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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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gehen. DaS negative, und wie mich taucht, ungleich schwerere Un¬
recht besteht darin, daß Dingelstedt sich durch seinen Schritt gezwungen
Hot, auf seine politische Mission zu verzichten und, ob auch noch so
unabsichtlich, das Vertrauen der Station in ihre Vertreter zu gefähr¬
den. Dem Volke steht ein Recht zu auf seine Männer. Wer sich
vorangestellt, sich bemerkbar gemacht hat, übernimmt dadurch die
Verantwortlichkeit eines Führers; weicht er aus seiner Stellung, so
verbreitet dies weit mehr Kleinmuth, Argwohn, Verwirrung, als
wenn sich ein obscurer Mensch aus dem Staube macht. Der Führer
belastet durch Abfall oder auch nur durch dessen Schein sein Genüssen
nicht blos mit seiner eigenen That, sondern auch mit den Fehltritten
derer, welche sein Beispiel verlockte, mit dem Hafi derer, welche, treu
geblieben, hierunter leiden, und mit der Schuld des verlängerten
Kampfes. Es ist schön, aber gefährlich, Führer zu sein. Kugeln
und Verrath zielen am Ersten auf sie. Im Gefecht nimmt man vor
Allem die Offiziere aufs Korn, in heimlichen Unterhandlungen be¬
sticht man sie, sei es mit Geld oder mit Täuschung. Dingelstedt
hat über seine Zukunft, die nicht mehr ihm allein, sondern der Nation,
an die er appellirt hatte, nicht minder gehörte, auf eine Art verfügt,
welche die politische-Moral unbedingt mißbilligen muß.

Es liegt nicht in meinem Zweck, diese Seite der Sache, von
welcher aus man Dingelstedt schwerlich entschuldigen kann, noch wei¬
ter zu verfolgen. Treten wir auf den psychologischen, rein menschli¬
chen Standpunkt, wohin sich Angriffs - und Vertheidigungslinien der
Politik nicht erstrecken, so können wir uns vielleicht zu einem milderen
Urtheile verstehen.

Fassen wir Dingelstedt's Persönlichkeit ins Auge. Er hat einen
regen, ausgebildeten Sinn für Eleganz im weitesten Begriff. Er
liebt das Propre, Glänzende, Herausgekehrte, die Feinheit in der Le¬
bensweise und im Umgang. Dabei beriefen ihn Talent und Kennt¬
nisse zu umfassenderen Aufgaben, als denen der Lehrerstelle im ein-
samen Fulda. Er reiste, und das Gewaltige, was in den Welt¬
städten, wie Paris, London, Wien, auf den Sinnenmenschen über¬
wältigend, auf den gebildeten Geist aber so gedeihlich wirkt, mag in
Dingelstedt die Unlust, in die Klemmer des Spiesibürgcrthums zu¬
rückzukehren, vollendet haben. Dazu das gerechte Selbstbewußtsein,
welches ihm der Ruhm seines Nachtwächters - des Schnippchens,


gehen. DaS negative, und wie mich taucht, ungleich schwerere Un¬
recht besteht darin, daß Dingelstedt sich durch seinen Schritt gezwungen
Hot, auf seine politische Mission zu verzichten und, ob auch noch so
unabsichtlich, das Vertrauen der Station in ihre Vertreter zu gefähr¬
den. Dem Volke steht ein Recht zu auf seine Männer. Wer sich
vorangestellt, sich bemerkbar gemacht hat, übernimmt dadurch die
Verantwortlichkeit eines Führers; weicht er aus seiner Stellung, so
verbreitet dies weit mehr Kleinmuth, Argwohn, Verwirrung, als
wenn sich ein obscurer Mensch aus dem Staube macht. Der Führer
belastet durch Abfall oder auch nur durch dessen Schein sein Genüssen
nicht blos mit seiner eigenen That, sondern auch mit den Fehltritten
derer, welche sein Beispiel verlockte, mit dem Hafi derer, welche, treu
geblieben, hierunter leiden, und mit der Schuld des verlängerten
Kampfes. Es ist schön, aber gefährlich, Führer zu sein. Kugeln
und Verrath zielen am Ersten auf sie. Im Gefecht nimmt man vor
Allem die Offiziere aufs Korn, in heimlichen Unterhandlungen be¬
sticht man sie, sei es mit Geld oder mit Täuschung. Dingelstedt
hat über seine Zukunft, die nicht mehr ihm allein, sondern der Nation,
an die er appellirt hatte, nicht minder gehörte, auf eine Art verfügt,
welche die politische-Moral unbedingt mißbilligen muß.

Es liegt nicht in meinem Zweck, diese Seite der Sache, von
welcher aus man Dingelstedt schwerlich entschuldigen kann, noch wei¬
ter zu verfolgen. Treten wir auf den psychologischen, rein menschli¬
chen Standpunkt, wohin sich Angriffs - und Vertheidigungslinien der
Politik nicht erstrecken, so können wir uns vielleicht zu einem milderen
Urtheile verstehen.

Fassen wir Dingelstedt's Persönlichkeit ins Auge. Er hat einen
regen, ausgebildeten Sinn für Eleganz im weitesten Begriff. Er
liebt das Propre, Glänzende, Herausgekehrte, die Feinheit in der Le¬
bensweise und im Umgang. Dabei beriefen ihn Talent und Kennt¬
nisse zu umfassenderen Aufgaben, als denen der Lehrerstelle im ein-
samen Fulda. Er reiste, und das Gewaltige, was in den Welt¬
städten, wie Paris, London, Wien, auf den Sinnenmenschen über¬
wältigend, auf den gebildeten Geist aber so gedeihlich wirkt, mag in
Dingelstedt die Unlust, in die Klemmer des Spiesibürgcrthums zu¬
rückzukehren, vollendet haben. Dazu das gerechte Selbstbewußtsein,
welches ihm der Ruhm seines Nachtwächters - des Schnippchens,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/280>, abgerufen am 26.06.2024.