die Straße, ich unterscheide Männerstimmen, höre Alfred's Namen rufen. Mit Blitzesschnelle stürze ich die Treppe hinunter, in das Zimmer, woher der Lärm dringt. Verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen die Scene schildere, die ich hier erblickte: einen großen grünen Tisch, auf dem Gold und Spielkarten umhergestreut lagen, und Alfred, der sich am Fußboden mit blutender Stirn unter den Mißhandlungen einiger Männer wand. Ich stürzte mich unter die Wüthenden und glaubte ihn schon gerettet in meinen Armen, da erschien die Polizei. Er war ein falscher Spieler. Halb wahnsinnig stand ich da, einer der umstehenden Herren nähert sich mir mitleidsvoll, befiehlt seinem Bedienten, den Arzt zu rufen, und führt mich auf mein Zimmer, wo ich nach einer vierstündigen Ohnmacht endlich zur schrecklichsten Ver¬ zweiflung wieder erwachte. Seit jener Nacht habe ich Alfred nicht wieder gesehen, noch etwas von ihm gehört. Man hatte ihn fest- gesetzt und mich, da ich mich weder durch meinen Paß, noch sonst legitimiren konnte, in Gesellschaft von allerhand Gesinde! über die Grenze geschafft. In Dresden, wo ich erkrankte, war mir das wenige Geld ausgegangen, das ich noch besessen; ich wollte eben zu einem Juwelier gehen und meinen Schmuck verkaufen, als ich auf der Brücke demselben Herrn begegnete, der mir in jener Nacht so hilf¬ reich war. Er begrüßte mich achtungsvoll und freundlich, ich faßte Zutrauen und erzählte ihm in meiner Angst mein Schicksal. "Dem ist bald abzuhelfen", antwortete er, "wir sind ja Landsleute, ich bin auch aus Berlin und fahre so eben mit Ertrapost dorthin. Wenn Sie meine Begleitung annehmen wollen, so fahren Sie mit mir." In diesem Augenblicke wäre Sprödigkeit nur Dummheit gewesen, ich mußte mich, auf gut Glück, dem fremden Manne anvertrauen. Ich kann Ihnen meine fürchterliche Angst während dieser Reise nicht mit Worten schildern. So sollte ich nun plötzlich wieder nach Berlin kommen. Wohin aber in meiner Lage dort gehen? An wen mich wenden? Natürlich an meine Eltern. Werden sie mich aber auf¬ nehmen? Und wenn sie es nicht thun, wie und wovon dort eristiren? Dies Alles schwirrte mir wie ein wirrer Traum unaufhörlich vor der Seele und wurde zur wahren Verzweiflung, als ich, in Berlin ange¬ langt, nach der Aleranderstraße komme. Das Haus hatte einen an¬ deren Besitzer, war von ganz anderen Leuten bewohnt, man kannte den Namen Thümmel nicht mehr. Der fremde Herr hatte mich am
die Straße, ich unterscheide Männerstimmen, höre Alfred's Namen rufen. Mit Blitzesschnelle stürze ich die Treppe hinunter, in das Zimmer, woher der Lärm dringt. Verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen die Scene schildere, die ich hier erblickte: einen großen grünen Tisch, auf dem Gold und Spielkarten umhergestreut lagen, und Alfred, der sich am Fußboden mit blutender Stirn unter den Mißhandlungen einiger Männer wand. Ich stürzte mich unter die Wüthenden und glaubte ihn schon gerettet in meinen Armen, da erschien die Polizei. Er war ein falscher Spieler. Halb wahnsinnig stand ich da, einer der umstehenden Herren nähert sich mir mitleidsvoll, befiehlt seinem Bedienten, den Arzt zu rufen, und führt mich auf mein Zimmer, wo ich nach einer vierstündigen Ohnmacht endlich zur schrecklichsten Ver¬ zweiflung wieder erwachte. Seit jener Nacht habe ich Alfred nicht wieder gesehen, noch etwas von ihm gehört. Man hatte ihn fest- gesetzt und mich, da ich mich weder durch meinen Paß, noch sonst legitimiren konnte, in Gesellschaft von allerhand Gesinde! über die Grenze geschafft. In Dresden, wo ich erkrankte, war mir das wenige Geld ausgegangen, das ich noch besessen; ich wollte eben zu einem Juwelier gehen und meinen Schmuck verkaufen, als ich auf der Brücke demselben Herrn begegnete, der mir in jener Nacht so hilf¬ reich war. Er begrüßte mich achtungsvoll und freundlich, ich faßte Zutrauen und erzählte ihm in meiner Angst mein Schicksal. „Dem ist bald abzuhelfen", antwortete er, „wir sind ja Landsleute, ich bin auch aus Berlin und fahre so eben mit Ertrapost dorthin. Wenn Sie meine Begleitung annehmen wollen, so fahren Sie mit mir." In diesem Augenblicke wäre Sprödigkeit nur Dummheit gewesen, ich mußte mich, auf gut Glück, dem fremden Manne anvertrauen. Ich kann Ihnen meine fürchterliche Angst während dieser Reise nicht mit Worten schildern. So sollte ich nun plötzlich wieder nach Berlin kommen. Wohin aber in meiner Lage dort gehen? An wen mich wenden? Natürlich an meine Eltern. Werden sie mich aber auf¬ nehmen? Und wenn sie es nicht thun, wie und wovon dort eristiren? Dies Alles schwirrte mir wie ein wirrer Traum unaufhörlich vor der Seele und wurde zur wahren Verzweiflung, als ich, in Berlin ange¬ langt, nach der Aleranderstraße komme. Das Haus hatte einen an¬ deren Besitzer, war von ganz anderen Leuten bewohnt, man kannte den Namen Thümmel nicht mehr. Der fremde Herr hatte mich am
<TEI><text><body><div><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0251"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179964"/><pxml:id="ID_635"prev="#ID_634"next="#ID_636"> die Straße, ich unterscheide Männerstimmen, höre Alfred's Namen<lb/>
rufen. Mit Blitzesschnelle stürze ich die Treppe hinunter, in das<lb/>
Zimmer, woher der Lärm dringt. Verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen<lb/>
die Scene schildere, die ich hier erblickte: einen großen grünen Tisch,<lb/>
auf dem Gold und Spielkarten umhergestreut lagen, und Alfred, der<lb/>
sich am Fußboden mit blutender Stirn unter den Mißhandlungen<lb/>
einiger Männer wand. Ich stürzte mich unter die Wüthenden und<lb/>
glaubte ihn schon gerettet in meinen Armen, da erschien die Polizei.<lb/>
Er war ein falscher Spieler. Halb wahnsinnig stand ich da, einer<lb/>
der umstehenden Herren nähert sich mir mitleidsvoll, befiehlt seinem<lb/>
Bedienten, den Arzt zu rufen, und führt mich auf mein Zimmer, wo<lb/>
ich nach einer vierstündigen Ohnmacht endlich zur schrecklichsten Ver¬<lb/>
zweiflung wieder erwachte. Seit jener Nacht habe ich Alfred nicht<lb/>
wieder gesehen, noch etwas von ihm gehört. Man hatte ihn fest-<lb/>
gesetzt und mich, da ich mich weder durch meinen Paß, noch sonst<lb/>
legitimiren konnte, in Gesellschaft von allerhand Gesinde! über die<lb/>
Grenze geschafft. In Dresden, wo ich erkrankte, war mir das wenige<lb/>
Geld ausgegangen, das ich noch besessen; ich wollte eben zu einem<lb/>
Juwelier gehen und meinen Schmuck verkaufen, als ich auf der<lb/>
Brücke demselben Herrn begegnete, der mir in jener Nacht so hilf¬<lb/>
reich war. Er begrüßte mich achtungsvoll und freundlich, ich faßte<lb/>
Zutrauen und erzählte ihm in meiner Angst mein Schicksal. „Dem<lb/>
ist bald abzuhelfen", antwortete er, „wir sind ja Landsleute, ich bin<lb/>
auch aus Berlin und fahre so eben mit Ertrapost dorthin. Wenn<lb/>
Sie meine Begleitung annehmen wollen, so fahren Sie mit mir."<lb/>
In diesem Augenblicke wäre Sprödigkeit nur Dummheit gewesen, ich<lb/>
mußte mich, auf gut Glück, dem fremden Manne anvertrauen. Ich<lb/>
kann Ihnen meine fürchterliche Angst während dieser Reise nicht mit<lb/>
Worten schildern. So sollte ich nun plötzlich wieder nach Berlin<lb/>
kommen. Wohin aber in meiner Lage dort gehen? An wen mich<lb/>
wenden? Natürlich an meine Eltern. Werden sie mich aber auf¬<lb/>
nehmen? Und wenn sie es nicht thun, wie und wovon dort eristiren?<lb/>
Dies Alles schwirrte mir wie ein wirrer Traum unaufhörlich vor der<lb/>
Seele und wurde zur wahren Verzweiflung, als ich, in Berlin ange¬<lb/>
langt, nach der Aleranderstraße komme. Das Haus hatte einen an¬<lb/>
deren Besitzer, war von ganz anderen Leuten bewohnt, man kannte<lb/>
den Namen Thümmel nicht mehr. Der fremde Herr hatte mich am</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[0251]
die Straße, ich unterscheide Männerstimmen, höre Alfred's Namen
rufen. Mit Blitzesschnelle stürze ich die Treppe hinunter, in das
Zimmer, woher der Lärm dringt. Verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen
die Scene schildere, die ich hier erblickte: einen großen grünen Tisch,
auf dem Gold und Spielkarten umhergestreut lagen, und Alfred, der
sich am Fußboden mit blutender Stirn unter den Mißhandlungen
einiger Männer wand. Ich stürzte mich unter die Wüthenden und
glaubte ihn schon gerettet in meinen Armen, da erschien die Polizei.
Er war ein falscher Spieler. Halb wahnsinnig stand ich da, einer
der umstehenden Herren nähert sich mir mitleidsvoll, befiehlt seinem
Bedienten, den Arzt zu rufen, und führt mich auf mein Zimmer, wo
ich nach einer vierstündigen Ohnmacht endlich zur schrecklichsten Ver¬
zweiflung wieder erwachte. Seit jener Nacht habe ich Alfred nicht
wieder gesehen, noch etwas von ihm gehört. Man hatte ihn fest-
gesetzt und mich, da ich mich weder durch meinen Paß, noch sonst
legitimiren konnte, in Gesellschaft von allerhand Gesinde! über die
Grenze geschafft. In Dresden, wo ich erkrankte, war mir das wenige
Geld ausgegangen, das ich noch besessen; ich wollte eben zu einem
Juwelier gehen und meinen Schmuck verkaufen, als ich auf der
Brücke demselben Herrn begegnete, der mir in jener Nacht so hilf¬
reich war. Er begrüßte mich achtungsvoll und freundlich, ich faßte
Zutrauen und erzählte ihm in meiner Angst mein Schicksal. „Dem
ist bald abzuhelfen", antwortete er, „wir sind ja Landsleute, ich bin
auch aus Berlin und fahre so eben mit Ertrapost dorthin. Wenn
Sie meine Begleitung annehmen wollen, so fahren Sie mit mir."
In diesem Augenblicke wäre Sprödigkeit nur Dummheit gewesen, ich
mußte mich, auf gut Glück, dem fremden Manne anvertrauen. Ich
kann Ihnen meine fürchterliche Angst während dieser Reise nicht mit
Worten schildern. So sollte ich nun plötzlich wieder nach Berlin
kommen. Wohin aber in meiner Lage dort gehen? An wen mich
wenden? Natürlich an meine Eltern. Werden sie mich aber auf¬
nehmen? Und wenn sie es nicht thun, wie und wovon dort eristiren?
Dies Alles schwirrte mir wie ein wirrer Traum unaufhörlich vor der
Seele und wurde zur wahren Verzweiflung, als ich, in Berlin ange¬
langt, nach der Aleranderstraße komme. Das Haus hatte einen an¬
deren Besitzer, war von ganz anderen Leuten bewohnt, man kannte
den Namen Thümmel nicht mehr. Der fremde Herr hatte mich am
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/251>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.