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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ser glückliche Halblaie, dem die Popularität nach Gebühr anheimfällt,
denn er bringt jedes Jahr Gemälde in dem Ueberfluß hervor, wie
ein Apfelbaum Aepfel, ist Horace Verner, den wir bereits ge¬
ildertaben.

Als es David, dem berühmten Maler des Schwures der Ho-
ratier, endlich gelungen war, Boucher und Watteau zu entthronen,
folgte die französische Malerei der Hinneigung zur antiken Kunst mit
aller Uebertriebenheit einer Reaction. So wie man Reifrock und
Perücke, Dinge, die mit der neuen Zeit des Jahres 1793 in so gro¬
ßer Disharmonie standen, verlassen hatte, warf man sich mit Leiden¬
schaft auf daZ Nackte. Ich glaube selbst, daß der SanScülottismuö
weiter Nichts war^ als eine Reminiscenz der antiken Kunst. Die
neue französische Kunst glich der griechischen wie eine schöne, geist¬
reiche und gewissenhafte Uebersetzung; es fehlte Nichts, als der grie¬
chische Himmel und die Zeit des Perikles. Sie war eine schöne,
ausgegrabene Leiche, die gleich dem Rosse Roland'S keinen anderen
eleratte als dae todt war.

,
David, der damals den Raub der Sabinerinnen vollendet hatte,
wurde als der König der Malerei ausgerufen, und zahlreiche Schü¬
ler strömten aus allen Gegenden Frankreichs in sein Atelier. Unter
den hoffnungsvollsten seiner Schule war Einer, den er wegen seines
Eifers, wegen der Schnelligkeit seiner Fortschritte und der frühen Fe¬
stigkeit seiner Hand vorzüglich auszeichnete.

Dies war ein Jüngling aus dem südlichen Frankreich, mit
schwarzen Augen, lebhaft, begeisterungsfähig und entzündlich -- es
war Inres.

Jean Auguste Ingres, dessen Vater Zeichnenlehrer in Toulouse
war, war 1781 in Montauban geboren und zeigte schon in seiner
Kindheit eine entschiedene Neigung zur Malerei. Sein Vater hatte
jedoch beschlossen, einen Musiker aus ihm zu machen, und der junge
Ingres lernte das Violon spielen, mit dem stillen Vorbehalte, doch
ein Maler zu werden. Endlich gelang es ihm auch, seinem Vater
die Einwilligung, seinen, Geschmack zu folgen, abzubringen, und er
machte sich in seinem sechszehnten Jahre nach Paris auf den Weg.

Kaum befand sich der Schüler zwei Jahre in dem Atelier des
Meisters, so fühlte er auch schon seine Begeisterung abnehmen; die
mythologische Kunst konnte seine Seele nicht ausfüllen. Eine innere


ser glückliche Halblaie, dem die Popularität nach Gebühr anheimfällt,
denn er bringt jedes Jahr Gemälde in dem Ueberfluß hervor, wie
ein Apfelbaum Aepfel, ist Horace Verner, den wir bereits ge¬
ildertaben.

Als es David, dem berühmten Maler des Schwures der Ho-
ratier, endlich gelungen war, Boucher und Watteau zu entthronen,
folgte die französische Malerei der Hinneigung zur antiken Kunst mit
aller Uebertriebenheit einer Reaction. So wie man Reifrock und
Perücke, Dinge, die mit der neuen Zeit des Jahres 1793 in so gro¬
ßer Disharmonie standen, verlassen hatte, warf man sich mit Leiden¬
schaft auf daZ Nackte. Ich glaube selbst, daß der SanScülottismuö
weiter Nichts war^ als eine Reminiscenz der antiken Kunst. Die
neue französische Kunst glich der griechischen wie eine schöne, geist¬
reiche und gewissenhafte Uebersetzung; es fehlte Nichts, als der grie¬
chische Himmel und die Zeit des Perikles. Sie war eine schöne,
ausgegrabene Leiche, die gleich dem Rosse Roland'S keinen anderen
eleratte als dae todt war.

,
David, der damals den Raub der Sabinerinnen vollendet hatte,
wurde als der König der Malerei ausgerufen, und zahlreiche Schü¬
ler strömten aus allen Gegenden Frankreichs in sein Atelier. Unter
den hoffnungsvollsten seiner Schule war Einer, den er wegen seines
Eifers, wegen der Schnelligkeit seiner Fortschritte und der frühen Fe¬
stigkeit seiner Hand vorzüglich auszeichnete.

Dies war ein Jüngling aus dem südlichen Frankreich, mit
schwarzen Augen, lebhaft, begeisterungsfähig und entzündlich — es
war Inres.

Jean Auguste Ingres, dessen Vater Zeichnenlehrer in Toulouse
war, war 1781 in Montauban geboren und zeigte schon in seiner
Kindheit eine entschiedene Neigung zur Malerei. Sein Vater hatte
jedoch beschlossen, einen Musiker aus ihm zu machen, und der junge
Ingres lernte das Violon spielen, mit dem stillen Vorbehalte, doch
ein Maler zu werden. Endlich gelang es ihm auch, seinem Vater
die Einwilligung, seinen, Geschmack zu folgen, abzubringen, und er
machte sich in seinem sechszehnten Jahre nach Paris auf den Weg.

Kaum befand sich der Schüler zwei Jahre in dem Atelier des
Meisters, so fühlte er auch schon seine Begeisterung abnehmen; die
mythologische Kunst konnte seine Seele nicht ausfüllen. Eine innere


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[0257] ser glückliche Halblaie, dem die Popularität nach Gebühr anheimfällt, denn er bringt jedes Jahr Gemälde in dem Ueberfluß hervor, wie ein Apfelbaum Aepfel, ist Horace Verner, den wir bereits ge¬ ildertaben. Als es David, dem berühmten Maler des Schwures der Ho- ratier, endlich gelungen war, Boucher und Watteau zu entthronen, folgte die französische Malerei der Hinneigung zur antiken Kunst mit aller Uebertriebenheit einer Reaction. So wie man Reifrock und Perücke, Dinge, die mit der neuen Zeit des Jahres 1793 in so gro¬ ßer Disharmonie standen, verlassen hatte, warf man sich mit Leiden¬ schaft auf daZ Nackte. Ich glaube selbst, daß der SanScülottismuö weiter Nichts war^ als eine Reminiscenz der antiken Kunst. Die neue französische Kunst glich der griechischen wie eine schöne, geist¬ reiche und gewissenhafte Uebersetzung; es fehlte Nichts, als der grie¬ chische Himmel und die Zeit des Perikles. Sie war eine schöne, ausgegrabene Leiche, die gleich dem Rosse Roland'S keinen anderen eleratte als dae todt war. , David, der damals den Raub der Sabinerinnen vollendet hatte, wurde als der König der Malerei ausgerufen, und zahlreiche Schü¬ ler strömten aus allen Gegenden Frankreichs in sein Atelier. Unter den hoffnungsvollsten seiner Schule war Einer, den er wegen seines Eifers, wegen der Schnelligkeit seiner Fortschritte und der frühen Fe¬ stigkeit seiner Hand vorzüglich auszeichnete. Dies war ein Jüngling aus dem südlichen Frankreich, mit schwarzen Augen, lebhaft, begeisterungsfähig und entzündlich — es war Inres. Jean Auguste Ingres, dessen Vater Zeichnenlehrer in Toulouse war, war 1781 in Montauban geboren und zeigte schon in seiner Kindheit eine entschiedene Neigung zur Malerei. Sein Vater hatte jedoch beschlossen, einen Musiker aus ihm zu machen, und der junge Ingres lernte das Violon spielen, mit dem stillen Vorbehalte, doch ein Maler zu werden. Endlich gelang es ihm auch, seinem Vater die Einwilligung, seinen, Geschmack zu folgen, abzubringen, und er machte sich in seinem sechszehnten Jahre nach Paris auf den Weg. Kaum befand sich der Schüler zwei Jahre in dem Atelier des Meisters, so fühlte er auch schon seine Begeisterung abnehmen; die mythologische Kunst konnte seine Seele nicht ausfüllen. Eine innere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/257>, abgerufen am 26.06.2024.