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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ihrer sonstigen Persönlichkeit noch so zuwider oder wenigstens gleich-
giltig sein: das gibt uns durchaus kein Recht, die Freiheit zu ver¬
lassen und überzutreten auf einen Punkt, wo zwar liebenswürdige
Menschen und Sitten uns vergnügen, aber weder freies Denken, noch
freies Handeln ihre Stätte haben. Man darf sich nicht auf Kosten
seines Berufs amüsiren.

Aber war Dingelstedt's frühere Sphäre auch wirklich sein Be¬
ruf? Konnte er seiner Natur nach in der Polemik ausdauern und
fortschreiten? .Wuchs seine Fähigkeit mit den Erwartungen? Dingel¬
stedt wird sich diese Frage ohne Zweifel verneint haben. Ob mit
Recht, wage ich kaum zu entscheiden. Um an unserer ledernen, durch
Nachgeben widerstehenden Zeit zu arbeiten, bedarf es nicht allein ei¬
nes guten, sondern auch eines scharfen Willens, zu dem nicht Jeder
das Metall hat. Guter Wille fehlt Dingelstedt gewiß nicht, wohl
aber das Zeug zur Charaktcrhärte, die moralische Energie. Sein
Nachtwächter, so vollendet in der Form, so trefflich von Inhalt, zeigt
gleichwohl von einem gewissen Dilettantismus und hinterläßt den
Eindruck, daß Dingelstedt auch in der Politik Schöngeist blieb, daß
er die Politik nicht als Beruf erkannte, sondern als anregendes
Thema für seinen Humor benutzte, daß er nie Anlage hatte, Tyr-
täus zu werden.

Ich spreche hier meine Ueberzeugung aus, wie sie mir auch durch
Beobachtungen in früherem Umgänge mit Dingelstedt bestätigt ist.
Möglich, daß ich mich irre. Ich komme hiernach zu folgendem Re¬
sultat. Als Dingelstedt seinen Nachtwächter herausgab, nahm er die
beste Gelegenheit wahr für seine Poesie, ohne eine Haltbarkeit für
die Konsequenzen übernehmen zu wollen, die er ziemlich übersah. Als
Dingelstedt die Stelle bei Hofe annahm, geschah es, weil er sich
nicht stark genug fühlte, seine Neigungen und seinen Vortheil den
Rechten der Nation auf Festigkeit ihrer Führer zu opfern und sich,
falls er nicht mehr im bisherigen Geist zu wirken wußte, in 'das
Privatleben zurückzuziehen. Auch bei diesem Schritte hat er die nach-
theiligen Folgen, wenigstens in dem jetzt eingetretenen Umfange, sehr
schwerlich sich klar gemacht.

Er mochte es sich hübsch ausmalen, wie er, in einer ciusgezeich-
ncten und doch reservirten Stellung, nicht mehr werde berührt wer¬
den von dem Zwange der Monats- und Wochencorrespondenzen für


ihrer sonstigen Persönlichkeit noch so zuwider oder wenigstens gleich-
giltig sein: das gibt uns durchaus kein Recht, die Freiheit zu ver¬
lassen und überzutreten auf einen Punkt, wo zwar liebenswürdige
Menschen und Sitten uns vergnügen, aber weder freies Denken, noch
freies Handeln ihre Stätte haben. Man darf sich nicht auf Kosten
seines Berufs amüsiren.

Aber war Dingelstedt's frühere Sphäre auch wirklich sein Be¬
ruf? Konnte er seiner Natur nach in der Polemik ausdauern und
fortschreiten? .Wuchs seine Fähigkeit mit den Erwartungen? Dingel¬
stedt wird sich diese Frage ohne Zweifel verneint haben. Ob mit
Recht, wage ich kaum zu entscheiden. Um an unserer ledernen, durch
Nachgeben widerstehenden Zeit zu arbeiten, bedarf es nicht allein ei¬
nes guten, sondern auch eines scharfen Willens, zu dem nicht Jeder
das Metall hat. Guter Wille fehlt Dingelstedt gewiß nicht, wohl
aber das Zeug zur Charaktcrhärte, die moralische Energie. Sein
Nachtwächter, so vollendet in der Form, so trefflich von Inhalt, zeigt
gleichwohl von einem gewissen Dilettantismus und hinterläßt den
Eindruck, daß Dingelstedt auch in der Politik Schöngeist blieb, daß
er die Politik nicht als Beruf erkannte, sondern als anregendes
Thema für seinen Humor benutzte, daß er nie Anlage hatte, Tyr-
täus zu werden.

Ich spreche hier meine Ueberzeugung aus, wie sie mir auch durch
Beobachtungen in früherem Umgänge mit Dingelstedt bestätigt ist.
Möglich, daß ich mich irre. Ich komme hiernach zu folgendem Re¬
sultat. Als Dingelstedt seinen Nachtwächter herausgab, nahm er die
beste Gelegenheit wahr für seine Poesie, ohne eine Haltbarkeit für
die Konsequenzen übernehmen zu wollen, die er ziemlich übersah. Als
Dingelstedt die Stelle bei Hofe annahm, geschah es, weil er sich
nicht stark genug fühlte, seine Neigungen und seinen Vortheil den
Rechten der Nation auf Festigkeit ihrer Führer zu opfern und sich,
falls er nicht mehr im bisherigen Geist zu wirken wußte, in 'das
Privatleben zurückzuziehen. Auch bei diesem Schritte hat er die nach-
theiligen Folgen, wenigstens in dem jetzt eingetretenen Umfange, sehr
schwerlich sich klar gemacht.

Er mochte es sich hübsch ausmalen, wie er, in einer ciusgezeich-
ncten und doch reservirten Stellung, nicht mehr werde berührt wer¬
den von dem Zwange der Monats- und Wochencorrespondenzen für


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[0282] ihrer sonstigen Persönlichkeit noch so zuwider oder wenigstens gleich- giltig sein: das gibt uns durchaus kein Recht, die Freiheit zu ver¬ lassen und überzutreten auf einen Punkt, wo zwar liebenswürdige Menschen und Sitten uns vergnügen, aber weder freies Denken, noch freies Handeln ihre Stätte haben. Man darf sich nicht auf Kosten seines Berufs amüsiren. Aber war Dingelstedt's frühere Sphäre auch wirklich sein Be¬ ruf? Konnte er seiner Natur nach in der Polemik ausdauern und fortschreiten? .Wuchs seine Fähigkeit mit den Erwartungen? Dingel¬ stedt wird sich diese Frage ohne Zweifel verneint haben. Ob mit Recht, wage ich kaum zu entscheiden. Um an unserer ledernen, durch Nachgeben widerstehenden Zeit zu arbeiten, bedarf es nicht allein ei¬ nes guten, sondern auch eines scharfen Willens, zu dem nicht Jeder das Metall hat. Guter Wille fehlt Dingelstedt gewiß nicht, wohl aber das Zeug zur Charaktcrhärte, die moralische Energie. Sein Nachtwächter, so vollendet in der Form, so trefflich von Inhalt, zeigt gleichwohl von einem gewissen Dilettantismus und hinterläßt den Eindruck, daß Dingelstedt auch in der Politik Schöngeist blieb, daß er die Politik nicht als Beruf erkannte, sondern als anregendes Thema für seinen Humor benutzte, daß er nie Anlage hatte, Tyr- täus zu werden. Ich spreche hier meine Ueberzeugung aus, wie sie mir auch durch Beobachtungen in früherem Umgänge mit Dingelstedt bestätigt ist. Möglich, daß ich mich irre. Ich komme hiernach zu folgendem Re¬ sultat. Als Dingelstedt seinen Nachtwächter herausgab, nahm er die beste Gelegenheit wahr für seine Poesie, ohne eine Haltbarkeit für die Konsequenzen übernehmen zu wollen, die er ziemlich übersah. Als Dingelstedt die Stelle bei Hofe annahm, geschah es, weil er sich nicht stark genug fühlte, seine Neigungen und seinen Vortheil den Rechten der Nation auf Festigkeit ihrer Führer zu opfern und sich, falls er nicht mehr im bisherigen Geist zu wirken wußte, in 'das Privatleben zurückzuziehen. Auch bei diesem Schritte hat er die nach- theiligen Folgen, wenigstens in dem jetzt eingetretenen Umfange, sehr schwerlich sich klar gemacht. Er mochte es sich hübsch ausmalen, wie er, in einer ciusgezeich- ncten und doch reservirten Stellung, nicht mehr werde berührt wer¬ den von dem Zwange der Monats- und Wochencorrespondenzen für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/282>, abgerufen am 26.06.2024.