welches er dem Staatsdienste schlug -- verschaffte. Das Reisen, das Correspondiren wirkt endlich ermüdend; die treibende Feder des Geistes, die producirende Feder des Korrespondenten erlahmen, und Dingelstedt war wohl zu klug, als 'daß er geschmiert hätte, wo er nicht mehr zu schreiben wußte. Was thun? Vom heimathlichen Staatsdienst hatte er sich losgerissen. Das Publicum liebte seine Muse, hatte jedoch keinen Anlaß, sich mit seinen Enstcnzsorgen zu be¬ fassen. Und doch war ihm der Umgang mit feinen Leuten, die Be¬ wegung in netten gesellschaftlichen Formen längst Bedürfniß gewor¬ den, hatte ihn geistig und materiell verwöhnt. Jetzt mußte er wählen zwischen dem Entschluß der Entbehrung,, der angestrengten, häufig undankbaren Arbeit einerseits, der ruhigen, seinen Neigungen entspre¬ chenden, seinen Studien förderlichen Lage andrerseits. Wollte er auch jenen harten Entschluß fassen, so mußte er noch über eine wichtige Frage mit sich zu Rathe gehen.
Fühlte er sich den Anstrengungen gewachsen, womit ihn jene Wahl bedrohte? Wer kennt nicht das Schwankende der Volksgunst? Wo findet der Neid keine Poren, der Haß keine Waffen? Ist nicht das Publicum, so lange nicht ein ganz offenbares Märtyrthum sein Mitleiden erweckt, ein unersättlicher Magen, kaum hat es einen ersten Band verschluckt, so lechzt es nach dein zweiten, vergißt den ersten? Gönnt es einem Schriftsteller, welcher an den Interessen des Tages arbeitet, Ruhe, wenn er der Ruhe bedarf? Gestattet es ihm, auf seiue Vergangenheit zu verweisen? Nein, die Zeit und das Be¬ dürfniß stürmen fort, die Organe an ihrer Spitze immer vorwärts¬ drängend und versagt ihnen die Kraft, so wirft der Andrang sie nieder, geht über sie hin, läßt sie vergessen zurück.
Freilich rechtfertigt daS Alles nicht die Schwachheit, seinen Be¬ ruf zu verläugnen. Wer der Freiheit dient, darf sein Schwert nicht um der Volksgunst willen tragen: die Freiheit ist Selbstzweck, lebt sie doch als Ideal im Bewußtsein der Welt von Geschlecht zu Ge¬ schlecht und fällt für die geläuterte Anschauung zusammen mit der Religion. Also nicht die Popularität, sondern der Grund, worauf die Popularität ruht, muß uus leiten; nicht für die Menschen, sondern für ihre Bestimmung, wie sie dem Einen weniger, dem Andern mehr klar ist, müssen wir arbeiten. Mögen die Menschen unserer Umge¬ bung, welche eine politische Ueberzeugung mit uns theilen, uns nach
welches er dem Staatsdienste schlug — verschaffte. Das Reisen, das Correspondiren wirkt endlich ermüdend; die treibende Feder des Geistes, die producirende Feder des Korrespondenten erlahmen, und Dingelstedt war wohl zu klug, als 'daß er geschmiert hätte, wo er nicht mehr zu schreiben wußte. Was thun? Vom heimathlichen Staatsdienst hatte er sich losgerissen. Das Publicum liebte seine Muse, hatte jedoch keinen Anlaß, sich mit seinen Enstcnzsorgen zu be¬ fassen. Und doch war ihm der Umgang mit feinen Leuten, die Be¬ wegung in netten gesellschaftlichen Formen längst Bedürfniß gewor¬ den, hatte ihn geistig und materiell verwöhnt. Jetzt mußte er wählen zwischen dem Entschluß der Entbehrung,, der angestrengten, häufig undankbaren Arbeit einerseits, der ruhigen, seinen Neigungen entspre¬ chenden, seinen Studien förderlichen Lage andrerseits. Wollte er auch jenen harten Entschluß fassen, so mußte er noch über eine wichtige Frage mit sich zu Rathe gehen.
Fühlte er sich den Anstrengungen gewachsen, womit ihn jene Wahl bedrohte? Wer kennt nicht das Schwankende der Volksgunst? Wo findet der Neid keine Poren, der Haß keine Waffen? Ist nicht das Publicum, so lange nicht ein ganz offenbares Märtyrthum sein Mitleiden erweckt, ein unersättlicher Magen, kaum hat es einen ersten Band verschluckt, so lechzt es nach dein zweiten, vergißt den ersten? Gönnt es einem Schriftsteller, welcher an den Interessen des Tages arbeitet, Ruhe, wenn er der Ruhe bedarf? Gestattet es ihm, auf seiue Vergangenheit zu verweisen? Nein, die Zeit und das Be¬ dürfniß stürmen fort, die Organe an ihrer Spitze immer vorwärts¬ drängend und versagt ihnen die Kraft, so wirft der Andrang sie nieder, geht über sie hin, läßt sie vergessen zurück.
Freilich rechtfertigt daS Alles nicht die Schwachheit, seinen Be¬ ruf zu verläugnen. Wer der Freiheit dient, darf sein Schwert nicht um der Volksgunst willen tragen: die Freiheit ist Selbstzweck, lebt sie doch als Ideal im Bewußtsein der Welt von Geschlecht zu Ge¬ schlecht und fällt für die geläuterte Anschauung zusammen mit der Religion. Also nicht die Popularität, sondern der Grund, worauf die Popularität ruht, muß uus leiten; nicht für die Menschen, sondern für ihre Bestimmung, wie sie dem Einen weniger, dem Andern mehr klar ist, müssen wir arbeiten. Mögen die Menschen unserer Umge¬ bung, welche eine politische Ueberzeugung mit uns theilen, uns nach
<TEI><text><body><div><divn="1"><pbfacs="#f0281"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179994"/><pxml:id="ID_723"prev="#ID_722"> welches er dem Staatsdienste schlug — verschaffte. Das Reisen,<lb/>
das Correspondiren wirkt endlich ermüdend; die treibende Feder des<lb/>
Geistes, die producirende Feder des Korrespondenten erlahmen, und<lb/>
Dingelstedt war wohl zu klug, als 'daß er geschmiert hätte, wo er<lb/>
nicht mehr zu schreiben wußte. Was thun? Vom heimathlichen<lb/>
Staatsdienst hatte er sich losgerissen. Das Publicum liebte seine<lb/>
Muse, hatte jedoch keinen Anlaß, sich mit seinen Enstcnzsorgen zu be¬<lb/>
fassen. Und doch war ihm der Umgang mit feinen Leuten, die Be¬<lb/>
wegung in netten gesellschaftlichen Formen längst Bedürfniß gewor¬<lb/>
den, hatte ihn geistig und materiell verwöhnt. Jetzt mußte er wählen<lb/>
zwischen dem Entschluß der Entbehrung,, der angestrengten, häufig<lb/>
undankbaren Arbeit einerseits, der ruhigen, seinen Neigungen entspre¬<lb/>
chenden, seinen Studien förderlichen Lage andrerseits. Wollte er auch<lb/>
jenen harten Entschluß fassen, so mußte er noch über eine wichtige<lb/>
Frage mit sich zu Rathe gehen.</p><lb/><pxml:id="ID_724"> Fühlte er sich den Anstrengungen gewachsen, womit ihn jene<lb/>
Wahl bedrohte? Wer kennt nicht das Schwankende der Volksgunst?<lb/>
Wo findet der Neid keine Poren, der Haß keine Waffen? Ist nicht<lb/>
das Publicum, so lange nicht ein ganz offenbares Märtyrthum sein<lb/>
Mitleiden erweckt, ein unersättlicher Magen, kaum hat es einen ersten<lb/>
Band verschluckt, so lechzt es nach dein zweiten, vergißt den ersten?<lb/>
Gönnt es einem Schriftsteller, welcher an den Interessen des Tages<lb/>
arbeitet, Ruhe, wenn er der Ruhe bedarf? Gestattet es ihm, auf<lb/>
seiue Vergangenheit zu verweisen? Nein, die Zeit und das Be¬<lb/>
dürfniß stürmen fort, die Organe an ihrer Spitze immer vorwärts¬<lb/>
drängend und versagt ihnen die Kraft, so wirft der Andrang sie nieder,<lb/>
geht über sie hin, läßt sie vergessen zurück.</p><lb/><pxml:id="ID_725"next="#ID_726"> Freilich rechtfertigt daS Alles nicht die Schwachheit, seinen Be¬<lb/>
ruf zu verläugnen. Wer der Freiheit dient, darf sein Schwert nicht<lb/>
um der Volksgunst willen tragen: die Freiheit ist Selbstzweck, lebt<lb/>
sie doch als Ideal im Bewußtsein der Welt von Geschlecht zu Ge¬<lb/>
schlecht und fällt für die geläuterte Anschauung zusammen mit der<lb/>
Religion. Also nicht die Popularität, sondern der Grund, worauf<lb/>
die Popularität ruht, muß uus leiten; nicht für die Menschen, sondern<lb/>
für ihre Bestimmung, wie sie dem Einen weniger, dem Andern mehr<lb/>
klar ist, müssen wir arbeiten. Mögen die Menschen unserer Umge¬<lb/>
bung, welche eine politische Ueberzeugung mit uns theilen, uns nach</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[0281]
welches er dem Staatsdienste schlug — verschaffte. Das Reisen,
das Correspondiren wirkt endlich ermüdend; die treibende Feder des
Geistes, die producirende Feder des Korrespondenten erlahmen, und
Dingelstedt war wohl zu klug, als 'daß er geschmiert hätte, wo er
nicht mehr zu schreiben wußte. Was thun? Vom heimathlichen
Staatsdienst hatte er sich losgerissen. Das Publicum liebte seine
Muse, hatte jedoch keinen Anlaß, sich mit seinen Enstcnzsorgen zu be¬
fassen. Und doch war ihm der Umgang mit feinen Leuten, die Be¬
wegung in netten gesellschaftlichen Formen längst Bedürfniß gewor¬
den, hatte ihn geistig und materiell verwöhnt. Jetzt mußte er wählen
zwischen dem Entschluß der Entbehrung,, der angestrengten, häufig
undankbaren Arbeit einerseits, der ruhigen, seinen Neigungen entspre¬
chenden, seinen Studien förderlichen Lage andrerseits. Wollte er auch
jenen harten Entschluß fassen, so mußte er noch über eine wichtige
Frage mit sich zu Rathe gehen.
Fühlte er sich den Anstrengungen gewachsen, womit ihn jene
Wahl bedrohte? Wer kennt nicht das Schwankende der Volksgunst?
Wo findet der Neid keine Poren, der Haß keine Waffen? Ist nicht
das Publicum, so lange nicht ein ganz offenbares Märtyrthum sein
Mitleiden erweckt, ein unersättlicher Magen, kaum hat es einen ersten
Band verschluckt, so lechzt es nach dein zweiten, vergißt den ersten?
Gönnt es einem Schriftsteller, welcher an den Interessen des Tages
arbeitet, Ruhe, wenn er der Ruhe bedarf? Gestattet es ihm, auf
seiue Vergangenheit zu verweisen? Nein, die Zeit und das Be¬
dürfniß stürmen fort, die Organe an ihrer Spitze immer vorwärts¬
drängend und versagt ihnen die Kraft, so wirft der Andrang sie nieder,
geht über sie hin, läßt sie vergessen zurück.
Freilich rechtfertigt daS Alles nicht die Schwachheit, seinen Be¬
ruf zu verläugnen. Wer der Freiheit dient, darf sein Schwert nicht
um der Volksgunst willen tragen: die Freiheit ist Selbstzweck, lebt
sie doch als Ideal im Bewußtsein der Welt von Geschlecht zu Ge¬
schlecht und fällt für die geläuterte Anschauung zusammen mit der
Religion. Also nicht die Popularität, sondern der Grund, worauf
die Popularität ruht, muß uus leiten; nicht für die Menschen, sondern
für ihre Bestimmung, wie sie dem Einen weniger, dem Andern mehr
klar ist, müssen wir arbeiten. Mögen die Menschen unserer Umge¬
bung, welche eine politische Ueberzeugung mit uns theilen, uns nach
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/281>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.