sche Volk "das Volk der Denker," "der tiefen Empfindung" und was wir uns noch für große Eigenschaften alle beilegen, ein weit ober¬ flächlicheres, ungebildeteres und vor Allem ein geistloseres Thcater- publicum ist als das französische. Beweise können wir von allen Seiten herbeiführen. Die rohesten Stücke, die man in Paris nur aus dem Boulevardtheater letzten Rangs zu geben wagt, bilden die Zierde unserer Hofbühnen. Piecen, in denen die Keuschheit und die gute Sitte veraltete Begriffe sind, die in Paris nur zUr Ergötzung der Grisette und ihres Liebhabers dienen, werden bei uns in Gegenwart der "hohen" und "höchsten" Herrschaften aufgeführt und die frommen Prinzessinnen eines großen norddeutschen Hofes amüsiren sich bei den mehr als zweideutigen Scenen des Vi- comte de Letorricres! Die Pariser Vorstädte, die immer von einer bestimmten Volksclasse bewohnt werden, richten ihre Bühnen immer darnach ein, diesem bestimmten Publicum zu gefallen. Die Stücke des Theaters der Faubourg Se. Antoine haben gewöhnlich irgend einen Handwerker zum Helden, der den Reichthum verachtet und durch seinen Edelmuth die vornehmen Grafen und Banquiers be¬ schämt. Die Faubourg Se. Antoine ist von Handwerkern bevölkert. Ein anderes Theater, daS sein Publicum unter den Bewohnern deS Quartier Ladin recrutirt, hat zu seinem Helden gewöhnlich einen jungen Studenten oder einen jungen Maler, der am Schlüsse ein reicher Herr wird und entweder eine Herzogin oder seine Ge¬ liebte, das hübsche Ladenmädchen, heirathet. Alle' diese Stücke sind mit Schlagworten und Sittenschilderungen gefüllt, die mit dem Leben, aus dem sie gewachsen sind, organisch zusammenhängen und daher auch auf keine andere Pariser Bühne übergehen. Dieser ganze Kram wird nun schaufelweise, Kraut und Rüben durcheinander, dem deutschen Publicum vorgeführt, und das deutsche Parterre beißt dar¬ ein mit so frischem Appetit, als säßen heute lauter Studenten und morgen lauter Tischler- und Schlossergesellm und übermorgen lauter Grisetten umher. -- Sehen wir nun aber das Bild umgekehrt; die¬ ses deutsche Publicum, das einen so unverwüstlichen Magen für die Stücke der tumnambules und des Theaters <1e Mi-klare- cle 8-i.calli hat, wie goutirt es die Stücke des Theater kraii^is, das Repertoire der gebildeten Pariser Welt? Seit die alte Tragödie Racine's und Corneille's wieder eine entsprechende Darstellung durch die Rachel ge-
sche Volk „das Volk der Denker," „der tiefen Empfindung" und was wir uns noch für große Eigenschaften alle beilegen, ein weit ober¬ flächlicheres, ungebildeteres und vor Allem ein geistloseres Thcater- publicum ist als das französische. Beweise können wir von allen Seiten herbeiführen. Die rohesten Stücke, die man in Paris nur aus dem Boulevardtheater letzten Rangs zu geben wagt, bilden die Zierde unserer Hofbühnen. Piecen, in denen die Keuschheit und die gute Sitte veraltete Begriffe sind, die in Paris nur zUr Ergötzung der Grisette und ihres Liebhabers dienen, werden bei uns in Gegenwart der „hohen" und „höchsten" Herrschaften aufgeführt und die frommen Prinzessinnen eines großen norddeutschen Hofes amüsiren sich bei den mehr als zweideutigen Scenen des Vi- comte de Letorricres! Die Pariser Vorstädte, die immer von einer bestimmten Volksclasse bewohnt werden, richten ihre Bühnen immer darnach ein, diesem bestimmten Publicum zu gefallen. Die Stücke des Theaters der Faubourg Se. Antoine haben gewöhnlich irgend einen Handwerker zum Helden, der den Reichthum verachtet und durch seinen Edelmuth die vornehmen Grafen und Banquiers be¬ schämt. Die Faubourg Se. Antoine ist von Handwerkern bevölkert. Ein anderes Theater, daS sein Publicum unter den Bewohnern deS Quartier Ladin recrutirt, hat zu seinem Helden gewöhnlich einen jungen Studenten oder einen jungen Maler, der am Schlüsse ein reicher Herr wird und entweder eine Herzogin oder seine Ge¬ liebte, das hübsche Ladenmädchen, heirathet. Alle' diese Stücke sind mit Schlagworten und Sittenschilderungen gefüllt, die mit dem Leben, aus dem sie gewachsen sind, organisch zusammenhängen und daher auch auf keine andere Pariser Bühne übergehen. Dieser ganze Kram wird nun schaufelweise, Kraut und Rüben durcheinander, dem deutschen Publicum vorgeführt, und das deutsche Parterre beißt dar¬ ein mit so frischem Appetit, als säßen heute lauter Studenten und morgen lauter Tischler- und Schlossergesellm und übermorgen lauter Grisetten umher. — Sehen wir nun aber das Bild umgekehrt; die¬ ses deutsche Publicum, das einen so unverwüstlichen Magen für die Stücke der tumnambules und des Theaters <1e Mi-klare- cle 8-i.calli hat, wie goutirt es die Stücke des Theater kraii^is, das Repertoire der gebildeten Pariser Welt? Seit die alte Tragödie Racine's und Corneille's wieder eine entsprechende Darstellung durch die Rachel ge-
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sche Volk „das Volk der Denker," „der tiefen Empfindung" und was
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flächlicheres, ungebildeteres und vor Allem ein geistloseres Thcater-
publicum ist als das französische. Beweise können wir von allen
Seiten herbeiführen. Die rohesten Stücke, die man in Paris
nur aus dem Boulevardtheater letzten Rangs zu geben wagt,
bilden die Zierde unserer Hofbühnen. Piecen, in denen die
Keuschheit und die gute Sitte veraltete Begriffe sind, die in
Paris nur zUr Ergötzung der Grisette und ihres Liebhabers dienen,
werden bei uns in Gegenwart der „hohen" und „höchsten" Herrschaften
aufgeführt und die frommen Prinzessinnen eines großen norddeutschen
Hofes amüsiren sich bei den mehr als zweideutigen Scenen des Vi-
comte de Letorricres! Die Pariser Vorstädte, die immer von einer
bestimmten Volksclasse bewohnt werden, richten ihre Bühnen immer
darnach ein, diesem bestimmten Publicum zu gefallen. Die Stücke
des Theaters der Faubourg Se. Antoine haben gewöhnlich irgend
einen Handwerker zum Helden, der den Reichthum verachtet und
durch seinen Edelmuth die vornehmen Grafen und Banquiers be¬
schämt. Die Faubourg Se. Antoine ist von Handwerkern bevölkert.
Ein anderes Theater, daS sein Publicum unter den Bewohnern deS
Quartier Ladin recrutirt, hat zu seinem Helden gewöhnlich einen
jungen Studenten oder einen jungen Maler, der am Schlüsse ein
reicher Herr wird und entweder eine Herzogin oder seine Ge¬
liebte, das hübsche Ladenmädchen, heirathet. Alle' diese Stücke sind
mit Schlagworten und Sittenschilderungen gefüllt, die mit dem Leben,
aus dem sie gewachsen sind, organisch zusammenhängen und daher
auch auf keine andere Pariser Bühne übergehen. Dieser ganze
Kram wird nun schaufelweise, Kraut und Rüben durcheinander, dem
deutschen Publicum vorgeführt, und das deutsche Parterre beißt dar¬
ein mit so frischem Appetit, als säßen heute lauter Studenten und
morgen lauter Tischler- und Schlossergesellm und übermorgen lauter
Grisetten umher. — Sehen wir nun aber das Bild umgekehrt; die¬
ses deutsche Publicum, das einen so unverwüstlichen Magen für die
Stücke der tumnambules und des Theaters <1e Mi-klare- cle 8-i.calli
hat, wie goutirt es die Stücke des Theater kraii^is, das Repertoire
der gebildeten Pariser Welt? Seit die alte Tragödie Racine's und
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/164>, abgerufen am 22.12.2024.
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