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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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her eigener Art, von so glücklichen, edlen und wirksamen Eigenschaf¬
ten, daß ihre Gegenwart immer ein Wohlthun war, denn ihre leb¬
hafte Thätigkeit förderte stets auf heitere anspruchslose Weise alles
Gute und Rechte, wie es dem Augenblicke gemäß erschien, und griff
dabei doch niemals eigenmächtig ein; die jüngere Schwester stimmte
anmuthig in diese Sinnesart und Gabe. Kaum hatte der alte Herr
im Lehnstuhle behaglich Platz genommen, als auch die für ihn nö¬
thigen Mitsprecher sich einfanden, der Professor Gans mit Ludwig
Robert -- dem Bruder der Frau von Varnhagen -- und Herr von
Narnhagen, alle drei schon im Streit und alsogleich von Herrn
von Reden in Beschlag genommen. Sie schienen aber ihr begon¬
nenes Gespräch nur fortzusetzen, und der Gegenstand war damals in
Berlin überall an der Tagesordnung: es war die schwebende Sache
der beiden Theologen zu Halle, Wegscheider und Gesenius, deren
Rechtgläubigkeit durch hämische Anschuldigungen war verdächtigt wor¬
den, ganz Berlin nahm Partei für oder wider, und die mächtige
Ueberzahl der Vernünftigen und Freisinnigen war für die Verketzerten,
denen aber in den höchsten Kreisen auch manche Einflüsse feindlich
waren, und eS konnte daher wohl zweifelhaft scheinen, auf welcher
Seite der Sieg bleiben würde. Die dunkle Partei bot alle Mittel
auf, aber auch die helle zeigte unerwartete Kräfte und Anhänger.
Es wurde angeführt, daß ein Minister von größtem Ansehen, den
man bisher unbedenklich zu den Unfreisimügsten gezählt, in dieser
Sache mit entschiedenem Eifer sich für die Verfolgten erklärt und ge¬
sagt habe, wenn man solchen Verdächtigungen die Bahn öffne und
dem Frömmlerwesen weltliche Macht einräume, so werde die ganze
Stadt bald nur eine große Heuchlerschule sein und jeder ordentliche
Mann aus dem Lande zu laufen wünschen. Den alten Reden ver¬
droß, daß auch der Minister von Stein sich habe dazu brauchen las¬
sen, aus Kopenhagen einen Brief an den König zu schreiben und
ihn aufzufordern, jene Irrlehrer nicht zu dulden. Der gute Alte fand
solche Einmischung unberufen und gehässig und meinte, der Minister
von Altenstein, der hier von Amtswegen zunächst einzuwirken habe,
würde das sachgemäße schon ermitteln und, wenn es nöthig wäre,
auch auf jener Männer Entfernung vom Lehrstuhl antragen. Nöthig
möge das doch wohl sein, -- fuhr er dann bedenklich fort, -- denn,
ich frage Sie, was für Geistliche können aus solcher Schule, die den


her eigener Art, von so glücklichen, edlen und wirksamen Eigenschaf¬
ten, daß ihre Gegenwart immer ein Wohlthun war, denn ihre leb¬
hafte Thätigkeit förderte stets auf heitere anspruchslose Weise alles
Gute und Rechte, wie es dem Augenblicke gemäß erschien, und griff
dabei doch niemals eigenmächtig ein; die jüngere Schwester stimmte
anmuthig in diese Sinnesart und Gabe. Kaum hatte der alte Herr
im Lehnstuhle behaglich Platz genommen, als auch die für ihn nö¬
thigen Mitsprecher sich einfanden, der Professor Gans mit Ludwig
Robert — dem Bruder der Frau von Varnhagen — und Herr von
Narnhagen, alle drei schon im Streit und alsogleich von Herrn
von Reden in Beschlag genommen. Sie schienen aber ihr begon¬
nenes Gespräch nur fortzusetzen, und der Gegenstand war damals in
Berlin überall an der Tagesordnung: es war die schwebende Sache
der beiden Theologen zu Halle, Wegscheider und Gesenius, deren
Rechtgläubigkeit durch hämische Anschuldigungen war verdächtigt wor¬
den, ganz Berlin nahm Partei für oder wider, und die mächtige
Ueberzahl der Vernünftigen und Freisinnigen war für die Verketzerten,
denen aber in den höchsten Kreisen auch manche Einflüsse feindlich
waren, und eS konnte daher wohl zweifelhaft scheinen, auf welcher
Seite der Sieg bleiben würde. Die dunkle Partei bot alle Mittel
auf, aber auch die helle zeigte unerwartete Kräfte und Anhänger.
Es wurde angeführt, daß ein Minister von größtem Ansehen, den
man bisher unbedenklich zu den Unfreisimügsten gezählt, in dieser
Sache mit entschiedenem Eifer sich für die Verfolgten erklärt und ge¬
sagt habe, wenn man solchen Verdächtigungen die Bahn öffne und
dem Frömmlerwesen weltliche Macht einräume, so werde die ganze
Stadt bald nur eine große Heuchlerschule sein und jeder ordentliche
Mann aus dem Lande zu laufen wünschen. Den alten Reden ver¬
droß, daß auch der Minister von Stein sich habe dazu brauchen las¬
sen, aus Kopenhagen einen Brief an den König zu schreiben und
ihn aufzufordern, jene Irrlehrer nicht zu dulden. Der gute Alte fand
solche Einmischung unberufen und gehässig und meinte, der Minister
von Altenstein, der hier von Amtswegen zunächst einzuwirken habe,
würde das sachgemäße schon ermitteln und, wenn es nöthig wäre,
auch auf jener Männer Entfernung vom Lehrstuhl antragen. Nöthig
möge das doch wohl sein, — fuhr er dann bedenklich fort, — denn,
ich frage Sie, was für Geistliche können aus solcher Schule, die den


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[0182] her eigener Art, von so glücklichen, edlen und wirksamen Eigenschaf¬ ten, daß ihre Gegenwart immer ein Wohlthun war, denn ihre leb¬ hafte Thätigkeit förderte stets auf heitere anspruchslose Weise alles Gute und Rechte, wie es dem Augenblicke gemäß erschien, und griff dabei doch niemals eigenmächtig ein; die jüngere Schwester stimmte anmuthig in diese Sinnesart und Gabe. Kaum hatte der alte Herr im Lehnstuhle behaglich Platz genommen, als auch die für ihn nö¬ thigen Mitsprecher sich einfanden, der Professor Gans mit Ludwig Robert — dem Bruder der Frau von Varnhagen — und Herr von Narnhagen, alle drei schon im Streit und alsogleich von Herrn von Reden in Beschlag genommen. Sie schienen aber ihr begon¬ nenes Gespräch nur fortzusetzen, und der Gegenstand war damals in Berlin überall an der Tagesordnung: es war die schwebende Sache der beiden Theologen zu Halle, Wegscheider und Gesenius, deren Rechtgläubigkeit durch hämische Anschuldigungen war verdächtigt wor¬ den, ganz Berlin nahm Partei für oder wider, und die mächtige Ueberzahl der Vernünftigen und Freisinnigen war für die Verketzerten, denen aber in den höchsten Kreisen auch manche Einflüsse feindlich waren, und eS konnte daher wohl zweifelhaft scheinen, auf welcher Seite der Sieg bleiben würde. Die dunkle Partei bot alle Mittel auf, aber auch die helle zeigte unerwartete Kräfte und Anhänger. Es wurde angeführt, daß ein Minister von größtem Ansehen, den man bisher unbedenklich zu den Unfreisimügsten gezählt, in dieser Sache mit entschiedenem Eifer sich für die Verfolgten erklärt und ge¬ sagt habe, wenn man solchen Verdächtigungen die Bahn öffne und dem Frömmlerwesen weltliche Macht einräume, so werde die ganze Stadt bald nur eine große Heuchlerschule sein und jeder ordentliche Mann aus dem Lande zu laufen wünschen. Den alten Reden ver¬ droß, daß auch der Minister von Stein sich habe dazu brauchen las¬ sen, aus Kopenhagen einen Brief an den König zu schreiben und ihn aufzufordern, jene Irrlehrer nicht zu dulden. Der gute Alte fand solche Einmischung unberufen und gehässig und meinte, der Minister von Altenstein, der hier von Amtswegen zunächst einzuwirken habe, würde das sachgemäße schon ermitteln und, wenn es nöthig wäre, auch auf jener Männer Entfernung vom Lehrstuhl antragen. Nöthig möge das doch wohl sein, — fuhr er dann bedenklich fort, — denn, ich frage Sie, was für Geistliche können aus solcher Schule, die den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/182>, abgerufen am 29.06.2024.