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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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den Pariser Bankier Aguado, zufällig offen, und so benutzte er es,
ohne sich um dessen politische Farbe weiter zu bekümmern. Merk-
würdig war sein Benehmen gegen Frau von Varnhagen; er wußte
im Ganzen sehr gut seinen Ton nach den Personen zu stimmen, doch
selbst wenn er aufmerksame Artigkeit bezeigen wollte, lag noch etwas
Unverbindliches in seinem Auövruck, das gleichsam merken ließ, es
beliebe ihm jetzt gerade so zu sein, und eS könne der nächste Augenblick
ihn ganz anders zeigen. Nur bei Frau von Varnhagen schien er
diesen Rückhalt aufzugeben, mit ihr schien er unbefangen sich auf
gleichen Boden zu stellen, für sie zeigte er ungewöhnliche Beachtung
und eine Art freundlicher Zuversicht, die seinem Wesen übrigens fremd
war. Jugend und Schönheit hätten dies nicht über ihn vermocht,
bloßer Rang auch nicht, den Geist allein war er weder fähig noch
willig in so hohem Werth anzuerkennen; was bewog ihn zu diesem
auffallenden guten Vernehmen? Ich glaube den Grund einzusehen.
Cordova hatte das Gefühl, hier sei ein Wesen, das ihn durchschaue,
und das ihn bei diesem Durchschauen mit vollkommener Güte gelten
lasse, das sich nicht gegen ihn überhebe, sondern das Menschliche in
ihm anerkenne. Wenigstens habe ich stets wahrgenommen, daß die
sprödesten Menschen sich in solchem Falle, wo sie sich erkannt und
doch geschont sehen, unwillkürlich dankbar und gefällig erweisen. Wie
selten aber findet sich diese wahre christliche Milde, die eben so ver¬
zeiht, als erkennt! In Frau von Varnhagen schien sie wirklich einge¬
boren, und dies war ohne Zweifel ein Haupttheil des Zaubers, den
sie auf die verschiedensten Gemüthsarten unmittelbar ausübte.

Wir bildeten, theils sitzend, theils stehend, eine Gruppe bei dem
Sopha, die Musik war fortwährend das Hauptthema des Gesprächs,
welches doch nur von eigentlich drei oder vier Personen geführt
wurde; E... und Graf von M... wechselten abgesondert vertrauliche
Worte; der Graf von K... L... stand beharrlich als schweigsamer
Beobachter, ohne durch Laut oder Miene zu verrathen,, wessen Mei¬
nung er etwa beistimme. Unterdessen wurde Madame Milder, die
herrliche Sängerin, durch den Grafen von U... hereingeführt und
von den Damen mit größter Vorliebe aufgenommen; daß sie singen
würde, war sogleich entschieden, sie war entzückter Hörerinnen gewiß
und ihnen gern gefällig.

Plötzlich aber hören wir einen lebhaften Aufschrei, wir wenden


den Pariser Bankier Aguado, zufällig offen, und so benutzte er es,
ohne sich um dessen politische Farbe weiter zu bekümmern. Merk-
würdig war sein Benehmen gegen Frau von Varnhagen; er wußte
im Ganzen sehr gut seinen Ton nach den Personen zu stimmen, doch
selbst wenn er aufmerksame Artigkeit bezeigen wollte, lag noch etwas
Unverbindliches in seinem Auövruck, das gleichsam merken ließ, es
beliebe ihm jetzt gerade so zu sein, und eS könne der nächste Augenblick
ihn ganz anders zeigen. Nur bei Frau von Varnhagen schien er
diesen Rückhalt aufzugeben, mit ihr schien er unbefangen sich auf
gleichen Boden zu stellen, für sie zeigte er ungewöhnliche Beachtung
und eine Art freundlicher Zuversicht, die seinem Wesen übrigens fremd
war. Jugend und Schönheit hätten dies nicht über ihn vermocht,
bloßer Rang auch nicht, den Geist allein war er weder fähig noch
willig in so hohem Werth anzuerkennen; was bewog ihn zu diesem
auffallenden guten Vernehmen? Ich glaube den Grund einzusehen.
Cordova hatte das Gefühl, hier sei ein Wesen, das ihn durchschaue,
und das ihn bei diesem Durchschauen mit vollkommener Güte gelten
lasse, das sich nicht gegen ihn überhebe, sondern das Menschliche in
ihm anerkenne. Wenigstens habe ich stets wahrgenommen, daß die
sprödesten Menschen sich in solchem Falle, wo sie sich erkannt und
doch geschont sehen, unwillkürlich dankbar und gefällig erweisen. Wie
selten aber findet sich diese wahre christliche Milde, die eben so ver¬
zeiht, als erkennt! In Frau von Varnhagen schien sie wirklich einge¬
boren, und dies war ohne Zweifel ein Haupttheil des Zaubers, den
sie auf die verschiedensten Gemüthsarten unmittelbar ausübte.

Wir bildeten, theils sitzend, theils stehend, eine Gruppe bei dem
Sopha, die Musik war fortwährend das Hauptthema des Gesprächs,
welches doch nur von eigentlich drei oder vier Personen geführt
wurde; E... und Graf von M... wechselten abgesondert vertrauliche
Worte; der Graf von K... L... stand beharrlich als schweigsamer
Beobachter, ohne durch Laut oder Miene zu verrathen,, wessen Mei¬
nung er etwa beistimme. Unterdessen wurde Madame Milder, die
herrliche Sängerin, durch den Grafen von U... hereingeführt und
von den Damen mit größter Vorliebe aufgenommen; daß sie singen
würde, war sogleich entschieden, sie war entzückter Hörerinnen gewiß
und ihnen gern gefällig.

Plötzlich aber hören wir einen lebhaften Aufschrei, wir wenden


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[0186] den Pariser Bankier Aguado, zufällig offen, und so benutzte er es, ohne sich um dessen politische Farbe weiter zu bekümmern. Merk- würdig war sein Benehmen gegen Frau von Varnhagen; er wußte im Ganzen sehr gut seinen Ton nach den Personen zu stimmen, doch selbst wenn er aufmerksame Artigkeit bezeigen wollte, lag noch etwas Unverbindliches in seinem Auövruck, das gleichsam merken ließ, es beliebe ihm jetzt gerade so zu sein, und eS könne der nächste Augenblick ihn ganz anders zeigen. Nur bei Frau von Varnhagen schien er diesen Rückhalt aufzugeben, mit ihr schien er unbefangen sich auf gleichen Boden zu stellen, für sie zeigte er ungewöhnliche Beachtung und eine Art freundlicher Zuversicht, die seinem Wesen übrigens fremd war. Jugend und Schönheit hätten dies nicht über ihn vermocht, bloßer Rang auch nicht, den Geist allein war er weder fähig noch willig in so hohem Werth anzuerkennen; was bewog ihn zu diesem auffallenden guten Vernehmen? Ich glaube den Grund einzusehen. Cordova hatte das Gefühl, hier sei ein Wesen, das ihn durchschaue, und das ihn bei diesem Durchschauen mit vollkommener Güte gelten lasse, das sich nicht gegen ihn überhebe, sondern das Menschliche in ihm anerkenne. Wenigstens habe ich stets wahrgenommen, daß die sprödesten Menschen sich in solchem Falle, wo sie sich erkannt und doch geschont sehen, unwillkürlich dankbar und gefällig erweisen. Wie selten aber findet sich diese wahre christliche Milde, die eben so ver¬ zeiht, als erkennt! In Frau von Varnhagen schien sie wirklich einge¬ boren, und dies war ohne Zweifel ein Haupttheil des Zaubers, den sie auf die verschiedensten Gemüthsarten unmittelbar ausübte. Wir bildeten, theils sitzend, theils stehend, eine Gruppe bei dem Sopha, die Musik war fortwährend das Hauptthema des Gesprächs, welches doch nur von eigentlich drei oder vier Personen geführt wurde; E... und Graf von M... wechselten abgesondert vertrauliche Worte; der Graf von K... L... stand beharrlich als schweigsamer Beobachter, ohne durch Laut oder Miene zu verrathen,, wessen Mei¬ nung er etwa beistimme. Unterdessen wurde Madame Milder, die herrliche Sängerin, durch den Grafen von U... hereingeführt und von den Damen mit größter Vorliebe aufgenommen; daß sie singen würde, war sogleich entschieden, sie war entzückter Hörerinnen gewiß und ihnen gern gefällig. Plötzlich aber hören wir einen lebhaften Aufschrei, wir wenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/186>, abgerufen am 29.06.2024.