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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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den, den ich nur durch seine Leidenschaften, durch seine Erziehung un¬
glücklich, Nie aber schlecht nennen kann, so war sie das eines Gecken.
Sie erinnern sich vielleicht, daß sie damals oft später als sonst nach
Hause kam. Jene Freundin, die sie zu besuchen vorgab, war ein
hiesiger Banquierssohn, der sich auf ihrem Heimwege zu ihr gesellt
hatte und dem es nicht viel Mühe kostete, in ihrem schwärmerischen
Gemüthe eine Leidenschaft für sich zu erwecken. Die Bekanntschaft
wurde längere Zeit heimlich fortgesetzt, bis er sie, zur Zeit der höch¬
sten Noth, von der Mutter wegnahm und bald darauf verließ. Sie
wollte zur Mutter zurück, mit ihr hungern und darben, für sie Tag
und Nacht arbeiten, aber diese stieß sie von sich in das Elend. Fra¬
gen Sie nicht, wo sie jetzt ist.

-- Wo aber ist jetzt Ihre Mutter und Ihre Schwester Therese?
frug ich endlich.

Sie ist sehr krank und wohnt bei einer armen Arbeiterfamilie.
Therese will Nichts von mir wissen, sie soll erzittern, wenn sie meinen
Namen hört, und geäußert haben, ich sei ihre Schwester nicht. Warum
sich das arme Mädchen von mir hintergangen glaubt, werden Sie
erfahren, wenn Sie sie einmal sprechen. Es ist mir unmöglich, Ihnen
auch dies noch zu erzählen. Sie wäscht und strickt für mehrere unserer
alten Kunden und ernährt sich ganz kümmerlich. Doch besuchen Sie
sie einmal. Sagen Sie aber nicht, daß Sie von mir kommen, mein
Name darf dort nicht genannt werden, ich darf mich nur Abends
spät hinschleichen nach dem kleinen Hause in der Hamburger Straße,
um oft lange oder vergebens auf ein Kind zu warten, bei dem ich
ein Paar ärmliche Erkundigungen einziehen kann.

Nun aber bin ich Ihnen, von dieser Eleganz umgeben, el"
Räthsel. Hören Sie mein weiteres Schicksal und richten Sie mich
dann mit Ihrer Vernunft und Ihrem Herzen. Ich war bei meiner
Schwester geblieben, hatte Alles nach und nach verkauft, was ich
noch besessen, und mir während der Zeit Mühe gegeben, Arbeit für
uns Beide zu schaffen. Als dies nicht gelang, wollte ich nur irgend
eine anständige Stelle suchen. Da ich mich aber über mein bishe¬
riges Leben nicht genügend ausweisen und Leuten, die dies nicht
verstanden und gefühlt hätten, nicht sagen konnte, daß ich durch Liebe
unglücklich geworden sei, wurde ich von den Hallsfrauen., als zwei¬
deutig, zurückgewiesen. Ich bot mich zu der schwersten, gröbsten Ar-


Ärcnzl'oder tsi-i. I. 3Z

den, den ich nur durch seine Leidenschaften, durch seine Erziehung un¬
glücklich, Nie aber schlecht nennen kann, so war sie das eines Gecken.
Sie erinnern sich vielleicht, daß sie damals oft später als sonst nach
Hause kam. Jene Freundin, die sie zu besuchen vorgab, war ein
hiesiger Banquierssohn, der sich auf ihrem Heimwege zu ihr gesellt
hatte und dem es nicht viel Mühe kostete, in ihrem schwärmerischen
Gemüthe eine Leidenschaft für sich zu erwecken. Die Bekanntschaft
wurde längere Zeit heimlich fortgesetzt, bis er sie, zur Zeit der höch¬
sten Noth, von der Mutter wegnahm und bald darauf verließ. Sie
wollte zur Mutter zurück, mit ihr hungern und darben, für sie Tag
und Nacht arbeiten, aber diese stieß sie von sich in das Elend. Fra¬
gen Sie nicht, wo sie jetzt ist.

— Wo aber ist jetzt Ihre Mutter und Ihre Schwester Therese?
frug ich endlich.

Sie ist sehr krank und wohnt bei einer armen Arbeiterfamilie.
Therese will Nichts von mir wissen, sie soll erzittern, wenn sie meinen
Namen hört, und geäußert haben, ich sei ihre Schwester nicht. Warum
sich das arme Mädchen von mir hintergangen glaubt, werden Sie
erfahren, wenn Sie sie einmal sprechen. Es ist mir unmöglich, Ihnen
auch dies noch zu erzählen. Sie wäscht und strickt für mehrere unserer
alten Kunden und ernährt sich ganz kümmerlich. Doch besuchen Sie
sie einmal. Sagen Sie aber nicht, daß Sie von mir kommen, mein
Name darf dort nicht genannt werden, ich darf mich nur Abends
spät hinschleichen nach dem kleinen Hause in der Hamburger Straße,
um oft lange oder vergebens auf ein Kind zu warten, bei dem ich
ein Paar ärmliche Erkundigungen einziehen kann.

Nun aber bin ich Ihnen, von dieser Eleganz umgeben, el»
Räthsel. Hören Sie mein weiteres Schicksal und richten Sie mich
dann mit Ihrer Vernunft und Ihrem Herzen. Ich war bei meiner
Schwester geblieben, hatte Alles nach und nach verkauft, was ich
noch besessen, und mir während der Zeit Mühe gegeben, Arbeit für
uns Beide zu schaffen. Als dies nicht gelang, wollte ich nur irgend
eine anständige Stelle suchen. Da ich mich aber über mein bishe¬
riges Leben nicht genügend ausweisen und Leuten, die dies nicht
verstanden und gefühlt hätten, nicht sagen konnte, daß ich durch Liebe
unglücklich geworden sei, wurde ich von den Hallsfrauen., als zwei¬
deutig, zurückgewiesen. Ich bot mich zu der schwersten, gröbsten Ar-


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[0253] den, den ich nur durch seine Leidenschaften, durch seine Erziehung un¬ glücklich, Nie aber schlecht nennen kann, so war sie das eines Gecken. Sie erinnern sich vielleicht, daß sie damals oft später als sonst nach Hause kam. Jene Freundin, die sie zu besuchen vorgab, war ein hiesiger Banquierssohn, der sich auf ihrem Heimwege zu ihr gesellt hatte und dem es nicht viel Mühe kostete, in ihrem schwärmerischen Gemüthe eine Leidenschaft für sich zu erwecken. Die Bekanntschaft wurde längere Zeit heimlich fortgesetzt, bis er sie, zur Zeit der höch¬ sten Noth, von der Mutter wegnahm und bald darauf verließ. Sie wollte zur Mutter zurück, mit ihr hungern und darben, für sie Tag und Nacht arbeiten, aber diese stieß sie von sich in das Elend. Fra¬ gen Sie nicht, wo sie jetzt ist. — Wo aber ist jetzt Ihre Mutter und Ihre Schwester Therese? frug ich endlich. Sie ist sehr krank und wohnt bei einer armen Arbeiterfamilie. Therese will Nichts von mir wissen, sie soll erzittern, wenn sie meinen Namen hört, und geäußert haben, ich sei ihre Schwester nicht. Warum sich das arme Mädchen von mir hintergangen glaubt, werden Sie erfahren, wenn Sie sie einmal sprechen. Es ist mir unmöglich, Ihnen auch dies noch zu erzählen. Sie wäscht und strickt für mehrere unserer alten Kunden und ernährt sich ganz kümmerlich. Doch besuchen Sie sie einmal. Sagen Sie aber nicht, daß Sie von mir kommen, mein Name darf dort nicht genannt werden, ich darf mich nur Abends spät hinschleichen nach dem kleinen Hause in der Hamburger Straße, um oft lange oder vergebens auf ein Kind zu warten, bei dem ich ein Paar ärmliche Erkundigungen einziehen kann. Nun aber bin ich Ihnen, von dieser Eleganz umgeben, el» Räthsel. Hören Sie mein weiteres Schicksal und richten Sie mich dann mit Ihrer Vernunft und Ihrem Herzen. Ich war bei meiner Schwester geblieben, hatte Alles nach und nach verkauft, was ich noch besessen, und mir während der Zeit Mühe gegeben, Arbeit für uns Beide zu schaffen. Als dies nicht gelang, wollte ich nur irgend eine anständige Stelle suchen. Da ich mich aber über mein bishe¬ riges Leben nicht genügend ausweisen und Leuten, die dies nicht verstanden und gefühlt hätten, nicht sagen konnte, daß ich durch Liebe unglücklich geworden sei, wurde ich von den Hallsfrauen., als zwei¬ deutig, zurückgewiesen. Ich bot mich zu der schwersten, gröbsten Ar- Ärcnzl'oder tsi-i. I. 3Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/253>, abgerufen am 26.06.2024.