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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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in der Musik als Deutschheit gelten wolle. Sie knüpfte an diese
Aeußerungen den Wunsch, es möchte einmal umgekehrt verfahren wer¬
den, erst die Musik eines Liedes und zu dieser dann die Worte ge¬
macht werden, aus dieser Entstehungsart würden ganz neue Schön¬
heiten hervorgehen; ich sah hierin nur eine Paradorie und verhehlte
es ihr nicht, sie aber versetzte ruhig: "O nein, das ist es nicht, das
bezwecke ich nie; auch ist es kein Einfall von heute, und schon vor
langen Jahren gab mir Reichardt darin Recht, und ich führte die
Sache eigentlich nur an, weil Grüneisen's Lieder mir sehr in dieser
Art zu sein schienen, und weil ich dachte, ich könnte sie Ihnen da¬
durch einigermaßen deutlich machen; das wird aber freilich am besten
geschehen, wenn Sie ihn selbst hören; versäumen Sie es nicht, wenn
es sich je so trifft, und grüßen Sie ihn dann auch bestens von mir."

Das eingeschlafene Kind wurde unruhig, erwachte und blickte
aus zwei himmlischen blauen Augen sogleich lächelnd die Tante an,
deren Augen mit dem Ausdruck inniger Freude auf die Kleine leuch¬
teten. Nach einigen leisen Worten, zu denen das Kind beifäl¬
lig nickte, nahm die Tante dasselbe auf den Arm, entschuldigte sich
bei mir für ein Paar Augenblicke und trug den Liebling kosend in
ein Seitengemach.

Mittlerweile besah ich mir die Oertlichkeit etwas näher; die
hellblauen Zimmer waren geräumig und besonders hoch, mit freier
Aussicht vorwärts in die gerade Straße hinauf, rückwärts aus hohe
Gartenbäume, übrigens ganz einfach ausgestattet, ohne Kostbarkeit
und Glanz; ein Paar geringe Bildnisse hingen an der Wand, zwei
Büsten, die des Prinzen Louis Ferdinand und ich glaube, Schleier-
macher's, standen zwischen Blumentöpfen; von Geräth schien nur das
eben zum Gebrauche Nothwendige vorhanden; aber das Ganze machte
dennoch einen eleganten Eindruck, oder vielmehr die Anordnung war
so gefällig und bequem, daß sie jenes eigenthümliche Behagen her¬
vorbrachte, welches durch die höchste Eleganz bewirkt werden soll
und bei den größten Mitteln doch so oft verfehlt wird. Auf dem
Fortepiano lagen einige Bücher, die ich unwillkürlich in die Hand
nahm, ein Banv von Samt-Martin -- der Name war beigeschrieben --
und die Gedichte Uhland's, ein französischer Roman und Fichte'S
Staatslehre ruhten friedlich beisammen. Ein geschriebenes Heft, das
aufgeschlagen dalag, reizte meine Neugierde; es enthielt allerlei Be-


in der Musik als Deutschheit gelten wolle. Sie knüpfte an diese
Aeußerungen den Wunsch, es möchte einmal umgekehrt verfahren wer¬
den, erst die Musik eines Liedes und zu dieser dann die Worte ge¬
macht werden, aus dieser Entstehungsart würden ganz neue Schön¬
heiten hervorgehen; ich sah hierin nur eine Paradorie und verhehlte
es ihr nicht, sie aber versetzte ruhig: „O nein, das ist es nicht, das
bezwecke ich nie; auch ist es kein Einfall von heute, und schon vor
langen Jahren gab mir Reichardt darin Recht, und ich führte die
Sache eigentlich nur an, weil Grüneisen's Lieder mir sehr in dieser
Art zu sein schienen, und weil ich dachte, ich könnte sie Ihnen da¬
durch einigermaßen deutlich machen; das wird aber freilich am besten
geschehen, wenn Sie ihn selbst hören; versäumen Sie es nicht, wenn
es sich je so trifft, und grüßen Sie ihn dann auch bestens von mir."

Das eingeschlafene Kind wurde unruhig, erwachte und blickte
aus zwei himmlischen blauen Augen sogleich lächelnd die Tante an,
deren Augen mit dem Ausdruck inniger Freude auf die Kleine leuch¬
teten. Nach einigen leisen Worten, zu denen das Kind beifäl¬
lig nickte, nahm die Tante dasselbe auf den Arm, entschuldigte sich
bei mir für ein Paar Augenblicke und trug den Liebling kosend in
ein Seitengemach.

Mittlerweile besah ich mir die Oertlichkeit etwas näher; die
hellblauen Zimmer waren geräumig und besonders hoch, mit freier
Aussicht vorwärts in die gerade Straße hinauf, rückwärts aus hohe
Gartenbäume, übrigens ganz einfach ausgestattet, ohne Kostbarkeit
und Glanz; ein Paar geringe Bildnisse hingen an der Wand, zwei
Büsten, die des Prinzen Louis Ferdinand und ich glaube, Schleier-
macher's, standen zwischen Blumentöpfen; von Geräth schien nur das
eben zum Gebrauche Nothwendige vorhanden; aber das Ganze machte
dennoch einen eleganten Eindruck, oder vielmehr die Anordnung war
so gefällig und bequem, daß sie jenes eigenthümliche Behagen her¬
vorbrachte, welches durch die höchste Eleganz bewirkt werden soll
und bei den größten Mitteln doch so oft verfehlt wird. Auf dem
Fortepiano lagen einige Bücher, die ich unwillkürlich in die Hand
nahm, ein Banv von Samt-Martin — der Name war beigeschrieben —
und die Gedichte Uhland's, ein französischer Roman und Fichte'S
Staatslehre ruhten friedlich beisammen. Ein geschriebenes Heft, das
aufgeschlagen dalag, reizte meine Neugierde; es enthielt allerlei Be-


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[0180] in der Musik als Deutschheit gelten wolle. Sie knüpfte an diese Aeußerungen den Wunsch, es möchte einmal umgekehrt verfahren wer¬ den, erst die Musik eines Liedes und zu dieser dann die Worte ge¬ macht werden, aus dieser Entstehungsart würden ganz neue Schön¬ heiten hervorgehen; ich sah hierin nur eine Paradorie und verhehlte es ihr nicht, sie aber versetzte ruhig: „O nein, das ist es nicht, das bezwecke ich nie; auch ist es kein Einfall von heute, und schon vor langen Jahren gab mir Reichardt darin Recht, und ich führte die Sache eigentlich nur an, weil Grüneisen's Lieder mir sehr in dieser Art zu sein schienen, und weil ich dachte, ich könnte sie Ihnen da¬ durch einigermaßen deutlich machen; das wird aber freilich am besten geschehen, wenn Sie ihn selbst hören; versäumen Sie es nicht, wenn es sich je so trifft, und grüßen Sie ihn dann auch bestens von mir." Das eingeschlafene Kind wurde unruhig, erwachte und blickte aus zwei himmlischen blauen Augen sogleich lächelnd die Tante an, deren Augen mit dem Ausdruck inniger Freude auf die Kleine leuch¬ teten. Nach einigen leisen Worten, zu denen das Kind beifäl¬ lig nickte, nahm die Tante dasselbe auf den Arm, entschuldigte sich bei mir für ein Paar Augenblicke und trug den Liebling kosend in ein Seitengemach. Mittlerweile besah ich mir die Oertlichkeit etwas näher; die hellblauen Zimmer waren geräumig und besonders hoch, mit freier Aussicht vorwärts in die gerade Straße hinauf, rückwärts aus hohe Gartenbäume, übrigens ganz einfach ausgestattet, ohne Kostbarkeit und Glanz; ein Paar geringe Bildnisse hingen an der Wand, zwei Büsten, die des Prinzen Louis Ferdinand und ich glaube, Schleier- macher's, standen zwischen Blumentöpfen; von Geräth schien nur das eben zum Gebrauche Nothwendige vorhanden; aber das Ganze machte dennoch einen eleganten Eindruck, oder vielmehr die Anordnung war so gefällig und bequem, daß sie jenes eigenthümliche Behagen her¬ vorbrachte, welches durch die höchste Eleganz bewirkt werden soll und bei den größten Mitteln doch so oft verfehlt wird. Auf dem Fortepiano lagen einige Bücher, die ich unwillkürlich in die Hand nahm, ein Banv von Samt-Martin — der Name war beigeschrieben — und die Gedichte Uhland's, ein französischer Roman und Fichte'S Staatslehre ruhten friedlich beisammen. Ein geschriebenes Heft, das aufgeschlagen dalag, reizte meine Neugierde; es enthielt allerlei Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/180>, abgerufen am 29.06.2024.