Uebrigens bietet der Wiener Carneval manches eigenthümliche Bild, welches einer bessern Feder würdig wäre als die, welche für die hiesi¬ gen Blatter die sogenannten "Humoresken" schreiben. So z. B. fin¬ det man während des ganzen Faschings an jedem Sonnabend vor einem Gasthofe deS Glacis (zur Stadt Belgrad) ein Gedränge von fünf bis sechshundert Menschen, mit Geigen, Clarinetten, Blas- und Streich-Instrumenten bewaffnet, und zwischen ihnen eine Menge An¬ derer, die gcsticuliren, schreien, Handschlag geben u. s. w. Es sind nämlich dies die Musikanten der Stadt Wien, die hier für die ganze nächste Woche engagirt werden. Hier completiren Strauß und die andern "Walzcrhcrocu" ihre durch die vielen Strapazen defect gewor¬ denen Orchester, hierher kommen die Hauthofmeis.er der verschiedenen Palais, um sür diesen oder jenen Battabcnd die gehörigen Truppen zu werben; hierher endlich die Wirthe aus den umliegenden Dörfern, um den nöthigen Bedarf an ,,Vratelgcigcrn" ein Paar Meilen weit zu entführen. Da wird denn geboten, überboten, gefeilscht, abgeführt; Quartetten, Quintetten, Sextetten. ES ist ein musikalischer Sklaven¬ markt, ein Bazar, der seines Gleiche" sucht.
Vor dem Abgänge dieses Briefes ist noch meine letzte Prophe- zeihung in Erfüllung gegangen, daS Lustspiel "Cäsario" ist auf eine solche eclatante Weise durchgefallen, wie selten noch ein Fall vorkam. Das Publicum begnügte sich nicht damit, das Stück auszulachen, son¬ dern es verhöhnte es förmlich. Als der eine Schauspiel:r sagte: "Will man uns hier mit Phrasen massacrircu?" da brach Alles in ein lautes Hallo aus, rief "Bravo! gut gesagt!" und als vollends Madame Naumann später zu sagen hatte: "Wann wird diese Ko" noble denn endlich ein Ende nehmen?" da ging der Spektakel erst recht los. Und dieses im Burgtheater, wo man nur die Elite des Publicums findet. Dies ist ein schlimmes Zeichen für eine Anstalt, die sonst einen großen Nimbus hatte. Es wird die Direktion leh¬ ren, daß man der Zeit nicht trotzen darf, indem man alle längst vergessenen Stücke aus dem Grabe heraufbeschwört und daß die Bühne nur durch Förderung junger Kräfte gedeihen und sich er¬ halten kann.
Einen wichtigen Erfolg hatte übrigens der unglückliche Ausgang des Cäsario darin, daß der Minister Herr Graf Kolowrath, der sich für das Hofburgthcatcr ganz besonders interessirt, dem Kaiser einen Plan vorlegte, nach welchem den dramatischen Dichtern aller mögliche Vorschub geleistet werden soll und sie, so weit äußere Aufmunterung das Talent fördern kann, durch erhöheten Ehrensold und Auszeichnungen aller Art (nicht zu vergessen Censur-Erleichterung!) bestimmt werden ins-
Uebrigens bietet der Wiener Carneval manches eigenthümliche Bild, welches einer bessern Feder würdig wäre als die, welche für die hiesi¬ gen Blatter die sogenannten „Humoresken" schreiben. So z. B. fin¬ det man während des ganzen Faschings an jedem Sonnabend vor einem Gasthofe deS Glacis (zur Stadt Belgrad) ein Gedränge von fünf bis sechshundert Menschen, mit Geigen, Clarinetten, Blas- und Streich-Instrumenten bewaffnet, und zwischen ihnen eine Menge An¬ derer, die gcsticuliren, schreien, Handschlag geben u. s. w. Es sind nämlich dies die Musikanten der Stadt Wien, die hier für die ganze nächste Woche engagirt werden. Hier completiren Strauß und die andern „Walzcrhcrocu" ihre durch die vielen Strapazen defect gewor¬ denen Orchester, hierher kommen die Hauthofmeis.er der verschiedenen Palais, um sür diesen oder jenen Battabcnd die gehörigen Truppen zu werben; hierher endlich die Wirthe aus den umliegenden Dörfern, um den nöthigen Bedarf an ,,Vratelgcigcrn" ein Paar Meilen weit zu entführen. Da wird denn geboten, überboten, gefeilscht, abgeführt; Quartetten, Quintetten, Sextetten. ES ist ein musikalischer Sklaven¬ markt, ein Bazar, der seines Gleiche» sucht.
Vor dem Abgänge dieses Briefes ist noch meine letzte Prophe- zeihung in Erfüllung gegangen, daS Lustspiel „Cäsario" ist auf eine solche eclatante Weise durchgefallen, wie selten noch ein Fall vorkam. Das Publicum begnügte sich nicht damit, das Stück auszulachen, son¬ dern es verhöhnte es förmlich. Als der eine Schauspiel:r sagte: „Will man uns hier mit Phrasen massacrircu?" da brach Alles in ein lautes Hallo aus, rief „Bravo! gut gesagt!" und als vollends Madame Naumann später zu sagen hatte: „Wann wird diese Ko» noble denn endlich ein Ende nehmen?" da ging der Spektakel erst recht los. Und dieses im Burgtheater, wo man nur die Elite des Publicums findet. Dies ist ein schlimmes Zeichen für eine Anstalt, die sonst einen großen Nimbus hatte. Es wird die Direktion leh¬ ren, daß man der Zeit nicht trotzen darf, indem man alle längst vergessenen Stücke aus dem Grabe heraufbeschwört und daß die Bühne nur durch Förderung junger Kräfte gedeihen und sich er¬ halten kann.
Einen wichtigen Erfolg hatte übrigens der unglückliche Ausgang des Cäsario darin, daß der Minister Herr Graf Kolowrath, der sich für das Hofburgthcatcr ganz besonders interessirt, dem Kaiser einen Plan vorlegte, nach welchem den dramatischen Dichtern aller mögliche Vorschub geleistet werden soll und sie, so weit äußere Aufmunterung das Talent fördern kann, durch erhöheten Ehrensold und Auszeichnungen aller Art (nicht zu vergessen Censur-Erleichterung!) bestimmt werden ins-
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Uebrigens bietet der Wiener Carneval manches eigenthümliche Bild,
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gen Blatter die sogenannten „Humoresken" schreiben. So z. B. fin¬
det man während des ganzen Faschings an jedem Sonnabend vor
einem Gasthofe deS Glacis (zur Stadt Belgrad) ein Gedränge von
fünf bis sechshundert Menschen, mit Geigen, Clarinetten, Blas- und
Streich-Instrumenten bewaffnet, und zwischen ihnen eine Menge An¬
derer, die gcsticuliren, schreien, Handschlag geben u. s. w. Es sind
nämlich dies die Musikanten der Stadt Wien, die hier für die ganze
nächste Woche engagirt werden. Hier completiren Strauß und die
andern „Walzcrhcrocu" ihre durch die vielen Strapazen defect gewor¬
denen Orchester, hierher kommen die Hauthofmeis.er der verschiedenen
Palais, um sür diesen oder jenen Battabcnd die gehörigen Truppen
zu werben; hierher endlich die Wirthe aus den umliegenden Dörfern,
um den nöthigen Bedarf an ,,Vratelgcigcrn" ein Paar Meilen weit
zu entführen. Da wird denn geboten, überboten, gefeilscht, abgeführt;
Quartetten, Quintetten, Sextetten. ES ist ein musikalischer Sklaven¬
markt, ein Bazar, der seines Gleiche» sucht.
Vor dem Abgänge dieses Briefes ist noch meine letzte Prophe-
zeihung in Erfüllung gegangen, daS Lustspiel „Cäsario" ist auf eine
solche eclatante Weise durchgefallen, wie selten noch ein Fall vorkam.
Das Publicum begnügte sich nicht damit, das Stück auszulachen, son¬
dern es verhöhnte es förmlich. Als der eine Schauspiel:r sagte:
„Will man uns hier mit Phrasen massacrircu?" da brach Alles in
ein lautes Hallo aus, rief „Bravo! gut gesagt!" und als vollends
Madame Naumann später zu sagen hatte: „Wann wird diese Ko»
noble denn endlich ein Ende nehmen?" da ging der Spektakel erst
recht los. Und dieses im Burgtheater, wo man nur die Elite des
Publicums findet. Dies ist ein schlimmes Zeichen für eine Anstalt,
die sonst einen großen Nimbus hatte. Es wird die Direktion leh¬
ren, daß man der Zeit nicht trotzen darf, indem man alle
längst vergessenen Stücke aus dem Grabe heraufbeschwört und daß
die Bühne nur durch Förderung junger Kräfte gedeihen und sich er¬
halten kann.
Einen wichtigen Erfolg hatte übrigens der unglückliche Ausgang
des Cäsario darin, daß der Minister Herr Graf Kolowrath, der sich
für das Hofburgthcatcr ganz besonders interessirt, dem Kaiser einen
Plan vorlegte, nach welchem den dramatischen Dichtern
aller mögliche Vorschub geleistet werden soll und sie,
so weit äußere Aufmunterung das Talent fördern kann,
durch erhöheten Ehrensold und Auszeichnungen aller
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/291>, abgerufen am 22.12.2024.
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