Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

jetzt von ihr bezwungen, folgte ich ihr blindlings nach. Doch wußte
ich sie, da ich mich ja ihrer schämen mußte, so geheim zu halten,
daß selbst meine Schwester Therese Nichts merkte, in der ich, zu mei¬
nem größten Schrecken, bald dieselbe leidenschaftliche Liebe entdeckte.
Sie war zu lebhaften Temperaments, um dies verbergen zu können,
und ich hatte nicht mehr den Muth, sie schulmeisterlich zurecht zu
weisen. Da Alfred übrigens gegen uns Beide gleich freundlich war,
konnte Keiner mein Verhältniß zu ihm errathen. Noch heut aber
kann ich beschwören, daß meine Liebe weder dem Baron, noch dem
reichen Manne in ihm galt. Doch will ich Ihnen hier nicht die
Geschichte meiner inneren Leiden und Kämpfe erzählen. Alfred ver¬
langte endlich das höchste Opfer von mir, ich sollte ihn auf einer
Reise begleiten, da er Berlin schnell verlassen müsse. Meine Eltern,
arme, aber ehrbare Leute, hätten dies nie zugegeben, ich mußte also
heimlich mit ihm entfliehen und in dem Zusammenleben mit dem
Geliebten den einzigen Trost für meinen nagenden Gram suchen. Ich
schrieb in"hrere Male an meine Eltern, bat sie unter heißen Thränen
um Verzeihung, erhielt aber keine Antwort. Wir gingen nach'Carls¬
bad, als der Sommer vorüber war, von da nach Wien und lebten
so abwechselnd zwischen beiden Städten drei Jahre lang. Alfred hatte
mich mit allem Glänze seiner Verhältnisse umgeben, brachte mich
aber nie mit Jemand von seinen Bekannten in Berührung. Die
Nächte saß ich oft ganz allein und erwartete ihn mit der heißesten
Sehnsucht. Wenn er bleich und verstört des Morgens in'S Zimmer
trat, und ich ihn fragen wollte, wo er gewesen, blickte er mich ge¬
wöhnlich so finster an, daß ich verstummte. Ich hatte in den be¬
schränkten Kreisen meiner Jugend die Welt zu wenig kennen gelernt,
um sein Treiben errathen zu können und in seiner Nähe vergaß ich
Alles, was mich in seiner Abwesenheit betrübte, selbst mein trauriges
Verhältniß zu ihm; ich hatte während dieser Jahre kaum einen Mer>
schen außer ihm gesprochen, noch von meiner Heimath, von meinen
Lieben etwas erfahren, doch war mir, als hätte ich Nichts verloren
und Alles, das Höchste gewonnen. Doch sollte mir dies Glück bald
grausam vernichtet werden. Hören Sie! Einmal Nachts -- in Carls¬
bad -- saß ich, wie gewöhnlich, noch wachend auf, als aus den
unteren Zimmern des Hotels, in dem wir wohnten, ein verworrenes
Geräusch zu mir heraufdrang. Der Lärm verbreitet sich über


jetzt von ihr bezwungen, folgte ich ihr blindlings nach. Doch wußte
ich sie, da ich mich ja ihrer schämen mußte, so geheim zu halten,
daß selbst meine Schwester Therese Nichts merkte, in der ich, zu mei¬
nem größten Schrecken, bald dieselbe leidenschaftliche Liebe entdeckte.
Sie war zu lebhaften Temperaments, um dies verbergen zu können,
und ich hatte nicht mehr den Muth, sie schulmeisterlich zurecht zu
weisen. Da Alfred übrigens gegen uns Beide gleich freundlich war,
konnte Keiner mein Verhältniß zu ihm errathen. Noch heut aber
kann ich beschwören, daß meine Liebe weder dem Baron, noch dem
reichen Manne in ihm galt. Doch will ich Ihnen hier nicht die
Geschichte meiner inneren Leiden und Kämpfe erzählen. Alfred ver¬
langte endlich das höchste Opfer von mir, ich sollte ihn auf einer
Reise begleiten, da er Berlin schnell verlassen müsse. Meine Eltern,
arme, aber ehrbare Leute, hätten dies nie zugegeben, ich mußte also
heimlich mit ihm entfliehen und in dem Zusammenleben mit dem
Geliebten den einzigen Trost für meinen nagenden Gram suchen. Ich
schrieb in«hrere Male an meine Eltern, bat sie unter heißen Thränen
um Verzeihung, erhielt aber keine Antwort. Wir gingen nach'Carls¬
bad, als der Sommer vorüber war, von da nach Wien und lebten
so abwechselnd zwischen beiden Städten drei Jahre lang. Alfred hatte
mich mit allem Glänze seiner Verhältnisse umgeben, brachte mich
aber nie mit Jemand von seinen Bekannten in Berührung. Die
Nächte saß ich oft ganz allein und erwartete ihn mit der heißesten
Sehnsucht. Wenn er bleich und verstört des Morgens in'S Zimmer
trat, und ich ihn fragen wollte, wo er gewesen, blickte er mich ge¬
wöhnlich so finster an, daß ich verstummte. Ich hatte in den be¬
schränkten Kreisen meiner Jugend die Welt zu wenig kennen gelernt,
um sein Treiben errathen zu können und in seiner Nähe vergaß ich
Alles, was mich in seiner Abwesenheit betrübte, selbst mein trauriges
Verhältniß zu ihm; ich hatte während dieser Jahre kaum einen Mer>
schen außer ihm gesprochen, noch von meiner Heimath, von meinen
Lieben etwas erfahren, doch war mir, als hätte ich Nichts verloren
und Alles, das Höchste gewonnen. Doch sollte mir dies Glück bald
grausam vernichtet werden. Hören Sie! Einmal Nachts — in Carls¬
bad — saß ich, wie gewöhnlich, noch wachend auf, als aus den
unteren Zimmern des Hotels, in dem wir wohnten, ein verworrenes
Geräusch zu mir heraufdrang. Der Lärm verbreitet sich über


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179963"/>
            <p xml:id="ID_634" prev="#ID_633" next="#ID_635"> jetzt von ihr bezwungen, folgte ich ihr blindlings nach.  Doch wußte<lb/>
ich sie, da ich mich ja ihrer schämen mußte, so geheim zu halten,<lb/>
daß selbst meine Schwester Therese Nichts merkte, in der ich, zu mei¬<lb/>
nem größten Schrecken, bald dieselbe leidenschaftliche Liebe entdeckte.<lb/>
Sie war zu lebhaften Temperaments, um dies verbergen zu können,<lb/>
und ich hatte nicht mehr den Muth, sie schulmeisterlich zurecht zu<lb/>
weisen. Da Alfred übrigens gegen uns Beide gleich freundlich war,<lb/>
konnte Keiner mein Verhältniß zu ihm errathen. Noch heut aber<lb/>
kann ich beschwören, daß meine Liebe weder dem Baron, noch dem<lb/>
reichen Manne in ihm galt. Doch will ich Ihnen hier nicht die<lb/>
Geschichte meiner inneren Leiden und Kämpfe erzählen. Alfred ver¬<lb/>
langte endlich das höchste Opfer von mir, ich sollte ihn auf einer<lb/>
Reise begleiten, da er Berlin schnell verlassen müsse. Meine Eltern,<lb/>
arme, aber ehrbare Leute, hätten dies nie zugegeben, ich mußte also<lb/>
heimlich mit ihm entfliehen und in dem Zusammenleben mit dem<lb/>
Geliebten den einzigen Trost für meinen nagenden Gram suchen. Ich<lb/>
schrieb in«hrere Male an meine Eltern, bat sie unter heißen Thränen<lb/>
um Verzeihung, erhielt aber keine Antwort. Wir gingen nach'Carls¬<lb/>
bad, als der Sommer vorüber war, von da nach Wien und lebten<lb/>
so abwechselnd zwischen beiden Städten drei Jahre lang. Alfred hatte<lb/>
mich mit allem Glänze seiner Verhältnisse umgeben, brachte mich<lb/>
aber nie mit Jemand von seinen Bekannten in Berührung. Die<lb/>
Nächte saß ich oft ganz allein und erwartete ihn mit der heißesten<lb/>
Sehnsucht. Wenn er bleich und verstört des Morgens in'S Zimmer<lb/>
trat, und ich ihn fragen wollte, wo er gewesen, blickte er mich ge¬<lb/>
wöhnlich so finster an, daß ich verstummte.  Ich hatte in den be¬<lb/>
schränkten Kreisen meiner Jugend die Welt zu wenig kennen gelernt,<lb/>
um sein Treiben errathen zu können und in seiner Nähe vergaß ich<lb/>
Alles, was mich in seiner Abwesenheit betrübte, selbst mein trauriges<lb/>
Verhältniß zu ihm; ich hatte während dieser Jahre kaum einen Mer&gt;<lb/>
schen außer ihm gesprochen, noch von meiner Heimath, von meinen<lb/>
Lieben etwas erfahren, doch war mir, als hätte ich Nichts verloren<lb/>
und Alles, das Höchste gewonnen. Doch sollte mir dies Glück bald<lb/>
grausam vernichtet werden. Hören Sie! Einmal Nachts &#x2014; in Carls¬<lb/>
bad &#x2014; saß ich, wie gewöhnlich, noch wachend auf, als aus den<lb/>
unteren Zimmern des Hotels, in dem wir wohnten, ein verworrenes<lb/>
Geräusch zu mir heraufdrang.  Der Lärm verbreitet sich über</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] jetzt von ihr bezwungen, folgte ich ihr blindlings nach. Doch wußte ich sie, da ich mich ja ihrer schämen mußte, so geheim zu halten, daß selbst meine Schwester Therese Nichts merkte, in der ich, zu mei¬ nem größten Schrecken, bald dieselbe leidenschaftliche Liebe entdeckte. Sie war zu lebhaften Temperaments, um dies verbergen zu können, und ich hatte nicht mehr den Muth, sie schulmeisterlich zurecht zu weisen. Da Alfred übrigens gegen uns Beide gleich freundlich war, konnte Keiner mein Verhältniß zu ihm errathen. Noch heut aber kann ich beschwören, daß meine Liebe weder dem Baron, noch dem reichen Manne in ihm galt. Doch will ich Ihnen hier nicht die Geschichte meiner inneren Leiden und Kämpfe erzählen. Alfred ver¬ langte endlich das höchste Opfer von mir, ich sollte ihn auf einer Reise begleiten, da er Berlin schnell verlassen müsse. Meine Eltern, arme, aber ehrbare Leute, hätten dies nie zugegeben, ich mußte also heimlich mit ihm entfliehen und in dem Zusammenleben mit dem Geliebten den einzigen Trost für meinen nagenden Gram suchen. Ich schrieb in«hrere Male an meine Eltern, bat sie unter heißen Thränen um Verzeihung, erhielt aber keine Antwort. Wir gingen nach'Carls¬ bad, als der Sommer vorüber war, von da nach Wien und lebten so abwechselnd zwischen beiden Städten drei Jahre lang. Alfred hatte mich mit allem Glänze seiner Verhältnisse umgeben, brachte mich aber nie mit Jemand von seinen Bekannten in Berührung. Die Nächte saß ich oft ganz allein und erwartete ihn mit der heißesten Sehnsucht. Wenn er bleich und verstört des Morgens in'S Zimmer trat, und ich ihn fragen wollte, wo er gewesen, blickte er mich ge¬ wöhnlich so finster an, daß ich verstummte. Ich hatte in den be¬ schränkten Kreisen meiner Jugend die Welt zu wenig kennen gelernt, um sein Treiben errathen zu können und in seiner Nähe vergaß ich Alles, was mich in seiner Abwesenheit betrübte, selbst mein trauriges Verhältniß zu ihm; ich hatte während dieser Jahre kaum einen Mer> schen außer ihm gesprochen, noch von meiner Heimath, von meinen Lieben etwas erfahren, doch war mir, als hätte ich Nichts verloren und Alles, das Höchste gewonnen. Doch sollte mir dies Glück bald grausam vernichtet werden. Hören Sie! Einmal Nachts — in Carls¬ bad — saß ich, wie gewöhnlich, noch wachend auf, als aus den unteren Zimmern des Hotels, in dem wir wohnten, ein verworrenes Geräusch zu mir heraufdrang. Der Lärm verbreitet sich über

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/250>, abgerufen am 23.12.2024.