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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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zur Bildung und Leitung der öffentlichen Meinung, als die politischen
Zeitungsblätter. Es gibt zwar auch in Frankreich bei der Manipu¬
lation Derselben mercantilische Ingredienzien, aber die Geranten sind
meist Männer von politischer Bedeutung, lie auch eben darum durch
Auseinandersetzung ihrer eigenen politischen Meinungen einflußreich
auf die Nation sind, weil sie allenthalben als politische Notabilitäten
geachtet werden und ihnen die höchsten Staatsämter offen stehen.

Bei uns in dieser Hinsicht für jetzt schon etwas Bestimmtes
und Allgemeines zu sagen, ist sehr schwierig. Ich meinerseits bin ge.
ncigter zu glauben, daß unsere politische Journalistik nur das Organ
deö öffentlichen ComitatslebenS und daher mehr Dollmetscherin als
Leiterin oder gar Schöpferin der öffentlichen Meinung ist. Ich weiß
wohl, daß Viele daS Gegentheil behaupten, und halte durchaus nicht
derlei Behauptungen für unstatthaft; doch glaube ich, die jüngsten
Vorfälle in den Comitaten überzeugen jeden unbefangenen ungari¬
schen Publicisten, daß diese entgegengesetzte Ansicht bei Weitem
nicht so fest sei, daß man eine sichere Ueberzeugung darauf bauen
könne.

Was übrigens den Einfluß, den unsere politische Journalistik
ans unsere Wissenschaft im verflossenen Jahre ausübte, betrifft, haben
wir, so sehr erfreulich die Entfaltung dieser Branche der Journalistik
auch sein mag, doch nicht wenig Ursache, darüber traurig zu sein, daß
diese nicht nur die Büchcrwissenschaft im Allgemeinen in den Hinter¬
grund drängte, sondern sogar die wissenschaftliche Journalistik, ganz
absorbirte! -- DaS "^liäDMiii^n" ^ü^"u>") " (wissenschaftliche
Sammlung) scheint nach kurzem Bestehen ganz eingegangen zu sein;
die "5!?>>in!v" (Revue), eine vortreffliche Nachahmung der englischen
"Review-Journalistik", fand schon in der Wiege ihr Grab. So er¬
ging es auch der ein besseres Loos verdienenden "Themis"; das
^ruilmnimvtik-" (Magazin der Wissenschaften) wird nur mit großen
Opfern von der Aeademie erhalten, wenn überhaupt ein so kümmerli¬
ches Leben auch ein Leben ist. Jüngst verlor das "Athenäum", nach
der Aeußerung seines sehr thätigen Redacteurs, durch die allzuver-
breitete politische Journalistik Werth und Bestand.

Vor Kurzem las ich Folgendes von einem französischen Publi¬
cisten: ES wäre thöricht, den Einfluß, den die Tagesblätter auf die
menschliche Gesellschaft ausüben, zu läugnen; unsinnig, den cillgemei-


zur Bildung und Leitung der öffentlichen Meinung, als die politischen
Zeitungsblätter. Es gibt zwar auch in Frankreich bei der Manipu¬
lation Derselben mercantilische Ingredienzien, aber die Geranten sind
meist Männer von politischer Bedeutung, lie auch eben darum durch
Auseinandersetzung ihrer eigenen politischen Meinungen einflußreich
auf die Nation sind, weil sie allenthalben als politische Notabilitäten
geachtet werden und ihnen die höchsten Staatsämter offen stehen.

Bei uns in dieser Hinsicht für jetzt schon etwas Bestimmtes
und Allgemeines zu sagen, ist sehr schwierig. Ich meinerseits bin ge.
ncigter zu glauben, daß unsere politische Journalistik nur das Organ
deö öffentlichen ComitatslebenS und daher mehr Dollmetscherin als
Leiterin oder gar Schöpferin der öffentlichen Meinung ist. Ich weiß
wohl, daß Viele daS Gegentheil behaupten, und halte durchaus nicht
derlei Behauptungen für unstatthaft; doch glaube ich, die jüngsten
Vorfälle in den Comitaten überzeugen jeden unbefangenen ungari¬
schen Publicisten, daß diese entgegengesetzte Ansicht bei Weitem
nicht so fest sei, daß man eine sichere Ueberzeugung darauf bauen
könne.

Was übrigens den Einfluß, den unsere politische Journalistik
ans unsere Wissenschaft im verflossenen Jahre ausübte, betrifft, haben
wir, so sehr erfreulich die Entfaltung dieser Branche der Journalistik
auch sein mag, doch nicht wenig Ursache, darüber traurig zu sein, daß
diese nicht nur die Büchcrwissenschaft im Allgemeinen in den Hinter¬
grund drängte, sondern sogar die wissenschaftliche Journalistik, ganz
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Sammlung) scheint nach kurzem Bestehen ganz eingegangen zu sein;
die „5!?>>in!v" (Revue), eine vortreffliche Nachahmung der englischen
„Review-Journalistik", fand schon in der Wiege ihr Grab. So er¬
ging es auch der ein besseres Loos verdienenden „Themis"; das
^ruilmnimvtik-" (Magazin der Wissenschaften) wird nur mit großen
Opfern von der Aeademie erhalten, wenn überhaupt ein so kümmerli¬
ches Leben auch ein Leben ist. Jüngst verlor das „Athenäum", nach
der Aeußerung seines sehr thätigen Redacteurs, durch die allzuver-
breitete politische Journalistik Werth und Bestand.

Vor Kurzem las ich Folgendes von einem französischen Publi¬
cisten: ES wäre thöricht, den Einfluß, den die Tagesblätter auf die
menschliche Gesellschaft ausüben, zu läugnen; unsinnig, den cillgemei-


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[0275] zur Bildung und Leitung der öffentlichen Meinung, als die politischen Zeitungsblätter. Es gibt zwar auch in Frankreich bei der Manipu¬ lation Derselben mercantilische Ingredienzien, aber die Geranten sind meist Männer von politischer Bedeutung, lie auch eben darum durch Auseinandersetzung ihrer eigenen politischen Meinungen einflußreich auf die Nation sind, weil sie allenthalben als politische Notabilitäten geachtet werden und ihnen die höchsten Staatsämter offen stehen. Bei uns in dieser Hinsicht für jetzt schon etwas Bestimmtes und Allgemeines zu sagen, ist sehr schwierig. Ich meinerseits bin ge. ncigter zu glauben, daß unsere politische Journalistik nur das Organ deö öffentlichen ComitatslebenS und daher mehr Dollmetscherin als Leiterin oder gar Schöpferin der öffentlichen Meinung ist. Ich weiß wohl, daß Viele daS Gegentheil behaupten, und halte durchaus nicht derlei Behauptungen für unstatthaft; doch glaube ich, die jüngsten Vorfälle in den Comitaten überzeugen jeden unbefangenen ungari¬ schen Publicisten, daß diese entgegengesetzte Ansicht bei Weitem nicht so fest sei, daß man eine sichere Ueberzeugung darauf bauen könne. Was übrigens den Einfluß, den unsere politische Journalistik ans unsere Wissenschaft im verflossenen Jahre ausübte, betrifft, haben wir, so sehr erfreulich die Entfaltung dieser Branche der Journalistik auch sein mag, doch nicht wenig Ursache, darüber traurig zu sein, daß diese nicht nur die Büchcrwissenschaft im Allgemeinen in den Hinter¬ grund drängte, sondern sogar die wissenschaftliche Journalistik, ganz absorbirte! — DaS „^liäDMiii^n« ^ü^»u>») " (wissenschaftliche Sammlung) scheint nach kurzem Bestehen ganz eingegangen zu sein; die „5!?>>in!v" (Revue), eine vortreffliche Nachahmung der englischen „Review-Journalistik", fand schon in der Wiege ihr Grab. So er¬ ging es auch der ein besseres Loos verdienenden „Themis"; das ^ruilmnimvtik-" (Magazin der Wissenschaften) wird nur mit großen Opfern von der Aeademie erhalten, wenn überhaupt ein so kümmerli¬ ches Leben auch ein Leben ist. Jüngst verlor das „Athenäum", nach der Aeußerung seines sehr thätigen Redacteurs, durch die allzuver- breitete politische Journalistik Werth und Bestand. Vor Kurzem las ich Folgendes von einem französischen Publi¬ cisten: ES wäre thöricht, den Einfluß, den die Tagesblätter auf die menschliche Gesellschaft ausüben, zu läugnen; unsinnig, den cillgemei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/275>, abgerufen am 26.06.2024.