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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Zur Charakteristik des deutsche" Darterres.



Vor Kurzem wurde im französischen Theater zu Berlin ein neues
Stück gegeben, daS sehr gefiel. Am Schlüsse desselben, nachdem der
Liebhaber die Geliebte zur Frau erhalten, machte ein Theil des Pu-
blicums, nach gewohnter deutscher Art oder besser gesagt Unart, sich
zum Fortgehen bereit, während die Schauspielerin noch ihre Schluß-
Couplets zu singen hatte, in welche bekanntlich die französischen Vcm-
devillisten das beste Salz ihres Witzes zu legen pflegen. Die ge¬
räuschvolle Unruhe der deutschen Zuschauer, die sich von den Bänken
erhoben, Sitze zuklappten u. s. w. störte einige anwesende Franzosen
und beim Herausgehen entwickelte sich zwischen zwei, drei Personen
ein heftiger Wortwechsel, der auf ein Stelldichein auslief. Am an¬
dern Morgen trafen sich die Gegner mit ihren Zeugen; die Klingen
kreuzten sich, eine Hand wurde gestreift, einige Tropfen Blut quollen.
Der Ehre war Genüge geschehen und nach herkömmlicher Weise en¬
dete der Act mit einem guten Frühstück. Der Schreiber dieser Zeilen,
ein Zeuge jenes kleinen Dramas, kann nun nicht umhin, seinerseits
die Schlußcouplets, die Moral dieses kleinen Schauspiels hier nieder¬
zuschreiben und er hofft, die Leser einer deutschen Zeitschrift werden
geduldiger sein als die Zuschauer in einem deutschen Parterre.

Wie oft hört man über die Unfruchtbarkeit der deutschen Bühnen¬
dichter im Vergleich mit den französischen räsonniren. . Daß die Schuld
mehr an dem Publicum und seiner Verschiedenheit diesseits und jen¬
seits des Rheins, als an den Dichtern liegt, wird selten ausgespro¬
chen. Noch weniger aber getraut man sich zu sagen, daß das denk-


Zur Charakteristik des deutsche» Darterres.



Vor Kurzem wurde im französischen Theater zu Berlin ein neues
Stück gegeben, daS sehr gefiel. Am Schlüsse desselben, nachdem der
Liebhaber die Geliebte zur Frau erhalten, machte ein Theil des Pu-
blicums, nach gewohnter deutscher Art oder besser gesagt Unart, sich
zum Fortgehen bereit, während die Schauspielerin noch ihre Schluß-
Couplets zu singen hatte, in welche bekanntlich die französischen Vcm-
devillisten das beste Salz ihres Witzes zu legen pflegen. Die ge¬
räuschvolle Unruhe der deutschen Zuschauer, die sich von den Bänken
erhoben, Sitze zuklappten u. s. w. störte einige anwesende Franzosen
und beim Herausgehen entwickelte sich zwischen zwei, drei Personen
ein heftiger Wortwechsel, der auf ein Stelldichein auslief. Am an¬
dern Morgen trafen sich die Gegner mit ihren Zeugen; die Klingen
kreuzten sich, eine Hand wurde gestreift, einige Tropfen Blut quollen.
Der Ehre war Genüge geschehen und nach herkömmlicher Weise en¬
dete der Act mit einem guten Frühstück. Der Schreiber dieser Zeilen,
ein Zeuge jenes kleinen Dramas, kann nun nicht umhin, seinerseits
die Schlußcouplets, die Moral dieses kleinen Schauspiels hier nieder¬
zuschreiben und er hofft, die Leser einer deutschen Zeitschrift werden
geduldiger sein als die Zuschauer in einem deutschen Parterre.

Wie oft hört man über die Unfruchtbarkeit der deutschen Bühnen¬
dichter im Vergleich mit den französischen räsonniren. . Daß die Schuld
mehr an dem Publicum und seiner Verschiedenheit diesseits und jen¬
seits des Rheins, als an den Dichtern liegt, wird selten ausgespro¬
chen. Noch weniger aber getraut man sich zu sagen, daß das denk-


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[0163] Zur Charakteristik des deutsche» Darterres. Vor Kurzem wurde im französischen Theater zu Berlin ein neues Stück gegeben, daS sehr gefiel. Am Schlüsse desselben, nachdem der Liebhaber die Geliebte zur Frau erhalten, machte ein Theil des Pu- blicums, nach gewohnter deutscher Art oder besser gesagt Unart, sich zum Fortgehen bereit, während die Schauspielerin noch ihre Schluß- Couplets zu singen hatte, in welche bekanntlich die französischen Vcm- devillisten das beste Salz ihres Witzes zu legen pflegen. Die ge¬ räuschvolle Unruhe der deutschen Zuschauer, die sich von den Bänken erhoben, Sitze zuklappten u. s. w. störte einige anwesende Franzosen und beim Herausgehen entwickelte sich zwischen zwei, drei Personen ein heftiger Wortwechsel, der auf ein Stelldichein auslief. Am an¬ dern Morgen trafen sich die Gegner mit ihren Zeugen; die Klingen kreuzten sich, eine Hand wurde gestreift, einige Tropfen Blut quollen. Der Ehre war Genüge geschehen und nach herkömmlicher Weise en¬ dete der Act mit einem guten Frühstück. Der Schreiber dieser Zeilen, ein Zeuge jenes kleinen Dramas, kann nun nicht umhin, seinerseits die Schlußcouplets, die Moral dieses kleinen Schauspiels hier nieder¬ zuschreiben und er hofft, die Leser einer deutschen Zeitschrift werden geduldiger sein als die Zuschauer in einem deutschen Parterre. Wie oft hört man über die Unfruchtbarkeit der deutschen Bühnen¬ dichter im Vergleich mit den französischen räsonniren. . Daß die Schuld mehr an dem Publicum und seiner Verschiedenheit diesseits und jen¬ seits des Rheins, als an den Dichtern liegt, wird selten ausgespro¬ chen. Noch weniger aber getraut man sich zu sagen, daß das denk-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/163>, abgerufen am 22.12.2024.