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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Mensche", die alle Eine Sprache reden, Einer Abstammung sind und
die in ihrem Gemeinsinn noch nicht einmal bis zur Niederreißung
der trennenden Zollschranken gelangt sind, er sieht mit verzeihlichen
Neid, wie hier zwei in Sprache, Abkunft, Sitten und Körperbildung
ganz verschiedene Nationalitäten sich die Hände reichten, um Ein
Volk zu sein, Eine Gesetzgebung, Ein Vaterland, Ein Recht, Eine
Freiheit zu haben.

Flamänder, von Vlaeming, Flandercr; Wallone, von ni
(Jemand, der die Mi-Sprache spricht) 5). Der Vlaeming ist Ger^
mane; der Wallone Gallier. Der Vlaeming spricht einen der ältesten
deutschen Dialekte, der Wallone einen der ältesten französischen; doch
wird ersterer besser von dem eigentlichen Deutschen verstanden, als
letzterer von dem eigentlichen Franzosen. Das Flamändische war und
ist Schriftsprache, das Wallonische war es nie.

Auch äußerlich ist der Unterschied zwischen dem Flamänder und
dem Wallonen zu erkennen; er ist eben so stark, als der zwischen dem
Magyaren und dem Slovaken und viel stärker als zwischen dem
Großrussen und dem Kleinrussen. Der Flamänder hat ganz den
germanischen Typus: Helles Haar, blaue Augen, weißen Teint; der
Wallone hat ganz den romanischen Ausdruck: schwarzes Haar, dunkle
Augen, braune, tiefgefärbte Haut. Zu diesen allgemeinen Stamm¬
zeichen gesellen sich noch- mehrere Localeigenthümlichkeiten. Der Fla¬
mänder ist in der Regel mittelgroß und stämmig; der Wallone hoch,
schlank und gelenkig. Jener ist phlegmatisch, aber ausdauernd; die¬
ser feurig, aber schneller ermüdet.

Die Kinder der Flamänder haben in der Regel wahre Engels¬
köpfchen; man kann sich kaum etwas Lieblicheres und sanfteres den¬
ken, als solch ein Gesichtchen mit den reinsten Schattirungen und dem
zartesten Teint. Letztern findet man selbst in den untersten, ärmsten
Volksclassen, und Niemand würde es glauben, wenn er eines dieser
lieblichen Geschöpfe mit der blendend Weißen Haut, dem zarten In-
carnat der Wangen und dem goldigere, reichen Haarwuchs vor sich
sieht, daß dies das Kind irgend eines Tagelöhners oder eines armen
Handwerkers ist. Aber wunderbar genug, je reifer der Knabe wird,



*) Die lanxns et'vo und die largus <I'oiI theilten sich bekanntlich früher
in die Herrschaft von Frankreich.

Mensche», die alle Eine Sprache reden, Einer Abstammung sind und
die in ihrem Gemeinsinn noch nicht einmal bis zur Niederreißung
der trennenden Zollschranken gelangt sind, er sieht mit verzeihlichen
Neid, wie hier zwei in Sprache, Abkunft, Sitten und Körperbildung
ganz verschiedene Nationalitäten sich die Hände reichten, um Ein
Volk zu sein, Eine Gesetzgebung, Ein Vaterland, Ein Recht, Eine
Freiheit zu haben.

Flamänder, von Vlaeming, Flandercr; Wallone, von ni
(Jemand, der die Mi-Sprache spricht) 5). Der Vlaeming ist Ger^
mane; der Wallone Gallier. Der Vlaeming spricht einen der ältesten
deutschen Dialekte, der Wallone einen der ältesten französischen; doch
wird ersterer besser von dem eigentlichen Deutschen verstanden, als
letzterer von dem eigentlichen Franzosen. Das Flamändische war und
ist Schriftsprache, das Wallonische war es nie.

Auch äußerlich ist der Unterschied zwischen dem Flamänder und
dem Wallonen zu erkennen; er ist eben so stark, als der zwischen dem
Magyaren und dem Slovaken und viel stärker als zwischen dem
Großrussen und dem Kleinrussen. Der Flamänder hat ganz den
germanischen Typus: Helles Haar, blaue Augen, weißen Teint; der
Wallone hat ganz den romanischen Ausdruck: schwarzes Haar, dunkle
Augen, braune, tiefgefärbte Haut. Zu diesen allgemeinen Stamm¬
zeichen gesellen sich noch- mehrere Localeigenthümlichkeiten. Der Fla¬
mänder ist in der Regel mittelgroß und stämmig; der Wallone hoch,
schlank und gelenkig. Jener ist phlegmatisch, aber ausdauernd; die¬
ser feurig, aber schneller ermüdet.

Die Kinder der Flamänder haben in der Regel wahre Engels¬
köpfchen; man kann sich kaum etwas Lieblicheres und sanfteres den¬
ken, als solch ein Gesichtchen mit den reinsten Schattirungen und dem
zartesten Teint. Letztern findet man selbst in den untersten, ärmsten
Volksclassen, und Niemand würde es glauben, wenn er eines dieser
lieblichen Geschöpfe mit der blendend Weißen Haut, dem zarten In-
carnat der Wangen und dem goldigere, reichen Haarwuchs vor sich
sieht, daß dies das Kind irgend eines Tagelöhners oder eines armen
Handwerkers ist. Aber wunderbar genug, je reifer der Knabe wird,



*) Die lanxns et'vo und die largus <I'oiI theilten sich bekanntlich früher
in die Herrschaft von Frankreich.
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[0156] Mensche», die alle Eine Sprache reden, Einer Abstammung sind und die in ihrem Gemeinsinn noch nicht einmal bis zur Niederreißung der trennenden Zollschranken gelangt sind, er sieht mit verzeihlichen Neid, wie hier zwei in Sprache, Abkunft, Sitten und Körperbildung ganz verschiedene Nationalitäten sich die Hände reichten, um Ein Volk zu sein, Eine Gesetzgebung, Ein Vaterland, Ein Recht, Eine Freiheit zu haben. Flamänder, von Vlaeming, Flandercr; Wallone, von ni (Jemand, der die Mi-Sprache spricht) 5). Der Vlaeming ist Ger^ mane; der Wallone Gallier. Der Vlaeming spricht einen der ältesten deutschen Dialekte, der Wallone einen der ältesten französischen; doch wird ersterer besser von dem eigentlichen Deutschen verstanden, als letzterer von dem eigentlichen Franzosen. Das Flamändische war und ist Schriftsprache, das Wallonische war es nie. Auch äußerlich ist der Unterschied zwischen dem Flamänder und dem Wallonen zu erkennen; er ist eben so stark, als der zwischen dem Magyaren und dem Slovaken und viel stärker als zwischen dem Großrussen und dem Kleinrussen. Der Flamänder hat ganz den germanischen Typus: Helles Haar, blaue Augen, weißen Teint; der Wallone hat ganz den romanischen Ausdruck: schwarzes Haar, dunkle Augen, braune, tiefgefärbte Haut. Zu diesen allgemeinen Stamm¬ zeichen gesellen sich noch- mehrere Localeigenthümlichkeiten. Der Fla¬ mänder ist in der Regel mittelgroß und stämmig; der Wallone hoch, schlank und gelenkig. Jener ist phlegmatisch, aber ausdauernd; die¬ ser feurig, aber schneller ermüdet. Die Kinder der Flamänder haben in der Regel wahre Engels¬ köpfchen; man kann sich kaum etwas Lieblicheres und sanfteres den¬ ken, als solch ein Gesichtchen mit den reinsten Schattirungen und dem zartesten Teint. Letztern findet man selbst in den untersten, ärmsten Volksclassen, und Niemand würde es glauben, wenn er eines dieser lieblichen Geschöpfe mit der blendend Weißen Haut, dem zarten In- carnat der Wangen und dem goldigere, reichen Haarwuchs vor sich sieht, daß dies das Kind irgend eines Tagelöhners oder eines armen Handwerkers ist. Aber wunderbar genug, je reifer der Knabe wird, *) Die lanxns et'vo und die largus <I'oiI theilten sich bekanntlich früher in die Herrschaft von Frankreich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/156>, abgerufen am 29.06.2024.