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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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handelt sahen. -- Diese allerdings etwas unnütze Naivetät haben
die belgischen Staatsmänner allmälig bei größerer Erfahrung abge¬
legt; indessen ist ihnen ein schöner Hauptzug geblieben, nämlich der
Widerwille gegen alle überflüssige Heimlichthuerei, durch die viele
andere europäische sogenannte Staatsmänner, zumal im lieben Deutsch¬
land , sich eine Wichtigkeit zu geben vermeinen. Wer je Gelegenheit
gehabt hat, mit den Herren Nothomb (gegenwärtig Minister des In¬
nern), Dechamp (Minister der öffentlichen Arbeiten), Van de Weyer
(Gesandter in London) u. s. w. zu sprechen, der ist gewiß erstaunt
gewesen, mit welcher Unverhohlenhcit diese Herren sich über die Lage
der Landesangelegenheiten aussprachen. Nirgends sind die Journale
besser unterrichtet als in Belgien (kW. über die inneren Geschäfte)
und hat der junge Staat trotz dieser Oeffentlichkeit in diesen, zwölf
Jahren etwa seine Geschäfte schlecht besorgt?

Ein zweiter Hauptzug des belgischen Charakters ist das tiefe
Gefühl für Recht und vor Allem für Gleichheit deö Rechts. Ob-
schon ein Handelsvolk und als solches im merkantilischen Handel
und Wandel schlau und auf seinen Vortheil bedacht, ist doch in allen
Rechtsfragen der öffentliche Sinn so geschärft und wachsam, daß
nirgendswo der Spruch von der vox populi einen bessern Beleg fin¬
det, als hier. Auch das ist eine Folge der Qeffcntlichkeit. Die
Rechtspflege kennt hier kein, Hinterthüren; ein bestochener Richter ist
hier ein fremdes Gewächs. Die öffentliche Meinung ist ein zu wach¬
samer und furchtbarer Gerichtshof, als daß man gegen sie sündigen
könnte.

Gutmüthig, bescheiden, rechtliebend und offenherzig, ist der Bel¬
gier ein liebenswürdiger und gemüthlicher Kumpan, wo ihr ihm auf
öffentlichen Plätzen begegnet; alö Gesellschafter, als Beamter, auf der
Börse, im Estaminet -- überall wird ihn der Fremde zugänglich, an¬
spruchslos, praktisch, gefällig und das Leben erleichternd finden; an¬
ders ist es, wenn ihr ihn in seiner Familie aussucht. Hier steht der
Belgier seinen Nachbarn (mit Ausnahme etwa des langweiligen
Holländers) sehr nach. Auf dem öffentlichen Platze lernt ihr den
Belgier, d. h. den Mann, kennen; in seiner Familie lernt ihr die
Belgierin kennen, und das ist die schwache Seite der belgischen
Gesellschaft. Die Belgierin ist eine rüstige, musterhafte Wirthin; von
dem weißen Linnen deö Tischtuches bis zu dem messingenen Knopf


handelt sahen. — Diese allerdings etwas unnütze Naivetät haben
die belgischen Staatsmänner allmälig bei größerer Erfahrung abge¬
legt; indessen ist ihnen ein schöner Hauptzug geblieben, nämlich der
Widerwille gegen alle überflüssige Heimlichthuerei, durch die viele
andere europäische sogenannte Staatsmänner, zumal im lieben Deutsch¬
land , sich eine Wichtigkeit zu geben vermeinen. Wer je Gelegenheit
gehabt hat, mit den Herren Nothomb (gegenwärtig Minister des In¬
nern), Dechamp (Minister der öffentlichen Arbeiten), Van de Weyer
(Gesandter in London) u. s. w. zu sprechen, der ist gewiß erstaunt
gewesen, mit welcher Unverhohlenhcit diese Herren sich über die Lage
der Landesangelegenheiten aussprachen. Nirgends sind die Journale
besser unterrichtet als in Belgien (kW. über die inneren Geschäfte)
und hat der junge Staat trotz dieser Oeffentlichkeit in diesen, zwölf
Jahren etwa seine Geschäfte schlecht besorgt?

Ein zweiter Hauptzug des belgischen Charakters ist das tiefe
Gefühl für Recht und vor Allem für Gleichheit deö Rechts. Ob-
schon ein Handelsvolk und als solches im merkantilischen Handel
und Wandel schlau und auf seinen Vortheil bedacht, ist doch in allen
Rechtsfragen der öffentliche Sinn so geschärft und wachsam, daß
nirgendswo der Spruch von der vox populi einen bessern Beleg fin¬
det, als hier. Auch das ist eine Folge der Qeffcntlichkeit. Die
Rechtspflege kennt hier kein, Hinterthüren; ein bestochener Richter ist
hier ein fremdes Gewächs. Die öffentliche Meinung ist ein zu wach¬
samer und furchtbarer Gerichtshof, als daß man gegen sie sündigen
könnte.

Gutmüthig, bescheiden, rechtliebend und offenherzig, ist der Bel¬
gier ein liebenswürdiger und gemüthlicher Kumpan, wo ihr ihm auf
öffentlichen Plätzen begegnet; alö Gesellschafter, als Beamter, auf der
Börse, im Estaminet — überall wird ihn der Fremde zugänglich, an¬
spruchslos, praktisch, gefällig und das Leben erleichternd finden; an¬
ders ist es, wenn ihr ihn in seiner Familie aussucht. Hier steht der
Belgier seinen Nachbarn (mit Ausnahme etwa des langweiligen
Holländers) sehr nach. Auf dem öffentlichen Platze lernt ihr den
Belgier, d. h. den Mann, kennen; in seiner Familie lernt ihr die
Belgierin kennen, und das ist die schwache Seite der belgischen
Gesellschaft. Die Belgierin ist eine rüstige, musterhafte Wirthin; von
dem weißen Linnen deö Tischtuches bis zu dem messingenen Knopf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/160>, abgerufen am 22.12.2024.