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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Schilderungen aus Belgien.



Flamänder und Wallonen.

Vielfach ist dieses Belgien von uns Deutschen angestaunt wor¬
den. Innerhalb eines Dutzend von Jahren hat dieses Land mehr
gethan, als wir innerhalb eines Jahrhunderts zu thun erhoffen dür¬
fen. Durch geschickte Benutzung des Augenblicks hat es sich Selb¬
ständigkeit und die freieste Verfassung erobert. Durch besonnene Ne-
gociationen nach Außen, durch rüstige Thätigkeit nach Innen hat es
sich im europäischen Staatcnverbande zu einem willkommenen Mit¬
glied"? erhoben. "Der Zufall war der Freiheit Belgiens günstig"
rufen die Diplomaten, "wären im Jahre 183t) Preußen, Oesterreich
und Nußland besser vorbereitet gewesen, dann hätte man diese unru¬
higen Kopfe von Flandern bald zu Paaren getrieben, und es gäbe
heute so wenig ein selbständiges Belgien, wie es nach dem Wiener
Frieden eins gab."

Allerdings! Aber schlaget die geschickte Benutzung des Augen¬
blicks nicht so gering an, Ihr Herren Diplomaten, was wäre sonst
Euer Verdienst? Zudem war dieses Belgien im Momente der Ent¬
scheidung einig mit sich. Dieses ist kein Zufall, sondern eine große,
bewundernswerthe Sache. Wäre Deutschland in gewissen Augen¬
blicken einig gewesen, so hätte es viel unnütze Dinte erspart -- nicht
blos in Hannover und in Cassel.

Was den Deutschen, der in Belgien reist, besonders in Ver¬
wunderung setzt, das ist die Betrachtung, wie himmelweit verschieden
die beiden Stämme sind, die unter dem gemeinschaftlichen Namen
Belgier so einmüthig ihre Freiheit erkämpften und ihren neuen Staat
organisirten. Er, der Sohn einer Nation von dreißig Millionen


Schilderungen aus Belgien.



Flamänder und Wallonen.

Vielfach ist dieses Belgien von uns Deutschen angestaunt wor¬
den. Innerhalb eines Dutzend von Jahren hat dieses Land mehr
gethan, als wir innerhalb eines Jahrhunderts zu thun erhoffen dür¬
fen. Durch geschickte Benutzung des Augenblicks hat es sich Selb¬
ständigkeit und die freieste Verfassung erobert. Durch besonnene Ne-
gociationen nach Außen, durch rüstige Thätigkeit nach Innen hat es
sich im europäischen Staatcnverbande zu einem willkommenen Mit¬
glied«? erhoben. „Der Zufall war der Freiheit Belgiens günstig"
rufen die Diplomaten, „wären im Jahre 183t) Preußen, Oesterreich
und Nußland besser vorbereitet gewesen, dann hätte man diese unru¬
higen Kopfe von Flandern bald zu Paaren getrieben, und es gäbe
heute so wenig ein selbständiges Belgien, wie es nach dem Wiener
Frieden eins gab."

Allerdings! Aber schlaget die geschickte Benutzung des Augen¬
blicks nicht so gering an, Ihr Herren Diplomaten, was wäre sonst
Euer Verdienst? Zudem war dieses Belgien im Momente der Ent¬
scheidung einig mit sich. Dieses ist kein Zufall, sondern eine große,
bewundernswerthe Sache. Wäre Deutschland in gewissen Augen¬
blicken einig gewesen, so hätte es viel unnütze Dinte erspart — nicht
blos in Hannover und in Cassel.

Was den Deutschen, der in Belgien reist, besonders in Ver¬
wunderung setzt, das ist die Betrachtung, wie himmelweit verschieden
die beiden Stämme sind, die unter dem gemeinschaftlichen Namen
Belgier so einmüthig ihre Freiheit erkämpften und ihren neuen Staat
organisirten. Er, der Sohn einer Nation von dreißig Millionen


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[0155] Schilderungen aus Belgien. Flamänder und Wallonen. Vielfach ist dieses Belgien von uns Deutschen angestaunt wor¬ den. Innerhalb eines Dutzend von Jahren hat dieses Land mehr gethan, als wir innerhalb eines Jahrhunderts zu thun erhoffen dür¬ fen. Durch geschickte Benutzung des Augenblicks hat es sich Selb¬ ständigkeit und die freieste Verfassung erobert. Durch besonnene Ne- gociationen nach Außen, durch rüstige Thätigkeit nach Innen hat es sich im europäischen Staatcnverbande zu einem willkommenen Mit¬ glied«? erhoben. „Der Zufall war der Freiheit Belgiens günstig" rufen die Diplomaten, „wären im Jahre 183t) Preußen, Oesterreich und Nußland besser vorbereitet gewesen, dann hätte man diese unru¬ higen Kopfe von Flandern bald zu Paaren getrieben, und es gäbe heute so wenig ein selbständiges Belgien, wie es nach dem Wiener Frieden eins gab." Allerdings! Aber schlaget die geschickte Benutzung des Augen¬ blicks nicht so gering an, Ihr Herren Diplomaten, was wäre sonst Euer Verdienst? Zudem war dieses Belgien im Momente der Ent¬ scheidung einig mit sich. Dieses ist kein Zufall, sondern eine große, bewundernswerthe Sache. Wäre Deutschland in gewissen Augen¬ blicken einig gewesen, so hätte es viel unnütze Dinte erspart — nicht blos in Hannover und in Cassel. Was den Deutschen, der in Belgien reist, besonders in Ver¬ wunderung setzt, das ist die Betrachtung, wie himmelweit verschieden die beiden Stämme sind, die unter dem gemeinschaftlichen Namen Belgier so einmüthig ihre Freiheit erkämpften und ihren neuen Staat organisirten. Er, der Sohn einer Nation von dreißig Millionen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/155>, abgerufen am 29.06.2024.