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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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welches er dem Staatsdienste schlug -- verschaffte. Das Reisen,
das Correspondiren wirkt endlich ermüdend; die treibende Feder des
Geistes, die producirende Feder des Korrespondenten erlahmen, und
Dingelstedt war wohl zu klug, als 'daß er geschmiert hätte, wo er
nicht mehr zu schreiben wußte. Was thun? Vom heimathlichen
Staatsdienst hatte er sich losgerissen. Das Publicum liebte seine
Muse, hatte jedoch keinen Anlaß, sich mit seinen Enstcnzsorgen zu be¬
fassen. Und doch war ihm der Umgang mit feinen Leuten, die Be¬
wegung in netten gesellschaftlichen Formen längst Bedürfniß gewor¬
den, hatte ihn geistig und materiell verwöhnt. Jetzt mußte er wählen
zwischen dem Entschluß der Entbehrung,, der angestrengten, häufig
undankbaren Arbeit einerseits, der ruhigen, seinen Neigungen entspre¬
chenden, seinen Studien förderlichen Lage andrerseits. Wollte er auch
jenen harten Entschluß fassen, so mußte er noch über eine wichtige
Frage mit sich zu Rathe gehen.

Fühlte er sich den Anstrengungen gewachsen, womit ihn jene
Wahl bedrohte? Wer kennt nicht das Schwankende der Volksgunst?
Wo findet der Neid keine Poren, der Haß keine Waffen? Ist nicht
das Publicum, so lange nicht ein ganz offenbares Märtyrthum sein
Mitleiden erweckt, ein unersättlicher Magen, kaum hat es einen ersten
Band verschluckt, so lechzt es nach dein zweiten, vergißt den ersten?
Gönnt es einem Schriftsteller, welcher an den Interessen des Tages
arbeitet, Ruhe, wenn er der Ruhe bedarf? Gestattet es ihm, auf
seiue Vergangenheit zu verweisen? Nein, die Zeit und das Be¬
dürfniß stürmen fort, die Organe an ihrer Spitze immer vorwärts¬
drängend und versagt ihnen die Kraft, so wirft der Andrang sie nieder,
geht über sie hin, läßt sie vergessen zurück.

Freilich rechtfertigt daS Alles nicht die Schwachheit, seinen Be¬
ruf zu verläugnen. Wer der Freiheit dient, darf sein Schwert nicht
um der Volksgunst willen tragen: die Freiheit ist Selbstzweck, lebt
sie doch als Ideal im Bewußtsein der Welt von Geschlecht zu Ge¬
schlecht und fällt für die geläuterte Anschauung zusammen mit der
Religion. Also nicht die Popularität, sondern der Grund, worauf
die Popularität ruht, muß uus leiten; nicht für die Menschen, sondern
für ihre Bestimmung, wie sie dem Einen weniger, dem Andern mehr
klar ist, müssen wir arbeiten. Mögen die Menschen unserer Umge¬
bung, welche eine politische Ueberzeugung mit uns theilen, uns nach


welches er dem Staatsdienste schlug — verschaffte. Das Reisen,
das Correspondiren wirkt endlich ermüdend; die treibende Feder des
Geistes, die producirende Feder des Korrespondenten erlahmen, und
Dingelstedt war wohl zu klug, als 'daß er geschmiert hätte, wo er
nicht mehr zu schreiben wußte. Was thun? Vom heimathlichen
Staatsdienst hatte er sich losgerissen. Das Publicum liebte seine
Muse, hatte jedoch keinen Anlaß, sich mit seinen Enstcnzsorgen zu be¬
fassen. Und doch war ihm der Umgang mit feinen Leuten, die Be¬
wegung in netten gesellschaftlichen Formen längst Bedürfniß gewor¬
den, hatte ihn geistig und materiell verwöhnt. Jetzt mußte er wählen
zwischen dem Entschluß der Entbehrung,, der angestrengten, häufig
undankbaren Arbeit einerseits, der ruhigen, seinen Neigungen entspre¬
chenden, seinen Studien förderlichen Lage andrerseits. Wollte er auch
jenen harten Entschluß fassen, so mußte er noch über eine wichtige
Frage mit sich zu Rathe gehen.

Fühlte er sich den Anstrengungen gewachsen, womit ihn jene
Wahl bedrohte? Wer kennt nicht das Schwankende der Volksgunst?
Wo findet der Neid keine Poren, der Haß keine Waffen? Ist nicht
das Publicum, so lange nicht ein ganz offenbares Märtyrthum sein
Mitleiden erweckt, ein unersättlicher Magen, kaum hat es einen ersten
Band verschluckt, so lechzt es nach dein zweiten, vergißt den ersten?
Gönnt es einem Schriftsteller, welcher an den Interessen des Tages
arbeitet, Ruhe, wenn er der Ruhe bedarf? Gestattet es ihm, auf
seiue Vergangenheit zu verweisen? Nein, die Zeit und das Be¬
dürfniß stürmen fort, die Organe an ihrer Spitze immer vorwärts¬
drängend und versagt ihnen die Kraft, so wirft der Andrang sie nieder,
geht über sie hin, läßt sie vergessen zurück.

Freilich rechtfertigt daS Alles nicht die Schwachheit, seinen Be¬
ruf zu verläugnen. Wer der Freiheit dient, darf sein Schwert nicht
um der Volksgunst willen tragen: die Freiheit ist Selbstzweck, lebt
sie doch als Ideal im Bewußtsein der Welt von Geschlecht zu Ge¬
schlecht und fällt für die geläuterte Anschauung zusammen mit der
Religion. Also nicht die Popularität, sondern der Grund, worauf
die Popularität ruht, muß uus leiten; nicht für die Menschen, sondern
für ihre Bestimmung, wie sie dem Einen weniger, dem Andern mehr
klar ist, müssen wir arbeiten. Mögen die Menschen unserer Umge¬
bung, welche eine politische Ueberzeugung mit uns theilen, uns nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/281>, abgerufen am 26.06.2024.