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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Sprachgebiets sich befindet, konnte die Vermischung natürlich nicht
ausbleiben. Da findet man auf jedem Schritte den Gegensatz von
schwarzen Haaren und hellen Augen, der gewöhnlich das Zeichen
von einer Mischung südlichen und nordischen Blutes ist; da findet
man jenen gräßlichen Jargon, aus flamändischen und französischen
Worten zusammengesetzt, den weder der Flanderer noch der Lütticher
versteht. Die kleinen Antipathien, die man immer bei Nachbarvöl¬
kern, ja bei Nachbarstädten und Nachbardörfern findet, haben zwar
sich auch hier erhalten. Der Flamänder schimpft den Wallonen falsch
0->,8 villsti i8, viUsli is! heißt ein Jahrhunderte altes Sprichwort),
dieser dagegen nennt jenen dumm. Das untere Volk beider Stämme
hat immer für das andere einen Spitznamen, der oft zu blutigen
Händeln Veranlassung gibt, so daß vorsichtige Hausfrauen sich sogar
hüten, eine Flamänderin und eine Wallonin neben einander in Dienst
zu nehmen. In den höhern Ständen hat jedoch die Verbreitung der
französischen Sprache eine Verständigung herbeigeführt. Namentlich
seit der letzten Revolution ist die Harmonie eine innige geworden;
man hat eingesehen, daß Belgien nur durch die Ueberwindung der
kleinen Localvorurtheile seine Selbständigkeit und staatliche Eristenz
erhalten könne, und man muß den Kammern und den Behörden das
Lob zollen, daß sie Alles vermeiden, was eine Reibung und ein
Mißverständniß dieser Art hervorbringen könnte.

Dies ist auch der Grund, warum die Bemühungen der flamän¬
dischen Literaten, ihrer Sprache eine größere politische Bedeutung zu
erwerben, nicht gelingen, und ihre der Kammer überreichte Petition,
obgleich sie von mehr als hundert Gemeinden unterschrieben war,
keine Berücksichtigung fand. "I/lluvia t-ut >->, doree," ist die Devise
des belgischen Wappens, und diese Union hat hier eine um so schwe¬
rere Bedeutung, als sie zwischen zwei von Natur getrennten Völkern
ein Band zu bilden hat. In der That wäre diese Einheit ein Werk
der Unmöglichkeit, wenn nicht äußere Berührungspunkte da wären,
welche den beiden Stämmen einen Anschein von gemeinschaftlichem
Charakter geben. Vom Meere umspülte Küsten, von großen, schiff¬
baren Flüssen durchschnittene Gegenden, dort der üppigste Getreide¬
boden, hier unterirdische unerschöpfliche Schätze an Eisen und Kohlen
-- wie sollte sich da nicht der Fleiß entwickeln? Die Industrie wurde
schon frühe die gemeinschaftliche Göttin dieser Lande; der Handel


Sprachgebiets sich befindet, konnte die Vermischung natürlich nicht
ausbleiben. Da findet man auf jedem Schritte den Gegensatz von
schwarzen Haaren und hellen Augen, der gewöhnlich das Zeichen
von einer Mischung südlichen und nordischen Blutes ist; da findet
man jenen gräßlichen Jargon, aus flamändischen und französischen
Worten zusammengesetzt, den weder der Flanderer noch der Lütticher
versteht. Die kleinen Antipathien, die man immer bei Nachbarvöl¬
kern, ja bei Nachbarstädten und Nachbardörfern findet, haben zwar
sich auch hier erhalten. Der Flamänder schimpft den Wallonen falsch
0->,8 villsti i8, viUsli is! heißt ein Jahrhunderte altes Sprichwort),
dieser dagegen nennt jenen dumm. Das untere Volk beider Stämme
hat immer für das andere einen Spitznamen, der oft zu blutigen
Händeln Veranlassung gibt, so daß vorsichtige Hausfrauen sich sogar
hüten, eine Flamänderin und eine Wallonin neben einander in Dienst
zu nehmen. In den höhern Ständen hat jedoch die Verbreitung der
französischen Sprache eine Verständigung herbeigeführt. Namentlich
seit der letzten Revolution ist die Harmonie eine innige geworden;
man hat eingesehen, daß Belgien nur durch die Ueberwindung der
kleinen Localvorurtheile seine Selbständigkeit und staatliche Eristenz
erhalten könne, und man muß den Kammern und den Behörden das
Lob zollen, daß sie Alles vermeiden, was eine Reibung und ein
Mißverständniß dieser Art hervorbringen könnte.

Dies ist auch der Grund, warum die Bemühungen der flamän¬
dischen Literaten, ihrer Sprache eine größere politische Bedeutung zu
erwerben, nicht gelingen, und ihre der Kammer überreichte Petition,
obgleich sie von mehr als hundert Gemeinden unterschrieben war,
keine Berücksichtigung fand. „I/lluvia t-ut >->, doree," ist die Devise
des belgischen Wappens, und diese Union hat hier eine um so schwe¬
rere Bedeutung, als sie zwischen zwei von Natur getrennten Völkern
ein Band zu bilden hat. In der That wäre diese Einheit ein Werk
der Unmöglichkeit, wenn nicht äußere Berührungspunkte da wären,
welche den beiden Stämmen einen Anschein von gemeinschaftlichem
Charakter geben. Vom Meere umspülte Küsten, von großen, schiff¬
baren Flüssen durchschnittene Gegenden, dort der üppigste Getreide¬
boden, hier unterirdische unerschöpfliche Schätze an Eisen und Kohlen
— wie sollte sich da nicht der Fleiß entwickeln? Die Industrie wurde
schon frühe die gemeinschaftliche Göttin dieser Lande; der Handel


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[0158] Sprachgebiets sich befindet, konnte die Vermischung natürlich nicht ausbleiben. Da findet man auf jedem Schritte den Gegensatz von schwarzen Haaren und hellen Augen, der gewöhnlich das Zeichen von einer Mischung südlichen und nordischen Blutes ist; da findet man jenen gräßlichen Jargon, aus flamändischen und französischen Worten zusammengesetzt, den weder der Flanderer noch der Lütticher versteht. Die kleinen Antipathien, die man immer bei Nachbarvöl¬ kern, ja bei Nachbarstädten und Nachbardörfern findet, haben zwar sich auch hier erhalten. Der Flamänder schimpft den Wallonen falsch 0->,8 villsti i8, viUsli is! heißt ein Jahrhunderte altes Sprichwort), dieser dagegen nennt jenen dumm. Das untere Volk beider Stämme hat immer für das andere einen Spitznamen, der oft zu blutigen Händeln Veranlassung gibt, so daß vorsichtige Hausfrauen sich sogar hüten, eine Flamänderin und eine Wallonin neben einander in Dienst zu nehmen. In den höhern Ständen hat jedoch die Verbreitung der französischen Sprache eine Verständigung herbeigeführt. Namentlich seit der letzten Revolution ist die Harmonie eine innige geworden; man hat eingesehen, daß Belgien nur durch die Ueberwindung der kleinen Localvorurtheile seine Selbständigkeit und staatliche Eristenz erhalten könne, und man muß den Kammern und den Behörden das Lob zollen, daß sie Alles vermeiden, was eine Reibung und ein Mißverständniß dieser Art hervorbringen könnte. Dies ist auch der Grund, warum die Bemühungen der flamän¬ dischen Literaten, ihrer Sprache eine größere politische Bedeutung zu erwerben, nicht gelingen, und ihre der Kammer überreichte Petition, obgleich sie von mehr als hundert Gemeinden unterschrieben war, keine Berücksichtigung fand. „I/lluvia t-ut >->, doree," ist die Devise des belgischen Wappens, und diese Union hat hier eine um so schwe¬ rere Bedeutung, als sie zwischen zwei von Natur getrennten Völkern ein Band zu bilden hat. In der That wäre diese Einheit ein Werk der Unmöglichkeit, wenn nicht äußere Berührungspunkte da wären, welche den beiden Stämmen einen Anschein von gemeinschaftlichem Charakter geben. Vom Meere umspülte Küsten, von großen, schiff¬ baren Flüssen durchschnittene Gegenden, dort der üppigste Getreide¬ boden, hier unterirdische unerschöpfliche Schätze an Eisen und Kohlen — wie sollte sich da nicht der Fleiß entwickeln? Die Industrie wurde schon frühe die gemeinschaftliche Göttin dieser Lande; der Handel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/158>, abgerufen am 28.09.2024.