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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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an der Thürklingel wird man bei ihr Alles stets glänzend und von
Reinlichkeit leuchtend finden. Die Belgierin ist die tugendhafteste
Hausfrau. Selten hört man von einem Vergehen gegen die eheliche
Treue; sie ist eingezogen, anspruchslos, wenig vergnügungssüchtig;
aber sie ist auch das unpoctischste, langweiligste Geschöpf, das je der
Himmel mit weichen Gliedern und seidenen Locken gesegnet hat. Sie
hat weder die Bildung und die warme Sentimentalität der deutschen
Frauen, noch den natürlichen Geist und die angeborene Grazie der
französischen. Dem untern Stande angehörig, erhält sie ihr Bischen
geistiges Leben rein aus der Hand des niedern Geistlichen, der in
dem schwärzesten Aberglauben die sichersten religiösen Bande zu
knüpfen glaubt. Die wohlhabenden Classen senden das halberwachsene
Mädchen in ein Mädchenpensionat, wo sie bis zu ihrem Eintritt in
die Welt, d. h. bis kurz vor ihrer Verlobung, ihre Erziehung voll¬
endet. Diese Penstonöerziehung ist oft genug auch in andern Ländern
mit allen ihren Nachtheilen beleuchtet worden. In Belgien zumal,
wo das Erziehungswesen überhaupt noch in seinen Kinderschuhen ist
und wo einerseits der Ignoranz und andrerseits dem Clerus allzu¬
viel Spielraum gelassen wird, da sind die Mängel der Pensionats¬
erziehung noch schädlicher und auffallender als anderswo. Das
Mädchen tritt als Gliederpuppe aus demselben; mit den allerober-
flächlichsten Schlagwörtern der modernen Bildung dürftig ausgestat¬
tet, unentwickelt in seinem Gemüthsleben, ohne nachhaltige Anregung
in seiner Gedankenwelt, fällt es, sobald es verheirathet wird, dem
allergewöhnlichsten Materialismus heim und die ganze Erziehungszeit
liegt da wie eine unnütze Episode des Lebens. Soll hier noch eine
Ausnahme stattfinden, so müssen wir sie zu Gunsten der Wallonin
machen; ihr kommt wenigstens ihre Muttersprache, das Französische,
zu Gute. Die herkömmlichen feinen Wendungen der französischen
Sprache werden ihr eben so geläufig wie der Französin, und die
französische Lectüre weckt und regt ihren Geist doch immer auf eine
nationale Weise an. Die Fi--mänderinnen hingegen, die ihre Erzie¬
hung in französischer Sprache machen (und dies ist in allen Pensio¬
naten Belgiens der Fall), werden in ein ganz fremdes, ihrer natio¬
nalen Eigenthümlichkeit widerstrebendes Element versetzt; sie haben
mit dem Dictionnaire, mit Orthographie und Grammatik während
des größten Theils ihrer Erziehungsjahre zu hart zu kämpfen, um


an der Thürklingel wird man bei ihr Alles stets glänzend und von
Reinlichkeit leuchtend finden. Die Belgierin ist die tugendhafteste
Hausfrau. Selten hört man von einem Vergehen gegen die eheliche
Treue; sie ist eingezogen, anspruchslos, wenig vergnügungssüchtig;
aber sie ist auch das unpoctischste, langweiligste Geschöpf, das je der
Himmel mit weichen Gliedern und seidenen Locken gesegnet hat. Sie
hat weder die Bildung und die warme Sentimentalität der deutschen
Frauen, noch den natürlichen Geist und die angeborene Grazie der
französischen. Dem untern Stande angehörig, erhält sie ihr Bischen
geistiges Leben rein aus der Hand des niedern Geistlichen, der in
dem schwärzesten Aberglauben die sichersten religiösen Bande zu
knüpfen glaubt. Die wohlhabenden Classen senden das halberwachsene
Mädchen in ein Mädchenpensionat, wo sie bis zu ihrem Eintritt in
die Welt, d. h. bis kurz vor ihrer Verlobung, ihre Erziehung voll¬
endet. Diese Penstonöerziehung ist oft genug auch in andern Ländern
mit allen ihren Nachtheilen beleuchtet worden. In Belgien zumal,
wo das Erziehungswesen überhaupt noch in seinen Kinderschuhen ist
und wo einerseits der Ignoranz und andrerseits dem Clerus allzu¬
viel Spielraum gelassen wird, da sind die Mängel der Pensionats¬
erziehung noch schädlicher und auffallender als anderswo. Das
Mädchen tritt als Gliederpuppe aus demselben; mit den allerober-
flächlichsten Schlagwörtern der modernen Bildung dürftig ausgestat¬
tet, unentwickelt in seinem Gemüthsleben, ohne nachhaltige Anregung
in seiner Gedankenwelt, fällt es, sobald es verheirathet wird, dem
allergewöhnlichsten Materialismus heim und die ganze Erziehungszeit
liegt da wie eine unnütze Episode des Lebens. Soll hier noch eine
Ausnahme stattfinden, so müssen wir sie zu Gunsten der Wallonin
machen; ihr kommt wenigstens ihre Muttersprache, das Französische,
zu Gute. Die herkömmlichen feinen Wendungen der französischen
Sprache werden ihr eben so geläufig wie der Französin, und die
französische Lectüre weckt und regt ihren Geist doch immer auf eine
nationale Weise an. Die Fi--mänderinnen hingegen, die ihre Erzie¬
hung in französischer Sprache machen (und dies ist in allen Pensio¬
naten Belgiens der Fall), werden in ein ganz fremdes, ihrer natio¬
nalen Eigenthümlichkeit widerstrebendes Element versetzt; sie haben
mit dem Dictionnaire, mit Orthographie und Grammatik während
des größten Theils ihrer Erziehungsjahre zu hart zu kämpfen, um


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[0161] an der Thürklingel wird man bei ihr Alles stets glänzend und von Reinlichkeit leuchtend finden. Die Belgierin ist die tugendhafteste Hausfrau. Selten hört man von einem Vergehen gegen die eheliche Treue; sie ist eingezogen, anspruchslos, wenig vergnügungssüchtig; aber sie ist auch das unpoctischste, langweiligste Geschöpf, das je der Himmel mit weichen Gliedern und seidenen Locken gesegnet hat. Sie hat weder die Bildung und die warme Sentimentalität der deutschen Frauen, noch den natürlichen Geist und die angeborene Grazie der französischen. Dem untern Stande angehörig, erhält sie ihr Bischen geistiges Leben rein aus der Hand des niedern Geistlichen, der in dem schwärzesten Aberglauben die sichersten religiösen Bande zu knüpfen glaubt. Die wohlhabenden Classen senden das halberwachsene Mädchen in ein Mädchenpensionat, wo sie bis zu ihrem Eintritt in die Welt, d. h. bis kurz vor ihrer Verlobung, ihre Erziehung voll¬ endet. Diese Penstonöerziehung ist oft genug auch in andern Ländern mit allen ihren Nachtheilen beleuchtet worden. In Belgien zumal, wo das Erziehungswesen überhaupt noch in seinen Kinderschuhen ist und wo einerseits der Ignoranz und andrerseits dem Clerus allzu¬ viel Spielraum gelassen wird, da sind die Mängel der Pensionats¬ erziehung noch schädlicher und auffallender als anderswo. Das Mädchen tritt als Gliederpuppe aus demselben; mit den allerober- flächlichsten Schlagwörtern der modernen Bildung dürftig ausgestat¬ tet, unentwickelt in seinem Gemüthsleben, ohne nachhaltige Anregung in seiner Gedankenwelt, fällt es, sobald es verheirathet wird, dem allergewöhnlichsten Materialismus heim und die ganze Erziehungszeit liegt da wie eine unnütze Episode des Lebens. Soll hier noch eine Ausnahme stattfinden, so müssen wir sie zu Gunsten der Wallonin machen; ihr kommt wenigstens ihre Muttersprache, das Französische, zu Gute. Die herkömmlichen feinen Wendungen der französischen Sprache werden ihr eben so geläufig wie der Französin, und die französische Lectüre weckt und regt ihren Geist doch immer auf eine nationale Weise an. Die Fi--mänderinnen hingegen, die ihre Erzie¬ hung in französischer Sprache machen (und dies ist in allen Pensio¬ naten Belgiens der Fall), werden in ein ganz fremdes, ihrer natio¬ nalen Eigenthümlichkeit widerstrebendes Element versetzt; sie haben mit dem Dictionnaire, mit Orthographie und Grammatik während des größten Theils ihrer Erziehungsjahre zu hart zu kämpfen, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/161>, abgerufen am 29.06.2024.