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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Soldaten, wie man sie auf allen Straßen sah, Schlachten, wie sie
das Bulletin darstellte, und gab so dem Volke ein Bild von sich
selbst, ohne Uebertreibung, aber auch ohne Poesie und Idealität.
Das Volk fand sich selbst verschönert in den Soldaten Vernet's wie¬
der, es bewunderte erst sich und dann den Künstler, und rief ihn
einstimmig als den ersten Maler des Jahrhunderts aus. Die Frucht¬
barkeit Vernet's ließ der Begeisterung der Zeit nicht Zeit zum Er¬
kalten: er improvisirte größere Gemälde wie Andere Aquarellen, so
erschienen nach einander die Schlacht von Tolosa, die Barriere von
Clichy, der ackernde Soldat, der Soldat von Waterloo, die letzte
Patrone, der Tod Poniatowski'ö, die Schlachten von Jemappe, Val-
my, von Montmirail, von Hanau, die Vertheidigung von Sara¬
gossa, das Blutbad unter den Mameluken von Cairo, und zahllose
andere Bilder, die> ich hier nicht aufzählen kann, ungerechnet die
Porträts, Seestücke, Landschaften und Jagden. Endlich im Jahr
1822, reichten die Bilder Vernet's zur Ausfüllung seines Ateliers
aus, und da man ihnen die Zulassung im Louvre immer noch versagte,
wurden sie von ihm dem Besuche des Publicums freigegeben, Jay und
Jouy schrieben einen ausführlichenKatalog über die damalige Sammlung.
'

Während Vernets Ketzerei einen so allgemeinen Beifall fand,
versuchte die classische Kunst sich noch einmal vor ihrem gänzlichen
Absterben aufzuraffen. Die griechisch-militärische Schule hatte sich
noch einmal umgewandelt: an dem Tage der Abdankung des großen
Kaisers legte sie die Uniform ab und wurde christlich. Der Hof
ging in die Messe, der König communicirte, die Beichtväter vergaben
Stellen und hatten die Schlüssel zum Staatsschatz in ihrer Hand.
Die Maler, wie heidnische Priester, welche sich zum Christenthum
bekehrten, machten ihre Venus zur Mutter Gottes, Apollo zum Erz¬
engel Michael, Ncprun zum Se. Nikolas, Jupiter zum Se. Peter,
und die Grazien, die Schwestern der Liebe, wurden in die drei theo¬
logischen Tugenden verwandelt.

Der christliche Impuls, den die Malerei erhielt, war stärker und
allgemeiner, als es der militärische jemals gewesen war. Die GrunD-
lagen blieben jedoch immer classisch. Es war eine Umgestaltung der
Schule, keine Veränderung. Aber jeden Tag wurden die Neuerer
zahlreicher; der Widerwillen gegen die Nachahmung größer; der
Durst nach Unabhängigkeit belebte die Massen und der Aufstand brach
aus. Der Krieg zwischen den Classikern und Romantikern war plötz¬
lich überall -- in der Literatur wie in der bildenden Kunst -- er¬
klärt. Victor Hugo und Eugene Delacroir gingen Hand in Hand
nach demselben Ziele, unter einem Banner und mit einem Fcldge-
schreie Freiheit der Kunst.

Horace Vernet wünschte zu sehr, mit der Zeit auf gleicher Höhe
zu bleiben, als daß er bei den ersten und lärmenden Erfolgen der ro-


Soldaten, wie man sie auf allen Straßen sah, Schlachten, wie sie
das Bulletin darstellte, und gab so dem Volke ein Bild von sich
selbst, ohne Uebertreibung, aber auch ohne Poesie und Idealität.
Das Volk fand sich selbst verschönert in den Soldaten Vernet's wie¬
der, es bewunderte erst sich und dann den Künstler, und rief ihn
einstimmig als den ersten Maler des Jahrhunderts aus. Die Frucht¬
barkeit Vernet's ließ der Begeisterung der Zeit nicht Zeit zum Er¬
kalten: er improvisirte größere Gemälde wie Andere Aquarellen, so
erschienen nach einander die Schlacht von Tolosa, die Barriere von
Clichy, der ackernde Soldat, der Soldat von Waterloo, die letzte
Patrone, der Tod Poniatowski'ö, die Schlachten von Jemappe, Val-
my, von Montmirail, von Hanau, die Vertheidigung von Sara¬
gossa, das Blutbad unter den Mameluken von Cairo, und zahllose
andere Bilder, die> ich hier nicht aufzählen kann, ungerechnet die
Porträts, Seestücke, Landschaften und Jagden. Endlich im Jahr
1822, reichten die Bilder Vernet's zur Ausfüllung seines Ateliers
aus, und da man ihnen die Zulassung im Louvre immer noch versagte,
wurden sie von ihm dem Besuche des Publicums freigegeben, Jay und
Jouy schrieben einen ausführlichenKatalog über die damalige Sammlung.
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Während Vernets Ketzerei einen so allgemeinen Beifall fand,
versuchte die classische Kunst sich noch einmal vor ihrem gänzlichen
Absterben aufzuraffen. Die griechisch-militärische Schule hatte sich
noch einmal umgewandelt: an dem Tage der Abdankung des großen
Kaisers legte sie die Uniform ab und wurde christlich. Der Hof
ging in die Messe, der König communicirte, die Beichtväter vergaben
Stellen und hatten die Schlüssel zum Staatsschatz in ihrer Hand.
Die Maler, wie heidnische Priester, welche sich zum Christenthum
bekehrten, machten ihre Venus zur Mutter Gottes, Apollo zum Erz¬
engel Michael, Ncprun zum Se. Nikolas, Jupiter zum Se. Peter,
und die Grazien, die Schwestern der Liebe, wurden in die drei theo¬
logischen Tugenden verwandelt.

Der christliche Impuls, den die Malerei erhielt, war stärker und
allgemeiner, als es der militärische jemals gewesen war. Die GrunD-
lagen blieben jedoch immer classisch. Es war eine Umgestaltung der
Schule, keine Veränderung. Aber jeden Tag wurden die Neuerer
zahlreicher; der Widerwillen gegen die Nachahmung größer; der
Durst nach Unabhängigkeit belebte die Massen und der Aufstand brach
aus. Der Krieg zwischen den Classikern und Romantikern war plötz¬
lich überall — in der Literatur wie in der bildenden Kunst — er¬
klärt. Victor Hugo und Eugene Delacroir gingen Hand in Hand
nach demselben Ziele, unter einem Banner und mit einem Fcldge-
schreie Freiheit der Kunst.

Horace Vernet wünschte zu sehr, mit der Zeit auf gleicher Höhe
zu bleiben, als daß er bei den ersten und lärmenden Erfolgen der ro-


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[0143] Soldaten, wie man sie auf allen Straßen sah, Schlachten, wie sie das Bulletin darstellte, und gab so dem Volke ein Bild von sich selbst, ohne Uebertreibung, aber auch ohne Poesie und Idealität. Das Volk fand sich selbst verschönert in den Soldaten Vernet's wie¬ der, es bewunderte erst sich und dann den Künstler, und rief ihn einstimmig als den ersten Maler des Jahrhunderts aus. Die Frucht¬ barkeit Vernet's ließ der Begeisterung der Zeit nicht Zeit zum Er¬ kalten: er improvisirte größere Gemälde wie Andere Aquarellen, so erschienen nach einander die Schlacht von Tolosa, die Barriere von Clichy, der ackernde Soldat, der Soldat von Waterloo, die letzte Patrone, der Tod Poniatowski'ö, die Schlachten von Jemappe, Val- my, von Montmirail, von Hanau, die Vertheidigung von Sara¬ gossa, das Blutbad unter den Mameluken von Cairo, und zahllose andere Bilder, die> ich hier nicht aufzählen kann, ungerechnet die Porträts, Seestücke, Landschaften und Jagden. Endlich im Jahr 1822, reichten die Bilder Vernet's zur Ausfüllung seines Ateliers aus, und da man ihnen die Zulassung im Louvre immer noch versagte, wurden sie von ihm dem Besuche des Publicums freigegeben, Jay und Jouy schrieben einen ausführlichenKatalog über die damalige Sammlung. ' Während Vernets Ketzerei einen so allgemeinen Beifall fand, versuchte die classische Kunst sich noch einmal vor ihrem gänzlichen Absterben aufzuraffen. Die griechisch-militärische Schule hatte sich noch einmal umgewandelt: an dem Tage der Abdankung des großen Kaisers legte sie die Uniform ab und wurde christlich. Der Hof ging in die Messe, der König communicirte, die Beichtväter vergaben Stellen und hatten die Schlüssel zum Staatsschatz in ihrer Hand. Die Maler, wie heidnische Priester, welche sich zum Christenthum bekehrten, machten ihre Venus zur Mutter Gottes, Apollo zum Erz¬ engel Michael, Ncprun zum Se. Nikolas, Jupiter zum Se. Peter, und die Grazien, die Schwestern der Liebe, wurden in die drei theo¬ logischen Tugenden verwandelt. Der christliche Impuls, den die Malerei erhielt, war stärker und allgemeiner, als es der militärische jemals gewesen war. Die GrunD- lagen blieben jedoch immer classisch. Es war eine Umgestaltung der Schule, keine Veränderung. Aber jeden Tag wurden die Neuerer zahlreicher; der Widerwillen gegen die Nachahmung größer; der Durst nach Unabhängigkeit belebte die Massen und der Aufstand brach aus. Der Krieg zwischen den Classikern und Romantikern war plötz¬ lich überall — in der Literatur wie in der bildenden Kunst — er¬ klärt. Victor Hugo und Eugene Delacroir gingen Hand in Hand nach demselben Ziele, unter einem Banner und mit einem Fcldge- schreie Freiheit der Kunst. Horace Vernet wünschte zu sehr, mit der Zeit auf gleicher Höhe zu bleiben, als daß er bei den ersten und lärmenden Erfolgen der ro-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/143>, abgerufen am 29.06.2024.