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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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nen Nutzen derselben in Abrede zu stellen, und ungerecht, die Talente,
die sich auf dem undankbaren Felde der Journalistik oft entwickeln
und selbst aufzehren, zu verkennen: aber nicht minder ungerecht, un¬
sinnig und thöricht wäre es, den nachtheiligen Einfluß der Journa¬
listik auf die Wissenschaft unberücksichtigt zu lassen.

Spricht ein Franzose so, was sollen gar wir Ungarn, bei denen
fast jede Branche der Wissenschaft noch in den Windeln liegt, sagen?
Und, ist seine Bemerkung über die Journalistik gegründet, um wie
viel mehr ist sie es bezüglich auf die ungarische, die mit den wenigen
literarischen Recensionen, die sie bringt,, nur einen kleinen Tropfen in
das große Meer der Wissenschaft leitet, welcher bald spurlos unter
den Fluthen verschwindet.

Die politische Journalistik bringt in die Literatur alle Fehler
und Gefahren der Improvisation; und es läßt sich gar nicht fordern,
daß sie gelehrt sei, nachdem es ihr an Zeit gebricht zu lernen; es
läßt sich nicht fordern, daß sie reflectire, da ihr Gedächtniß und Ge¬
sicht so kurz ist! Die Deutschen und noch mehr die Engländer, die
Geistesrichtung der heutigen Journalistik wohl auffassend, eröffneten,
um von dieser Richtung nicht abzuweichen und dem Uebel so viel wie
möglich doch abzuhelfen, Wochen- und Monatsschriften, und zwar mit
mehr Glück als wir Ungarn, bei denen -- wie wir sehen -- solche
Unternehmungen nicht gelingen wollen! In diesen Revuen vereinigen
sie mit sehr glücklichem Tacte die flüchtige Berührung der vorzüglich¬
sten Tagesbegcbenheiten und die Erörterung der wichtigsten herleiten
Lebensfragen; in diesen ersetzen die kritische Würdigung und die sach¬
kennerische und wissenschaftliche Recension der bedeutenderen literari¬
schen Erscheinungen die meist spitzfindigen wirkungslosen Besprechun¬
gen der Tagesblätter. Die Aufsätze, welche in solchen Zeitschriften
erscheinen, können mit mehr Fleiß und Studium ausgearbeitet wer¬
den, weil die Verfasser derselben nicht an heute oder morgen gebun¬
den sind und daher ihre Arbeiten besser durchsehen und corrigiren-
können.




nen Nutzen derselben in Abrede zu stellen, und ungerecht, die Talente,
die sich auf dem undankbaren Felde der Journalistik oft entwickeln
und selbst aufzehren, zu verkennen: aber nicht minder ungerecht, un¬
sinnig und thöricht wäre es, den nachtheiligen Einfluß der Journa¬
listik auf die Wissenschaft unberücksichtigt zu lassen.

Spricht ein Franzose so, was sollen gar wir Ungarn, bei denen
fast jede Branche der Wissenschaft noch in den Windeln liegt, sagen?
Und, ist seine Bemerkung über die Journalistik gegründet, um wie
viel mehr ist sie es bezüglich auf die ungarische, die mit den wenigen
literarischen Recensionen, die sie bringt,, nur einen kleinen Tropfen in
das große Meer der Wissenschaft leitet, welcher bald spurlos unter
den Fluthen verschwindet.

Die politische Journalistik bringt in die Literatur alle Fehler
und Gefahren der Improvisation; und es läßt sich gar nicht fordern,
daß sie gelehrt sei, nachdem es ihr an Zeit gebricht zu lernen; es
läßt sich nicht fordern, daß sie reflectire, da ihr Gedächtniß und Ge¬
sicht so kurz ist! Die Deutschen und noch mehr die Engländer, die
Geistesrichtung der heutigen Journalistik wohl auffassend, eröffneten,
um von dieser Richtung nicht abzuweichen und dem Uebel so viel wie
möglich doch abzuhelfen, Wochen- und Monatsschriften, und zwar mit
mehr Glück als wir Ungarn, bei denen — wie wir sehen — solche
Unternehmungen nicht gelingen wollen! In diesen Revuen vereinigen
sie mit sehr glücklichem Tacte die flüchtige Berührung der vorzüglich¬
sten Tagesbegcbenheiten und die Erörterung der wichtigsten herleiten
Lebensfragen; in diesen ersetzen die kritische Würdigung und die sach¬
kennerische und wissenschaftliche Recension der bedeutenderen literari¬
schen Erscheinungen die meist spitzfindigen wirkungslosen Besprechun¬
gen der Tagesblätter. Die Aufsätze, welche in solchen Zeitschriften
erscheinen, können mit mehr Fleiß und Studium ausgearbeitet wer¬
den, weil die Verfasser derselben nicht an heute oder morgen gebun¬
den sind und daher ihre Arbeiten besser durchsehen und corrigiren-
können.




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[0276] nen Nutzen derselben in Abrede zu stellen, und ungerecht, die Talente, die sich auf dem undankbaren Felde der Journalistik oft entwickeln und selbst aufzehren, zu verkennen: aber nicht minder ungerecht, un¬ sinnig und thöricht wäre es, den nachtheiligen Einfluß der Journa¬ listik auf die Wissenschaft unberücksichtigt zu lassen. Spricht ein Franzose so, was sollen gar wir Ungarn, bei denen fast jede Branche der Wissenschaft noch in den Windeln liegt, sagen? Und, ist seine Bemerkung über die Journalistik gegründet, um wie viel mehr ist sie es bezüglich auf die ungarische, die mit den wenigen literarischen Recensionen, die sie bringt,, nur einen kleinen Tropfen in das große Meer der Wissenschaft leitet, welcher bald spurlos unter den Fluthen verschwindet. Die politische Journalistik bringt in die Literatur alle Fehler und Gefahren der Improvisation; und es läßt sich gar nicht fordern, daß sie gelehrt sei, nachdem es ihr an Zeit gebricht zu lernen; es läßt sich nicht fordern, daß sie reflectire, da ihr Gedächtniß und Ge¬ sicht so kurz ist! Die Deutschen und noch mehr die Engländer, die Geistesrichtung der heutigen Journalistik wohl auffassend, eröffneten, um von dieser Richtung nicht abzuweichen und dem Uebel so viel wie möglich doch abzuhelfen, Wochen- und Monatsschriften, und zwar mit mehr Glück als wir Ungarn, bei denen — wie wir sehen — solche Unternehmungen nicht gelingen wollen! In diesen Revuen vereinigen sie mit sehr glücklichem Tacte die flüchtige Berührung der vorzüglich¬ sten Tagesbegcbenheiten und die Erörterung der wichtigsten herleiten Lebensfragen; in diesen ersetzen die kritische Würdigung und die sach¬ kennerische und wissenschaftliche Recension der bedeutenderen literari¬ schen Erscheinungen die meist spitzfindigen wirkungslosen Besprechun¬ gen der Tagesblätter. Die Aufsätze, welche in solchen Zeitschriften erscheinen, können mit mehr Fleiß und Studium ausgearbeitet wer¬ den, weil die Verfasser derselben nicht an heute oder morgen gebun¬ den sind und daher ihre Arbeiten besser durchsehen und corrigiren- können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/276>, abgerufen am 26.06.2024.