Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

je mehr er sich entwickelt, um so entschiedener weicht der Reiz von
ihm. Die Flamänder haben durchschnittlich sehr wenig schöne Män¬
ner auszuweisen. Was das Kind zum Ideale macht, das artet beim
Mann oft in Weichheit und schwammigten aus. Die feine Haut
wird von der Luft gehärtet, die Züge werden plump, wie der ganze
Körper mehr in die Breite als in die Höhe sich entwickelt. Ganz
umgekehrt ist es mit den Wallonen. Es gehört die ganze Sorgfalt
wohlhabender Eltern dazu, um den unvortheilhaften Eindruck, den
die dunkle Hautfarbe und meist auch die Unregelmäßigkeit der Ge-
sichtszüge der Kinder hervorbringt, zu mildern. Das Kind des ge¬
meinen Mannes hat etwas Wildes, Rohes in seinem Aeußern, das
in einer öffentlichen Schule z. B. einen schreienden Gegensatz zu dem
sanften Ausdruck der flamändischen Jugend bildet. Aber gerade die¬
ses Kräftige und Wilde, das mit dem Antlitz eines Kindes nicht
verträglich ist, gibt ihm, je mehr es zum Jünglinge, zum Manne
reift, einen so entschiedenen Ausdruck, daß es die Schönheit ersetzt
und die unregelmäßigsten Züge in eine Harmonie bringt, welche der
Schönheit nahe kommt und in gewisser Beziehung noch mehr besticht
als sie. Dies findet auch bei den Frauen seine Anwendung. Die
flamändischen Mädchen und Frauen behalten der Natur ihres Ge¬
schlechtes gemäß den zarten Kindertcint, die feine Haut und das weiche
Colorit länger als die Männer. Die Frauen von Brügge und Ant¬
werpen sind wahre Ideale von sanftem Ausdruck und lieblichen Zü¬
gen. Aber von- der Büste abwärts verliert sich dieser Reiz: große
Füße, breite Hüften, ein Ansatz zur Wohlbeleibtheit, der bei der ersten
Gelegenheit ausartet. Die Wallonin umgekehrt ist selten schön, Und
selbst in günstigeren Fällen darf sie es nicht wagen, Arm und Nacken
allzuviel sehen zu lassen, es müßten denn die runden vollen Formen
für die dunkle Hautfarbe reichlich Entschädigung bieten. Aber der
schlanke zierliche Wuchs, das feurige, verheißende Auge, die kühne,
rasche Bewegung zeigen von TemM-amene und Phantasie und sind
oft viel anziehender als die regelmäßigen flamändischen Schönheiten,
welche Rubens zu seinen Idealen machte.

Daß sich zwei Racen, die so eng neben einander leben, nicht
unvermischt erhalten haben, versteht sich von selbst. Nur auf den
beiden entgegengesetzten Enden des Landes findet man die Stämme
in ihrer vollen Reinheit; in Brabant jedoch, wo die Grenzscheide des


Gr.nzbotcn ISii, l. 2l)

je mehr er sich entwickelt, um so entschiedener weicht der Reiz von
ihm. Die Flamänder haben durchschnittlich sehr wenig schöne Män¬
ner auszuweisen. Was das Kind zum Ideale macht, das artet beim
Mann oft in Weichheit und schwammigten aus. Die feine Haut
wird von der Luft gehärtet, die Züge werden plump, wie der ganze
Körper mehr in die Breite als in die Höhe sich entwickelt. Ganz
umgekehrt ist es mit den Wallonen. Es gehört die ganze Sorgfalt
wohlhabender Eltern dazu, um den unvortheilhaften Eindruck, den
die dunkle Hautfarbe und meist auch die Unregelmäßigkeit der Ge-
sichtszüge der Kinder hervorbringt, zu mildern. Das Kind des ge¬
meinen Mannes hat etwas Wildes, Rohes in seinem Aeußern, das
in einer öffentlichen Schule z. B. einen schreienden Gegensatz zu dem
sanften Ausdruck der flamändischen Jugend bildet. Aber gerade die¬
ses Kräftige und Wilde, das mit dem Antlitz eines Kindes nicht
verträglich ist, gibt ihm, je mehr es zum Jünglinge, zum Manne
reift, einen so entschiedenen Ausdruck, daß es die Schönheit ersetzt
und die unregelmäßigsten Züge in eine Harmonie bringt, welche der
Schönheit nahe kommt und in gewisser Beziehung noch mehr besticht
als sie. Dies findet auch bei den Frauen seine Anwendung. Die
flamändischen Mädchen und Frauen behalten der Natur ihres Ge¬
schlechtes gemäß den zarten Kindertcint, die feine Haut und das weiche
Colorit länger als die Männer. Die Frauen von Brügge und Ant¬
werpen sind wahre Ideale von sanftem Ausdruck und lieblichen Zü¬
gen. Aber von- der Büste abwärts verliert sich dieser Reiz: große
Füße, breite Hüften, ein Ansatz zur Wohlbeleibtheit, der bei der ersten
Gelegenheit ausartet. Die Wallonin umgekehrt ist selten schön, Und
selbst in günstigeren Fällen darf sie es nicht wagen, Arm und Nacken
allzuviel sehen zu lassen, es müßten denn die runden vollen Formen
für die dunkle Hautfarbe reichlich Entschädigung bieten. Aber der
schlanke zierliche Wuchs, das feurige, verheißende Auge, die kühne,
rasche Bewegung zeigen von TemM-amene und Phantasie und sind
oft viel anziehender als die regelmäßigen flamändischen Schönheiten,
welche Rubens zu seinen Idealen machte.

Daß sich zwei Racen, die so eng neben einander leben, nicht
unvermischt erhalten haben, versteht sich von selbst. Nur auf den
beiden entgegengesetzten Enden des Landes findet man die Stämme
in ihrer vollen Reinheit; in Brabant jedoch, wo die Grenzscheide des


Gr.nzbotcn ISii, l. 2l)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179870"/>
            <p xml:id="ID_443" prev="#ID_442"> je mehr er sich entwickelt, um so entschiedener weicht der Reiz von<lb/>
ihm. Die Flamänder haben durchschnittlich sehr wenig schöne Män¬<lb/>
ner auszuweisen. Was das Kind zum Ideale macht, das artet beim<lb/>
Mann oft in Weichheit und schwammigten aus. Die feine Haut<lb/>
wird von der Luft gehärtet, die Züge werden plump, wie der ganze<lb/>
Körper mehr in die Breite als in die Höhe sich entwickelt. Ganz<lb/>
umgekehrt ist es mit den Wallonen. Es gehört die ganze Sorgfalt<lb/>
wohlhabender Eltern dazu, um den unvortheilhaften Eindruck, den<lb/>
die dunkle Hautfarbe und meist auch die Unregelmäßigkeit der Ge-<lb/>
sichtszüge der Kinder hervorbringt, zu mildern. Das Kind des ge¬<lb/>
meinen Mannes hat etwas Wildes, Rohes in seinem Aeußern, das<lb/>
in einer öffentlichen Schule z. B. einen schreienden Gegensatz zu dem<lb/>
sanften Ausdruck der flamändischen Jugend bildet. Aber gerade die¬<lb/>
ses Kräftige und Wilde, das mit dem Antlitz eines Kindes nicht<lb/>
verträglich ist, gibt ihm, je mehr es zum Jünglinge, zum Manne<lb/>
reift, einen so entschiedenen Ausdruck, daß es die Schönheit ersetzt<lb/>
und die unregelmäßigsten Züge in eine Harmonie bringt, welche der<lb/>
Schönheit nahe kommt und in gewisser Beziehung noch mehr besticht<lb/>
als sie. Dies findet auch bei den Frauen seine Anwendung. Die<lb/>
flamändischen Mädchen und Frauen behalten der Natur ihres Ge¬<lb/>
schlechtes gemäß den zarten Kindertcint, die feine Haut und das weiche<lb/>
Colorit länger als die Männer. Die Frauen von Brügge und Ant¬<lb/>
werpen sind wahre Ideale von sanftem Ausdruck und lieblichen Zü¬<lb/>
gen. Aber von- der Büste abwärts verliert sich dieser Reiz: große<lb/>
Füße, breite Hüften, ein Ansatz zur Wohlbeleibtheit, der bei der ersten<lb/>
Gelegenheit ausartet. Die Wallonin umgekehrt ist selten schön, Und<lb/>
selbst in günstigeren Fällen darf sie es nicht wagen, Arm und Nacken<lb/>
allzuviel sehen zu lassen, es müßten denn die runden vollen Formen<lb/>
für die dunkle Hautfarbe reichlich Entschädigung bieten. Aber der<lb/>
schlanke zierliche Wuchs, das feurige, verheißende Auge, die kühne,<lb/>
rasche Bewegung zeigen von TemM-amene und Phantasie und sind<lb/>
oft viel anziehender als die regelmäßigen flamändischen Schönheiten,<lb/>
welche Rubens zu seinen Idealen machte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_444" next="#ID_445"> Daß sich zwei Racen, die so eng neben einander leben, nicht<lb/>
unvermischt erhalten haben, versteht sich von selbst. Nur auf den<lb/>
beiden entgegengesetzten Enden des Landes findet man die Stämme<lb/>
in ihrer vollen Reinheit; in Brabant jedoch, wo die Grenzscheide des</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"> Gr.nzbotcn ISii,  l. 2l)</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] je mehr er sich entwickelt, um so entschiedener weicht der Reiz von ihm. Die Flamänder haben durchschnittlich sehr wenig schöne Män¬ ner auszuweisen. Was das Kind zum Ideale macht, das artet beim Mann oft in Weichheit und schwammigten aus. Die feine Haut wird von der Luft gehärtet, die Züge werden plump, wie der ganze Körper mehr in die Breite als in die Höhe sich entwickelt. Ganz umgekehrt ist es mit den Wallonen. Es gehört die ganze Sorgfalt wohlhabender Eltern dazu, um den unvortheilhaften Eindruck, den die dunkle Hautfarbe und meist auch die Unregelmäßigkeit der Ge- sichtszüge der Kinder hervorbringt, zu mildern. Das Kind des ge¬ meinen Mannes hat etwas Wildes, Rohes in seinem Aeußern, das in einer öffentlichen Schule z. B. einen schreienden Gegensatz zu dem sanften Ausdruck der flamändischen Jugend bildet. Aber gerade die¬ ses Kräftige und Wilde, das mit dem Antlitz eines Kindes nicht verträglich ist, gibt ihm, je mehr es zum Jünglinge, zum Manne reift, einen so entschiedenen Ausdruck, daß es die Schönheit ersetzt und die unregelmäßigsten Züge in eine Harmonie bringt, welche der Schönheit nahe kommt und in gewisser Beziehung noch mehr besticht als sie. Dies findet auch bei den Frauen seine Anwendung. Die flamändischen Mädchen und Frauen behalten der Natur ihres Ge¬ schlechtes gemäß den zarten Kindertcint, die feine Haut und das weiche Colorit länger als die Männer. Die Frauen von Brügge und Ant¬ werpen sind wahre Ideale von sanftem Ausdruck und lieblichen Zü¬ gen. Aber von- der Büste abwärts verliert sich dieser Reiz: große Füße, breite Hüften, ein Ansatz zur Wohlbeleibtheit, der bei der ersten Gelegenheit ausartet. Die Wallonin umgekehrt ist selten schön, Und selbst in günstigeren Fällen darf sie es nicht wagen, Arm und Nacken allzuviel sehen zu lassen, es müßten denn die runden vollen Formen für die dunkle Hautfarbe reichlich Entschädigung bieten. Aber der schlanke zierliche Wuchs, das feurige, verheißende Auge, die kühne, rasche Bewegung zeigen von TemM-amene und Phantasie und sind oft viel anziehender als die regelmäßigen flamändischen Schönheiten, welche Rubens zu seinen Idealen machte. Daß sich zwei Racen, die so eng neben einander leben, nicht unvermischt erhalten haben, versteht sich von selbst. Nur auf den beiden entgegengesetzten Enden des Landes findet man die Stämme in ihrer vollen Reinheit; in Brabant jedoch, wo die Grenzscheide des Gr.nzbotcn ISii, l. 2l)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/157>, abgerufen am 29.06.2024.