußland gefochten und sich seitdem im Großherzog-
thum Posen angesiedelt, zum Theil verheirathet haben, sollen binnen
14 Tagen das Land verlassen!! ! — Das neue preußische Ehc-
schcidungögcsetz» dessen Entwurf die ganze deutsche Presse in Feuer


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[0294] — Vermischte Nachrichten. In Frankreich wankt das Ministe¬ rium Guizot, in England das Ministcruim Peel; denn während der O'Con- nellprozeß die irische Frage gewiß nicht lösen wirr, erhebt sich im Herzen Altcnglands die Anticornlawlcaguc und verspricht neue Parteibildungen, die zu naturwüchsig sein könnten, um gleich in daS parlamentarische Gleise zu passen. In England und Frankreich, namentlich in letzterem, sind die Ministcricnwcchsel eine Art politischer Weticrhahn; dieser dreht sich aber nur zu oft beim leiseste» Lüftchen, so das, man sich nicht selten über die Größe kommender Erschütterungen tauscht. Zu friedlichen Deutsch¬ land fehlt solch ein Wettcrzcichen, ein deutsches „Ministerium erzittert nicht"; man kann sich bei uns umgekehrt täuschen. — Die politische Einsicht dringt immer breiter in die Massen, und damit wird hoffent¬ lich der moralische Muth kommen, der noch gar schwach ist. Sehr dankbar sollte man daher für die Offenheit sein, mit der manche Re¬ gierungen von ihren Ncprcsfivmaßregcln Gebrauch macheu. Die kin¬ dischen Illusionen verschwinden immer mehr; zwar klagen die Patri¬ archalischen, daß die vertrauensvolle Gemnthlickkeit zwischen Völkern und Regierungen aufhöre; aber man glaube nicht, daß die Deutschen darum an Gemüth verlieren werden. Wo es gut angewendet ist, wird es sich doppelt geltend machen. — Zur politischen B.ilduug muß der Grund zeitig gelegt werden; es ist daher natürlich , daß Studenten, junge, wissenschaftlich angeregte Männer von 2t)—25 Jahren, sich um Gesetz und Verfassung kümmern, besonder«, wo es sie selbst betrifft. In dem Maße, als die Studcntcnvcrsammluug«» durch den Mangel aller Gcheimthucroi und Renommage einen ernsten gesetzlichen Sinn verrathen, sollte anch die Strenge der Ueberwachung, Verbote und, Hemmungen nachlassen. Man will aber wohl nur überall die politi¬ sche Entwicklung auf die Probe stellen? — Ein preußischer Advocat forderte seine College» auf, den, wissenschaftliche» Verein deutscher Advceatcn in Mainz beizuwohnen. Der Justizminister Muster pro- clamirt darauf ein Verbot, dieser gesetzwidrigen Aufforderung Folge zu leisten und citirt einen.Paragraphen des sonst nicht immer giltigen Land- rcchts. Es wird gewundene Artikel darüber regnen, wie immer. Die Deut¬ schen sind in solchen Fällen wie dn Mann in der bekannten Anekdote, der da fragte: Soll das vielleicht eine Anspielung sein? Auch hier will man nur die politische Reife erprobe» und fördern. — Der Ver¬ fasser des Buches über Weidig ist Dr. Schulz in Zürich, der die ischöne und gehaltvolle Schrift: „Bewegung der Production" geschrieben hat. — Alle polnischen Emigranten, die in der letzten Revolution gegen Rußland gefochten und sich seitdem im Großherzog- thum Posen angesiedelt, zum Theil verheirathet haben, sollen binnen 14 Tagen das Land verlassen!! ! — Das neue preußische Ehc- schcidungögcsetz» dessen Entwurf die ganze deutsche Presse in Feuer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/294>, abgerufen am 26.06.2024.