Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

beschäftigt sich meist mit heimischen und zwar öffentlichen Interessen
und richtet ihre Aufmerksamkeit nur i" so fern auf das Ausland, in
wiefern sie es für nöthig erachtet, das lesende Publicum mit den dor¬
tigen politischen Ereignissen und mit allen, im Gebiete der Wissen¬
schaft und Industrie gemachten Entdeckungen, zur Belehrung und
Aufmunterung unserer Mitbürger, bekannt zu machen; oder vielleicht,
um die ausländischen Blätter so viel als möglich entbehrlich zu ma¬
chen und die bedeutenden Summen, die für dieses Bedürfniß nach
dem Auslande gehen, in unsern, gcldar^.im Lande zu behalten.

Bei dein gegenwärtigen Zustande unserer Journalistik stellt sich
noch die Frage heraus: ist die politische Journalistik bei uns die
Schöpferin und Leiterin der öffentlichen Meinung oder ist sie nur das
Organ derselben?

In Großbritannien, dessen Institutionen den unsrigen wenigstens
in einigen Stücken gleichen, sind die Zeitungen (><?vo!z-p^>t!r-5i) Or¬
gane der öffentlichen Meinung, sie betreten ihre Bahn und verfolgen
ihre spüre"; in Frankreich hingegen schaffen, bilden und leiten die
politischen Blätter die öffentliche Meinung. Die Ursache des ver¬
schiedenen Zustandes der Journalistik in diesen zwei Staaten liegt
darin, daß bei den Engländern öffentliche Versammlungen (Meetings)
statthaben, welche die Bereitung und Leitung der öffentlichen Mei¬
nung ganz absorbiren. Als Beispiel dazu dient die jüngste Agitation
O'Council s in Irland. Die Tagesblätter, meist nur GeschäftSunter-
uchmungen und von besoldeten Redacteurs manipulirt, sind nur als
Magazine der bittern Kämpfe, der vollkommen entwickelten politischen
Parteiansichten, der Tageöbegebenheiten oder sonstigen Annoncen zu
betrachten, aus welchen die gelehrten Raisonnements' ganz ausgeschlos¬
sen find. Die sogenannten "leitenden Artikel" (l^Mu^' iuticlvs)
werden nicht aus der Ursache, weil sie etwa ausschließlich der Erör¬
terung der Parteimeinringen gewidmet wären, so genannt, sondern
weil sie gleich Leithammeln dem unendlichen Haufen mehr oder min¬
der wichtiger Vorfälle, Neuigkeiten und Annoncen voranstehen. Die
wissenschaftliche Journalistik in England hat sich in die Wochen- und
Monatsschriften zurückgezogen, deren es eine enorme Menge gibt und
die mehr Abnehmer als die Tagesblätter haben. -- In Frankreich
gibt eS, die Sitzungen der Kammern ausgenommen, nirgends ein öf¬
fentliches Nationalleben, und daher gibt es auch kein anderes Mittel


beschäftigt sich meist mit heimischen und zwar öffentlichen Interessen
und richtet ihre Aufmerksamkeit nur i» so fern auf das Ausland, in
wiefern sie es für nöthig erachtet, das lesende Publicum mit den dor¬
tigen politischen Ereignissen und mit allen, im Gebiete der Wissen¬
schaft und Industrie gemachten Entdeckungen, zur Belehrung und
Aufmunterung unserer Mitbürger, bekannt zu machen; oder vielleicht,
um die ausländischen Blätter so viel als möglich entbehrlich zu ma¬
chen und die bedeutenden Summen, die für dieses Bedürfniß nach
dem Auslande gehen, in unsern, gcldar^.im Lande zu behalten.

Bei dein gegenwärtigen Zustande unserer Journalistik stellt sich
noch die Frage heraus: ist die politische Journalistik bei uns die
Schöpferin und Leiterin der öffentlichen Meinung oder ist sie nur das
Organ derselben?

In Großbritannien, dessen Institutionen den unsrigen wenigstens
in einigen Stücken gleichen, sind die Zeitungen (><?vo!z-p^>t!r-5i) Or¬
gane der öffentlichen Meinung, sie betreten ihre Bahn und verfolgen
ihre spüre»; in Frankreich hingegen schaffen, bilden und leiten die
politischen Blätter die öffentliche Meinung. Die Ursache des ver¬
schiedenen Zustandes der Journalistik in diesen zwei Staaten liegt
darin, daß bei den Engländern öffentliche Versammlungen (Meetings)
statthaben, welche die Bereitung und Leitung der öffentlichen Mei¬
nung ganz absorbiren. Als Beispiel dazu dient die jüngste Agitation
O'Council s in Irland. Die Tagesblätter, meist nur GeschäftSunter-
uchmungen und von besoldeten Redacteurs manipulirt, sind nur als
Magazine der bittern Kämpfe, der vollkommen entwickelten politischen
Parteiansichten, der Tageöbegebenheiten oder sonstigen Annoncen zu
betrachten, aus welchen die gelehrten Raisonnements' ganz ausgeschlos¬
sen find. Die sogenannten „leitenden Artikel" (l^Mu^' iuticlvs)
werden nicht aus der Ursache, weil sie etwa ausschließlich der Erör¬
terung der Parteimeinringen gewidmet wären, so genannt, sondern
weil sie gleich Leithammeln dem unendlichen Haufen mehr oder min¬
der wichtiger Vorfälle, Neuigkeiten und Annoncen voranstehen. Die
wissenschaftliche Journalistik in England hat sich in die Wochen- und
Monatsschriften zurückgezogen, deren es eine enorme Menge gibt und
die mehr Abnehmer als die Tagesblätter haben. — In Frankreich
gibt eS, die Sitzungen der Kammern ausgenommen, nirgends ein öf¬
fentliches Nationalleben, und daher gibt es auch kein anderes Mittel


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179987"/>
          <p xml:id="ID_701" prev="#ID_700"> beschäftigt sich meist mit heimischen und zwar öffentlichen Interessen<lb/>
und richtet ihre Aufmerksamkeit nur i» so fern auf das Ausland, in<lb/>
wiefern sie es für nöthig erachtet, das lesende Publicum mit den dor¬<lb/>
tigen politischen Ereignissen und mit allen, im Gebiete der Wissen¬<lb/>
schaft und Industrie gemachten Entdeckungen, zur Belehrung und<lb/>
Aufmunterung unserer Mitbürger, bekannt zu machen; oder vielleicht,<lb/>
um die ausländischen Blätter so viel als möglich entbehrlich zu ma¬<lb/>
chen und die bedeutenden Summen, die für dieses Bedürfniß nach<lb/>
dem Auslande gehen, in unsern, gcldar^.im Lande zu behalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_702"> Bei dein gegenwärtigen Zustande unserer Journalistik stellt sich<lb/>
noch die Frage heraus: ist die politische Journalistik bei uns die<lb/>
Schöpferin und Leiterin der öffentlichen Meinung oder ist sie nur das<lb/>
Organ derselben?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_703" next="#ID_704"> In Großbritannien, dessen Institutionen den unsrigen wenigstens<lb/>
in einigen Stücken gleichen, sind die Zeitungen (&gt;&lt;?vo!z-p^&gt;t!r-5i) Or¬<lb/>
gane der öffentlichen Meinung, sie betreten ihre Bahn und verfolgen<lb/>
ihre spüre»; in Frankreich hingegen schaffen, bilden und leiten die<lb/>
politischen Blätter die öffentliche Meinung. Die Ursache des ver¬<lb/>
schiedenen Zustandes der Journalistik in diesen zwei Staaten liegt<lb/>
darin, daß bei den Engländern öffentliche Versammlungen (Meetings)<lb/>
statthaben, welche die Bereitung und Leitung der öffentlichen Mei¬<lb/>
nung ganz absorbiren. Als Beispiel dazu dient die jüngste Agitation<lb/>
O'Council s in Irland. Die Tagesblätter, meist nur GeschäftSunter-<lb/>
uchmungen und von besoldeten Redacteurs manipulirt, sind nur als<lb/>
Magazine der bittern Kämpfe, der vollkommen entwickelten politischen<lb/>
Parteiansichten, der Tageöbegebenheiten oder sonstigen Annoncen zu<lb/>
betrachten, aus welchen die gelehrten Raisonnements' ganz ausgeschlos¬<lb/>
sen find. Die sogenannten &#x201E;leitenden Artikel" (l^Mu^' iuticlvs)<lb/>
werden nicht aus der Ursache, weil sie etwa ausschließlich der Erör¬<lb/>
terung der Parteimeinringen gewidmet wären, so genannt, sondern<lb/>
weil sie gleich Leithammeln dem unendlichen Haufen mehr oder min¬<lb/>
der wichtiger Vorfälle, Neuigkeiten und Annoncen voranstehen. Die<lb/>
wissenschaftliche Journalistik in England hat sich in die Wochen- und<lb/>
Monatsschriften zurückgezogen, deren es eine enorme Menge gibt und<lb/>
die mehr Abnehmer als die Tagesblätter haben. &#x2014; In Frankreich<lb/>
gibt eS, die Sitzungen der Kammern ausgenommen, nirgends ein öf¬<lb/>
fentliches Nationalleben, und daher gibt es auch kein anderes Mittel</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0274] beschäftigt sich meist mit heimischen und zwar öffentlichen Interessen und richtet ihre Aufmerksamkeit nur i» so fern auf das Ausland, in wiefern sie es für nöthig erachtet, das lesende Publicum mit den dor¬ tigen politischen Ereignissen und mit allen, im Gebiete der Wissen¬ schaft und Industrie gemachten Entdeckungen, zur Belehrung und Aufmunterung unserer Mitbürger, bekannt zu machen; oder vielleicht, um die ausländischen Blätter so viel als möglich entbehrlich zu ma¬ chen und die bedeutenden Summen, die für dieses Bedürfniß nach dem Auslande gehen, in unsern, gcldar^.im Lande zu behalten. Bei dein gegenwärtigen Zustande unserer Journalistik stellt sich noch die Frage heraus: ist die politische Journalistik bei uns die Schöpferin und Leiterin der öffentlichen Meinung oder ist sie nur das Organ derselben? In Großbritannien, dessen Institutionen den unsrigen wenigstens in einigen Stücken gleichen, sind die Zeitungen (><?vo!z-p^>t!r-5i) Or¬ gane der öffentlichen Meinung, sie betreten ihre Bahn und verfolgen ihre spüre»; in Frankreich hingegen schaffen, bilden und leiten die politischen Blätter die öffentliche Meinung. Die Ursache des ver¬ schiedenen Zustandes der Journalistik in diesen zwei Staaten liegt darin, daß bei den Engländern öffentliche Versammlungen (Meetings) statthaben, welche die Bereitung und Leitung der öffentlichen Mei¬ nung ganz absorbiren. Als Beispiel dazu dient die jüngste Agitation O'Council s in Irland. Die Tagesblätter, meist nur GeschäftSunter- uchmungen und von besoldeten Redacteurs manipulirt, sind nur als Magazine der bittern Kämpfe, der vollkommen entwickelten politischen Parteiansichten, der Tageöbegebenheiten oder sonstigen Annoncen zu betrachten, aus welchen die gelehrten Raisonnements' ganz ausgeschlos¬ sen find. Die sogenannten „leitenden Artikel" (l^Mu^' iuticlvs) werden nicht aus der Ursache, weil sie etwa ausschließlich der Erör¬ terung der Parteimeinringen gewidmet wären, so genannt, sondern weil sie gleich Leithammeln dem unendlichen Haufen mehr oder min¬ der wichtiger Vorfälle, Neuigkeiten und Annoncen voranstehen. Die wissenschaftliche Journalistik in England hat sich in die Wochen- und Monatsschriften zurückgezogen, deren es eine enorme Menge gibt und die mehr Abnehmer als die Tagesblätter haben. — In Frankreich gibt eS, die Sitzungen der Kammern ausgenommen, nirgends ein öf¬ fentliches Nationalleben, und daher gibt es auch kein anderes Mittel

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/274
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/274>, abgerufen am 26.06.2024.