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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ses, auch gehört das nicht hierher. Die Institutionen sind im All¬
gemeinen nur wenig verschieden von denen der übrigen deutschen
Universitäten; nur die Gerichtspflege ermangelt zeitgemäßer Modifi¬
kationen. An ihrer Spitze steht, nicht wie anderweitig ein praktischer
Jurist, sondern der jedesmalige Prorector als Richter, daher nach
dem Wechsel der Fakultäten ein Theologe, Mediziner u. s. w. Ihm
steht ein Syndikus zur Seite, jedoch blos als Protokollführer, den
Spruch fällt in größeren Sachen der Senat. Bei der leider zu
umfangreichen Macht des Untersuchungsrichters und seiner großen
Verantwortung ist es natürlich ein Uebelstand, der zu Irrthümern
und Mißverhältnissen führt, wenn dies Amt einem Laien überlassen
wird. Oft kommen komische Dinge vor. Freilich ist die ganze Ein¬
richtung der Universitäts-Gerichtsbarkeit nicht eine polizeiliche, sondern
eine Vormundschaftsbehörde, die Erkenntnisse zu sehr von der "morali¬
schen Ueberzeugung" abhängig, als daß man Rechtsmittel gegen
Überschreitung in Händen hätte. Der Senat, sagt man, vertritt
Vaterstelle, und wie ein Vater seinem Kinde Dritten gegenüber im¬
mer eher Unrecht gibt, so auch jener bei Angelegenheiten Studirender
mit Andern. Gegen dies Verfahren sind in neuerer Zeit mehrfach
und verschiedenerseits Klagen erhoben worden, um so mehr, da die
Strafen weit härter sind als die polizeilichen. Am drückendsten aber
ist dasselbe an Orten, wie Marburg, wo die Leitung nicht einmal
Rechtskundigen übergeben ist.

Was das Alter der Professoren betrifft, so möge man dies vor-
läufig buchstäblich nehmen. In allen Facultäten finden sich eine
Menge alter, kathedermüdcr Docenten, welche ihre vorschriftmäßigen
Collegia jahraus jahrein lesen, weil eS so sein muß. In Mar¬
burg nämlich werden gegenwärtig nur Brodcollegia gelesen. Aber
das ist eS noch nicht allein. Selbst diese sind von einer erschrecken¬
den Eintönigkeit, bequem, breit, stereotyp. Es ist eine treffende Sa-
tyre von einem Studirenden, der ein mechanisch nachgeschriebenes
Heft aus früherer Zeit besaß und die eingestreuten Witze des Docen¬
ten voraussagte. Uebrigens sind diese Witze keine Contrebande, sie
haben alle Censur passirt, oder sind wenigstens stets dazu bereit.
Die jüngere Generation unter den Docenten ist nicht geschaffen, die
scheidenden auf eine würdige Weise zu ersetzen. Die Universität
hatte, wie bereits gesagt, früher die tüchtigsten Lehrer; daß sie nicht


ses, auch gehört das nicht hierher. Die Institutionen sind im All¬
gemeinen nur wenig verschieden von denen der übrigen deutschen
Universitäten; nur die Gerichtspflege ermangelt zeitgemäßer Modifi¬
kationen. An ihrer Spitze steht, nicht wie anderweitig ein praktischer
Jurist, sondern der jedesmalige Prorector als Richter, daher nach
dem Wechsel der Fakultäten ein Theologe, Mediziner u. s. w. Ihm
steht ein Syndikus zur Seite, jedoch blos als Protokollführer, den
Spruch fällt in größeren Sachen der Senat. Bei der leider zu
umfangreichen Macht des Untersuchungsrichters und seiner großen
Verantwortung ist es natürlich ein Uebelstand, der zu Irrthümern
und Mißverhältnissen führt, wenn dies Amt einem Laien überlassen
wird. Oft kommen komische Dinge vor. Freilich ist die ganze Ein¬
richtung der Universitäts-Gerichtsbarkeit nicht eine polizeiliche, sondern
eine Vormundschaftsbehörde, die Erkenntnisse zu sehr von der „morali¬
schen Ueberzeugung" abhängig, als daß man Rechtsmittel gegen
Überschreitung in Händen hätte. Der Senat, sagt man, vertritt
Vaterstelle, und wie ein Vater seinem Kinde Dritten gegenüber im¬
mer eher Unrecht gibt, so auch jener bei Angelegenheiten Studirender
mit Andern. Gegen dies Verfahren sind in neuerer Zeit mehrfach
und verschiedenerseits Klagen erhoben worden, um so mehr, da die
Strafen weit härter sind als die polizeilichen. Am drückendsten aber
ist dasselbe an Orten, wie Marburg, wo die Leitung nicht einmal
Rechtskundigen übergeben ist.

Was das Alter der Professoren betrifft, so möge man dies vor-
läufig buchstäblich nehmen. In allen Facultäten finden sich eine
Menge alter, kathedermüdcr Docenten, welche ihre vorschriftmäßigen
Collegia jahraus jahrein lesen, weil eS so sein muß. In Mar¬
burg nämlich werden gegenwärtig nur Brodcollegia gelesen. Aber
das ist eS noch nicht allein. Selbst diese sind von einer erschrecken¬
den Eintönigkeit, bequem, breit, stereotyp. Es ist eine treffende Sa-
tyre von einem Studirenden, der ein mechanisch nachgeschriebenes
Heft aus früherer Zeit besaß und die eingestreuten Witze des Docen¬
ten voraussagte. Uebrigens sind diese Witze keine Contrebande, sie
haben alle Censur passirt, oder sind wenigstens stets dazu bereit.
Die jüngere Generation unter den Docenten ist nicht geschaffen, die
scheidenden auf eine würdige Weise zu ersetzen. Die Universität
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[0150] ses, auch gehört das nicht hierher. Die Institutionen sind im All¬ gemeinen nur wenig verschieden von denen der übrigen deutschen Universitäten; nur die Gerichtspflege ermangelt zeitgemäßer Modifi¬ kationen. An ihrer Spitze steht, nicht wie anderweitig ein praktischer Jurist, sondern der jedesmalige Prorector als Richter, daher nach dem Wechsel der Fakultäten ein Theologe, Mediziner u. s. w. Ihm steht ein Syndikus zur Seite, jedoch blos als Protokollführer, den Spruch fällt in größeren Sachen der Senat. Bei der leider zu umfangreichen Macht des Untersuchungsrichters und seiner großen Verantwortung ist es natürlich ein Uebelstand, der zu Irrthümern und Mißverhältnissen führt, wenn dies Amt einem Laien überlassen wird. Oft kommen komische Dinge vor. Freilich ist die ganze Ein¬ richtung der Universitäts-Gerichtsbarkeit nicht eine polizeiliche, sondern eine Vormundschaftsbehörde, die Erkenntnisse zu sehr von der „morali¬ schen Ueberzeugung" abhängig, als daß man Rechtsmittel gegen Überschreitung in Händen hätte. Der Senat, sagt man, vertritt Vaterstelle, und wie ein Vater seinem Kinde Dritten gegenüber im¬ mer eher Unrecht gibt, so auch jener bei Angelegenheiten Studirender mit Andern. Gegen dies Verfahren sind in neuerer Zeit mehrfach und verschiedenerseits Klagen erhoben worden, um so mehr, da die Strafen weit härter sind als die polizeilichen. Am drückendsten aber ist dasselbe an Orten, wie Marburg, wo die Leitung nicht einmal Rechtskundigen übergeben ist. Was das Alter der Professoren betrifft, so möge man dies vor- läufig buchstäblich nehmen. In allen Facultäten finden sich eine Menge alter, kathedermüdcr Docenten, welche ihre vorschriftmäßigen Collegia jahraus jahrein lesen, weil eS so sein muß. In Mar¬ burg nämlich werden gegenwärtig nur Brodcollegia gelesen. Aber das ist eS noch nicht allein. Selbst diese sind von einer erschrecken¬ den Eintönigkeit, bequem, breit, stereotyp. Es ist eine treffende Sa- tyre von einem Studirenden, der ein mechanisch nachgeschriebenes Heft aus früherer Zeit besaß und die eingestreuten Witze des Docen¬ ten voraussagte. Uebrigens sind diese Witze keine Contrebande, sie haben alle Censur passirt, oder sind wenigstens stets dazu bereit. Die jüngere Generation unter den Docenten ist nicht geschaffen, die scheidenden auf eine würdige Weise zu ersetzen. Die Universität hatte, wie bereits gesagt, früher die tüchtigsten Lehrer; daß sie nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/150>, abgerufen am 28.09.2024.