Ministers Hanstein berufen, ohne sein Leben und Wirken zu kennen. Professor Vorländer, seit Ostern 1843 hier angestellt, war früher Privatdocent in Berlin, wo er sich nur ein sehr kleines Auditorium zu erringen gewußt. Sein Streben, eine unabhängige Bahn zwischen Hegel, Herbart und Schelling zu verfechten, ist ein mißlungenes, da ihn selbst seine Parallelen zu keinem Ziel führen. Außerdem man¬ gelt ihm die Persönlichkeit. Der einzige, von dessen talentvollen Be¬ mühungen sich etwas erwarten läßt, dem auch die Sympathien der Jugend zu Theil wurden, ist ein junger Hegelianer, Professor Bair- hoffcr, aber wir wünschen ihm einen andern Wirkungskreis, wo er bessere Theilnahme finde. In den Sprachen zeichnete sich Hermann würdig und erfolgreich aus, doch ist sein Abgang nach Göttingen nur mangelhaft durch den Erlanger Privatdocenten Herrn Thiersch ersetzt. Seit Michaelis hat Professor Huber, der meist unbesuchte Sprachvorlesungcn anzeigte, die Universität verlassen. Man hat ihn einmal, wenn ich nicht irre, in der Rheinischen Zeitung, einen Bettel¬ brief an die Preußische Negierung um Anstellung genannt. Ist er das gewesen, so hat er seinen Zweck erreicht, aber weiter auch Nichts, denn schon im November hat er seine Borlesungen in Berlin wegen Mangel an Zuhörern eingestellt. In Marburg kam dies öfter vor.
Die theologische Facultät zählt einen nicht unbedeutenden Zu¬ fluß von Studirenden. Sie ist blos eine protestantische, die Katholiken haben in Fulda das katholische Seminar und die Universität Würz- burg zugewiesen bekommen. Die neuern Regungen sind ihr fremd geblieben, eS ist eine zahme Staaten-Theologie, die dort gelesen wird. Professor Rettberg, wohl der tüchtigste unter den Lehrern, liest Kirchengeschichte und Dogmatik, doch ist auch er von der Ein¬ seitigkeit einer Partei nicht ganz frei. Professor Hupfeld, seit Mi¬ chaelis an Gesenius' Stelle nach Halle berufen, war mehr in sprach¬ licher Beziehung angesehen. Er stand an der Spitze der Theologisch- Servilen und soll als Ephorus der Stipendiaten-Anstalt sich durch pedantische Strenge unbeliebt gemacht haben. Die meisten der Theo¬ logie Studirenden und einige Andere sind auf diese Anstalt ange¬ wiesen, die aus sehr bedeutenden Fonds besteht und mit den Mvl- lenbecker Beneficien (welche vor Jahren der Kronprinz in Bonn allein bezog) eine große Anzahl unterstützt. Marburg ist in seinem äußern Leben überhaupt einfach und schmucklos, da zwei Drittheile der seu-
Ministers Hanstein berufen, ohne sein Leben und Wirken zu kennen. Professor Vorländer, seit Ostern 1843 hier angestellt, war früher Privatdocent in Berlin, wo er sich nur ein sehr kleines Auditorium zu erringen gewußt. Sein Streben, eine unabhängige Bahn zwischen Hegel, Herbart und Schelling zu verfechten, ist ein mißlungenes, da ihn selbst seine Parallelen zu keinem Ziel führen. Außerdem man¬ gelt ihm die Persönlichkeit. Der einzige, von dessen talentvollen Be¬ mühungen sich etwas erwarten läßt, dem auch die Sympathien der Jugend zu Theil wurden, ist ein junger Hegelianer, Professor Bair- hoffcr, aber wir wünschen ihm einen andern Wirkungskreis, wo er bessere Theilnahme finde. In den Sprachen zeichnete sich Hermann würdig und erfolgreich aus, doch ist sein Abgang nach Göttingen nur mangelhaft durch den Erlanger Privatdocenten Herrn Thiersch ersetzt. Seit Michaelis hat Professor Huber, der meist unbesuchte Sprachvorlesungcn anzeigte, die Universität verlassen. Man hat ihn einmal, wenn ich nicht irre, in der Rheinischen Zeitung, einen Bettel¬ brief an die Preußische Negierung um Anstellung genannt. Ist er das gewesen, so hat er seinen Zweck erreicht, aber weiter auch Nichts, denn schon im November hat er seine Borlesungen in Berlin wegen Mangel an Zuhörern eingestellt. In Marburg kam dies öfter vor.
Die theologische Facultät zählt einen nicht unbedeutenden Zu¬ fluß von Studirenden. Sie ist blos eine protestantische, die Katholiken haben in Fulda das katholische Seminar und die Universität Würz- burg zugewiesen bekommen. Die neuern Regungen sind ihr fremd geblieben, eS ist eine zahme Staaten-Theologie, die dort gelesen wird. Professor Rettberg, wohl der tüchtigste unter den Lehrern, liest Kirchengeschichte und Dogmatik, doch ist auch er von der Ein¬ seitigkeit einer Partei nicht ganz frei. Professor Hupfeld, seit Mi¬ chaelis an Gesenius' Stelle nach Halle berufen, war mehr in sprach¬ licher Beziehung angesehen. Er stand an der Spitze der Theologisch- Servilen und soll als Ephorus der Stipendiaten-Anstalt sich durch pedantische Strenge unbeliebt gemacht haben. Die meisten der Theo¬ logie Studirenden und einige Andere sind auf diese Anstalt ange¬ wiesen, die aus sehr bedeutenden Fonds besteht und mit den Mvl- lenbecker Beneficien (welche vor Jahren der Kronprinz in Bonn allein bezog) eine große Anzahl unterstützt. Marburg ist in seinem äußern Leben überhaupt einfach und schmucklos, da zwei Drittheile der seu-
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Ministers Hanstein berufen, ohne sein Leben und Wirken zu kennen.
Professor Vorländer, seit Ostern 1843 hier angestellt, war früher
Privatdocent in Berlin, wo er sich nur ein sehr kleines Auditorium
zu erringen gewußt. Sein Streben, eine unabhängige Bahn zwischen
Hegel, Herbart und Schelling zu verfechten, ist ein mißlungenes, da
ihn selbst seine Parallelen zu keinem Ziel führen. Außerdem man¬
gelt ihm die Persönlichkeit. Der einzige, von dessen talentvollen Be¬
mühungen sich etwas erwarten läßt, dem auch die Sympathien der
Jugend zu Theil wurden, ist ein junger Hegelianer, Professor Bair-
hoffcr, aber wir wünschen ihm einen andern Wirkungskreis, wo er
bessere Theilnahme finde. In den Sprachen zeichnete sich Hermann
würdig und erfolgreich aus, doch ist sein Abgang nach Göttingen
nur mangelhaft durch den Erlanger Privatdocenten Herrn Thiersch
ersetzt. Seit Michaelis hat Professor Huber, der meist unbesuchte
Sprachvorlesungcn anzeigte, die Universität verlassen. Man hat ihn
einmal, wenn ich nicht irre, in der Rheinischen Zeitung, einen Bettel¬
brief an die Preußische Negierung um Anstellung genannt. Ist er
das gewesen, so hat er seinen Zweck erreicht, aber weiter auch Nichts,
denn schon im November hat er seine Borlesungen in Berlin wegen
Mangel an Zuhörern eingestellt. In Marburg kam dies öfter vor.
Die theologische Facultät zählt einen nicht unbedeutenden Zu¬
fluß von Studirenden. Sie ist blos eine protestantische, die Katholiken
haben in Fulda das katholische Seminar und die Universität Würz-
burg zugewiesen bekommen. Die neuern Regungen sind ihr fremd
geblieben, eS ist eine zahme Staaten-Theologie, die dort gelesen
wird. Professor Rettberg, wohl der tüchtigste unter den Lehrern,
liest Kirchengeschichte und Dogmatik, doch ist auch er von der Ein¬
seitigkeit einer Partei nicht ganz frei. Professor Hupfeld, seit Mi¬
chaelis an Gesenius' Stelle nach Halle berufen, war mehr in sprach¬
licher Beziehung angesehen. Er stand an der Spitze der Theologisch-
Servilen und soll als Ephorus der Stipendiaten-Anstalt sich durch
pedantische Strenge unbeliebt gemacht haben. Die meisten der Theo¬
logie Studirenden und einige Andere sind auf diese Anstalt ange¬
wiesen, die aus sehr bedeutenden Fonds besteht und mit den Mvl-
lenbecker Beneficien (welche vor Jahren der Kronprinz in Bonn allein
bezog) eine große Anzahl unterstützt. Marburg ist in seinem äußern
Leben überhaupt einfach und schmucklos, da zwei Drittheile der seu-
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/152>, abgerufen am 22.12.2024.
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