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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Glauben dem Verstand unterordnet, dem Staate künftig zuwachsen?
-- Was für Geistliche? -- siel hier Herr von Varnhagen mit sanf¬
ter, mir widerwärtiger Stimme ein, -- nun möglicherweise solche Pie¬
tisten und Verketzerer, wie jetzt gegen jene Rationalisten auftreten,
denn alle jetzigen Zeloten haben zu ihrer Zeit keine andern Lehrer
gehabt, als aufgeklärte und ungläubige. -- Ja, das ist wahr! rief
der alte Reden und lachte und erinnerte sich eines frühern Vorgangs
in Göttingen, der dieser Ansicht beistimmte, ihn aber auf hannöveri-
sche Verhältnisse ablenkte, in deren Anpreisung er sich überaus gefiel.
Hier aber widersprach ihm Gans als wohlunterrichteter Gegner,
und der gute Alte, verwundert und aufgereizt, wurde nun heftiger
und führte seine Sache wirklich so gut, daß Gans wenig mehr auf¬
kam, ich fand ihn sogar matt und ungeschickt und mußte den Ruhm
seiner gepriesenen Dialektik und Beredsamkeit für wenig begründet
halten!

Ich verließ den Streit und wandte mich den Damen zu, die
inzwischen die Gesellschaft vermehrt hatten. Frau von Varnhagen
stellte mich der Gräfin von N - - - ""d deren Schwester vor, zweien
Damen von sehr ausgezeichnetem Ansehen und schöner freier Bil¬
dung; ich vernahm, daß beide die herrlichsten Stimmen hätten, und
beide sagten es nicht ab, vielleicht spater einige Lieder zu singen; die
jüngere Fräulein von Reden wurde gleichfalls wegen ihres lieblichen,
in Italien ausgebildeten Gesanges vorläufig in Anspruch genommen.
Frau von Varnhagen aber wurde von dieser Gruppe abgezogen,
denn laute Stimmen klangen vom Vorsaale herein, und eine kleine
Schaar von Herren erschien und bestürmte sie mit Begrüßungen. Es
waren zwei Offiziere, ein Graf von Seht. . . und Paul E. . ., fer¬
ner der Graf von M. . . mit dem Grafen von K. . . L. . ., und
hinter ihnen zuletzt der spanische Gesandte General Cordova. M. . .,
ein deutschredender Italiener und Diplomat, zeigte alle Lebhaftigkeit
und Gewandtheit, die seinem Ursprung und Stande entsprachen, man
sah, auf jedem Boden, den er betrat, mußte er gleich heimisch sein;
er war ungezwungen in seinen Aeußerungen, laut und lustig und
nicht allzu wählerisch in seinen Worten, so daß man leicht fürchten
konnte, er möchte in seiner Munterkeit etwas zu weit gehen, was
doch nie vorkam. Seine Erzählung von dem Verlauf einer kürzlich
gesehenen neuen Oper und von den geschmacklosen Anstrengungen


Glauben dem Verstand unterordnet, dem Staate künftig zuwachsen?
— Was für Geistliche? — siel hier Herr von Varnhagen mit sanf¬
ter, mir widerwärtiger Stimme ein, — nun möglicherweise solche Pie¬
tisten und Verketzerer, wie jetzt gegen jene Rationalisten auftreten,
denn alle jetzigen Zeloten haben zu ihrer Zeit keine andern Lehrer
gehabt, als aufgeklärte und ungläubige. — Ja, das ist wahr! rief
der alte Reden und lachte und erinnerte sich eines frühern Vorgangs
in Göttingen, der dieser Ansicht beistimmte, ihn aber auf hannöveri-
sche Verhältnisse ablenkte, in deren Anpreisung er sich überaus gefiel.
Hier aber widersprach ihm Gans als wohlunterrichteter Gegner,
und der gute Alte, verwundert und aufgereizt, wurde nun heftiger
und führte seine Sache wirklich so gut, daß Gans wenig mehr auf¬
kam, ich fand ihn sogar matt und ungeschickt und mußte den Ruhm
seiner gepriesenen Dialektik und Beredsamkeit für wenig begründet
halten!

Ich verließ den Streit und wandte mich den Damen zu, die
inzwischen die Gesellschaft vermehrt hatten. Frau von Varnhagen
stellte mich der Gräfin von N - - - ""d deren Schwester vor, zweien
Damen von sehr ausgezeichnetem Ansehen und schöner freier Bil¬
dung; ich vernahm, daß beide die herrlichsten Stimmen hätten, und
beide sagten es nicht ab, vielleicht spater einige Lieder zu singen; die
jüngere Fräulein von Reden wurde gleichfalls wegen ihres lieblichen,
in Italien ausgebildeten Gesanges vorläufig in Anspruch genommen.
Frau von Varnhagen aber wurde von dieser Gruppe abgezogen,
denn laute Stimmen klangen vom Vorsaale herein, und eine kleine
Schaar von Herren erschien und bestürmte sie mit Begrüßungen. Es
waren zwei Offiziere, ein Graf von Seht. . . und Paul E. . ., fer¬
ner der Graf von M. . . mit dem Grafen von K. . . L. . ., und
hinter ihnen zuletzt der spanische Gesandte General Cordova. M. . .,
ein deutschredender Italiener und Diplomat, zeigte alle Lebhaftigkeit
und Gewandtheit, die seinem Ursprung und Stande entsprachen, man
sah, auf jedem Boden, den er betrat, mußte er gleich heimisch sein;
er war ungezwungen in seinen Aeußerungen, laut und lustig und
nicht allzu wählerisch in seinen Worten, so daß man leicht fürchten
konnte, er möchte in seiner Munterkeit etwas zu weit gehen, was
doch nie vorkam. Seine Erzählung von dem Verlauf einer kürzlich
gesehenen neuen Oper und von den geschmacklosen Anstrengungen


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[0183] Glauben dem Verstand unterordnet, dem Staate künftig zuwachsen? — Was für Geistliche? — siel hier Herr von Varnhagen mit sanf¬ ter, mir widerwärtiger Stimme ein, — nun möglicherweise solche Pie¬ tisten und Verketzerer, wie jetzt gegen jene Rationalisten auftreten, denn alle jetzigen Zeloten haben zu ihrer Zeit keine andern Lehrer gehabt, als aufgeklärte und ungläubige. — Ja, das ist wahr! rief der alte Reden und lachte und erinnerte sich eines frühern Vorgangs in Göttingen, der dieser Ansicht beistimmte, ihn aber auf hannöveri- sche Verhältnisse ablenkte, in deren Anpreisung er sich überaus gefiel. Hier aber widersprach ihm Gans als wohlunterrichteter Gegner, und der gute Alte, verwundert und aufgereizt, wurde nun heftiger und führte seine Sache wirklich so gut, daß Gans wenig mehr auf¬ kam, ich fand ihn sogar matt und ungeschickt und mußte den Ruhm seiner gepriesenen Dialektik und Beredsamkeit für wenig begründet halten! Ich verließ den Streit und wandte mich den Damen zu, die inzwischen die Gesellschaft vermehrt hatten. Frau von Varnhagen stellte mich der Gräfin von N - - - ""d deren Schwester vor, zweien Damen von sehr ausgezeichnetem Ansehen und schöner freier Bil¬ dung; ich vernahm, daß beide die herrlichsten Stimmen hätten, und beide sagten es nicht ab, vielleicht spater einige Lieder zu singen; die jüngere Fräulein von Reden wurde gleichfalls wegen ihres lieblichen, in Italien ausgebildeten Gesanges vorläufig in Anspruch genommen. Frau von Varnhagen aber wurde von dieser Gruppe abgezogen, denn laute Stimmen klangen vom Vorsaale herein, und eine kleine Schaar von Herren erschien und bestürmte sie mit Begrüßungen. Es waren zwei Offiziere, ein Graf von Seht. . . und Paul E. . ., fer¬ ner der Graf von M. . . mit dem Grafen von K. . . L. . ., und hinter ihnen zuletzt der spanische Gesandte General Cordova. M. . ., ein deutschredender Italiener und Diplomat, zeigte alle Lebhaftigkeit und Gewandtheit, die seinem Ursprung und Stande entsprachen, man sah, auf jedem Boden, den er betrat, mußte er gleich heimisch sein; er war ungezwungen in seinen Aeußerungen, laut und lustig und nicht allzu wählerisch in seinen Worten, so daß man leicht fürchten konnte, er möchte in seiner Munterkeit etwas zu weit gehen, was doch nie vorkam. Seine Erzählung von dem Verlauf einer kürzlich gesehenen neuen Oper und von den geschmacklosen Anstrengungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/183>, abgerufen am 29.06.2024.