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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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mente's, die in der französische" Literaturgeschichte von großer Bev
deutung ist und ihre Anhänger Kotz des Drei-Einheiten-Zopfs noch
heute hat. Aber tvaö ist uns Deutschen die Bühne Racine's? Was
sind uns die drei Einheiten? In Frankreich lobte man den schönen
klappenden Alexandriner Ponsard'ö; was soll uns aber bei den über¬
setzten Jamben des Herrn Gabriel Seidl reizen? Oder will man uns
"vieler in die trübselige Zeit Gottsched's zurückversetzen?") Halm's Sam-
piers wird, trotzdem daß sein Erfolg blos ein "nov"" Ä'esUilil- war,
dennoch bereits zum siebenten Male bei vollem Hause gegeben. Lernen
Sie daraus unser Burgtheater schätzen. Nach Berlin hat Halm sein
Stück nicht gesandt, da er dort keinen passenden Darsteller für seinen
Helden weiß. Er ist bereits hinter einer neuen Arbeit her; abermals
ein fünfactigcs Stück; Atti la. Dies ist nun der zweite Wiener Dich¬
ter, der sich an diesen Stoff macht, da bekanntlich Zacharias Werner
auch einen Attila geschrieben hat.

Carnevalsneuigkeiten weiß ich nicht zu melden, fühle auch kei¬
nen Beruf, an diesem Gegenstände zum Historiographen zu werden.
Die hiesigen Journale füllen ohnehin ihre Spalten mit ellenlangen
Berichten über die Bälle beim spert, beim Sträuße! und wie die
großartigen Salons alle heißen, wo die hiesigen "Referenten" mittelst
eines Gratisbillcts Zutritt erhalten, um dann in das Horn der Fama
zu stoßen. Ueber die Bälle und Soireen, die allenfalls eine Art po¬
litisches Interesse haben, wegen der Personen, die man da zu Gesicht
bekommt, wie beim Fürsten Metternich, beim französischen Gesandten,
beim Grafen Scchcnv liest man allerdings sehr wenig d. h. keine
Silbe, denn dahin werden die Herrn "Referenten" nicht geladen. ES
ist auch nicht viel verloren. Aber man sollte auch über das Uebrige
schweigen, denn das alte Lied-:


Und beim spert
Sitzt a Heri

weiß schon ganz Wien auswendig. Einen komischen Eindruck macht
es übrigens, wenn man auf diesen Volksbällen, wo nur der Commis
und die Grisette tanzen, den Fürsten Milosch von Serbien on ^liiinlv
nnrncie umhcrstcigen sieht, ein halbes Dutzend Sterne auf der Brust und
den Nischan Jftahar um den Hals, oder wenn man auf der Redoute den
bildhübschen türkischen Gesandten von allerhand leichtfüßigen, cnga-
gementSlustigcn Masken umschwärmt sieht, die alle wünschen, im
Abendlande Sr. Excellenz eine Fortsetzung seines orientalischen Sc-
railö zu bieten.



*) Wie wir hören, soll diese französische Uebersetzung zum Beresina der
Regisseure -- eine Art von Festabend im Burgtheater gegeben werden. Und
doch liegen mehrere deutsche Stücke: Schwert und Zopf -e. vor. Beschütze die
deutschen Künstler, Literatur!

mente's, die in der französische» Literaturgeschichte von großer Bev
deutung ist und ihre Anhänger Kotz des Drei-Einheiten-Zopfs noch
heute hat. Aber tvaö ist uns Deutschen die Bühne Racine's? Was
sind uns die drei Einheiten? In Frankreich lobte man den schönen
klappenden Alexandriner Ponsard'ö; was soll uns aber bei den über¬
setzten Jamben des Herrn Gabriel Seidl reizen? Oder will man uns
»vieler in die trübselige Zeit Gottsched's zurückversetzen?") Halm's Sam-
piers wird, trotzdem daß sein Erfolg blos ein «nov»« Ä'esUilil- war,
dennoch bereits zum siebenten Male bei vollem Hause gegeben. Lernen
Sie daraus unser Burgtheater schätzen. Nach Berlin hat Halm sein
Stück nicht gesandt, da er dort keinen passenden Darsteller für seinen
Helden weiß. Er ist bereits hinter einer neuen Arbeit her; abermals
ein fünfactigcs Stück; Atti la. Dies ist nun der zweite Wiener Dich¬
ter, der sich an diesen Stoff macht, da bekanntlich Zacharias Werner
auch einen Attila geschrieben hat.

Carnevalsneuigkeiten weiß ich nicht zu melden, fühle auch kei¬
nen Beruf, an diesem Gegenstände zum Historiographen zu werden.
Die hiesigen Journale füllen ohnehin ihre Spalten mit ellenlangen
Berichten über die Bälle beim spert, beim Sträuße! und wie die
großartigen Salons alle heißen, wo die hiesigen „Referenten" mittelst
eines Gratisbillcts Zutritt erhalten, um dann in das Horn der Fama
zu stoßen. Ueber die Bälle und Soireen, die allenfalls eine Art po¬
litisches Interesse haben, wegen der Personen, die man da zu Gesicht
bekommt, wie beim Fürsten Metternich, beim französischen Gesandten,
beim Grafen Scchcnv liest man allerdings sehr wenig d. h. keine
Silbe, denn dahin werden die Herrn „Referenten" nicht geladen. ES
ist auch nicht viel verloren. Aber man sollte auch über das Uebrige
schweigen, denn das alte Lied-:


Und beim spert
Sitzt a Heri

weiß schon ganz Wien auswendig. Einen komischen Eindruck macht
es übrigens, wenn man auf diesen Volksbällen, wo nur der Commis
und die Grisette tanzen, den Fürsten Milosch von Serbien on ^liiinlv
nnrncie umhcrstcigen sieht, ein halbes Dutzend Sterne auf der Brust und
den Nischan Jftahar um den Hals, oder wenn man auf der Redoute den
bildhübschen türkischen Gesandten von allerhand leichtfüßigen, cnga-
gementSlustigcn Masken umschwärmt sieht, die alle wünschen, im
Abendlande Sr. Excellenz eine Fortsetzung seines orientalischen Sc-
railö zu bieten.



*) Wie wir hören, soll diese französische Uebersetzung zum Beresina der
Regisseure — eine Art von Festabend im Burgtheater gegeben werden. Und
doch liegen mehrere deutsche Stücke: Schwert und Zopf -e. vor. Beschütze die
deutschen Künstler, Literatur!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/290>, abgerufen am 26.06.2024.