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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ein gefährlicher ist. Sein Urtheil ist schnell fertig, ohne Kopfbrechens,
mit einer Gleichgiltigkeit und Worrgeläufigkeit, wie sie für den Salon
passender als für den Katheder wäre. Eine Schwäche, die H. Heine
mit Recht an ihm verspottet, sind die "königlich preußischen Pro¬
fessor-Thränen." Raumer weint. Es ist komisch. Ein alter Ana¬
tom, der schon so lange Geschichte zergliedert, weint über die schottische
Marie, die schöne, die unschuldige Marie, über Conradin, über Gott
weiß wen. Ob er über unsere neueste Geschichte weint, weiß ich
nicht. Aber er ist ja "liberal."

Ranke ist ganz der Gegensatz zu Raumer. Ranke weint
nicht; höchstens ein Spott, ein Lächeln bekleidet ihn. Hände und
Füße, Augen und Mund, alle Glieder arbeiten mit an seinem Vor¬
trag. Ranke ist ein Original. Nicht wie Raumer hat er sich die
Geschichte zurecht gemacht: er steht in den Thaten und Ereignissen
mitten drin und entwickelt aus ihnen heraus pragmatisch wie factisch
den ganzen Zusammenhang. Seine Sprache ist fein und gewählt;
dem Anschein nach kunstlos, durchglüht sie Rhetorik. Ranke ist auch
nicht "liberal". Er hat es ausgesprochen mit dürren Worten, er sei
nicht absolutistisch, er sei nicht liberal, er wolle eine gewisse Mitte
halten; -- freilich kennt man diese "gewisse". Die Geschichte der
Studentenverbindungen, der Burschenschaft leitete er mit den Worten
ein: "Obgleich diese Geschichte unser eigenstes Leben berührt, will
ich doch davon sprechen." Dann wehte er wie ein Windhauch flüch¬
tig darüber hin. Leider wird der Jugend ihre eigene Geschichte so
oft vernebelt und fern gehalten. Ranke vermag indeß nicht zu be¬
geistern, er kann das Erhabene nicht großartig zusammenfassen. Di¬
plomatische Intriguen auszuklügeln ist seine Lieblingsarbeit, seine
Hauptstärke. Es ist der neutralste, aber auch der kitzlichste Theil der
Geschichte, jedoch, wie bemerkt, mit so glücklichem Erfolg von ihm
behandelt, daß Niemand sagen kann, ob der Historiograph die Folge
oder die Ursache seiner loyalen Gesinnung sei.

Neben Raumer und Ranke, den zweifelhaft Gesinnten, steht ein
Mann des festesten Charakters und der tüchtigsten Gesinnung, Karl
Nauwerk, der in seiner Vorlesung über die Philosophie des Staa¬
tes ein zahlreiches, begeistertes Auditorium versammelt hat. Hegelia¬
ner seiner philosophischen Bildung nach, sucht er eine Anwendung
seiner Ueberzeugungen auf den Staat und das Leben. Die Ruhe


ein gefährlicher ist. Sein Urtheil ist schnell fertig, ohne Kopfbrechens,
mit einer Gleichgiltigkeit und Worrgeläufigkeit, wie sie für den Salon
passender als für den Katheder wäre. Eine Schwäche, die H. Heine
mit Recht an ihm verspottet, sind die „königlich preußischen Pro¬
fessor-Thränen." Raumer weint. Es ist komisch. Ein alter Ana¬
tom, der schon so lange Geschichte zergliedert, weint über die schottische
Marie, die schöne, die unschuldige Marie, über Conradin, über Gott
weiß wen. Ob er über unsere neueste Geschichte weint, weiß ich
nicht. Aber er ist ja „liberal."

Ranke ist ganz der Gegensatz zu Raumer. Ranke weint
nicht; höchstens ein Spott, ein Lächeln bekleidet ihn. Hände und
Füße, Augen und Mund, alle Glieder arbeiten mit an seinem Vor¬
trag. Ranke ist ein Original. Nicht wie Raumer hat er sich die
Geschichte zurecht gemacht: er steht in den Thaten und Ereignissen
mitten drin und entwickelt aus ihnen heraus pragmatisch wie factisch
den ganzen Zusammenhang. Seine Sprache ist fein und gewählt;
dem Anschein nach kunstlos, durchglüht sie Rhetorik. Ranke ist auch
nicht „liberal". Er hat es ausgesprochen mit dürren Worten, er sei
nicht absolutistisch, er sei nicht liberal, er wolle eine gewisse Mitte
halten; — freilich kennt man diese „gewisse". Die Geschichte der
Studentenverbindungen, der Burschenschaft leitete er mit den Worten
ein: „Obgleich diese Geschichte unser eigenstes Leben berührt, will
ich doch davon sprechen." Dann wehte er wie ein Windhauch flüch¬
tig darüber hin. Leider wird der Jugend ihre eigene Geschichte so
oft vernebelt und fern gehalten. Ranke vermag indeß nicht zu be¬
geistern, er kann das Erhabene nicht großartig zusammenfassen. Di¬
plomatische Intriguen auszuklügeln ist seine Lieblingsarbeit, seine
Hauptstärke. Es ist der neutralste, aber auch der kitzlichste Theil der
Geschichte, jedoch, wie bemerkt, mit so glücklichem Erfolg von ihm
behandelt, daß Niemand sagen kann, ob der Historiograph die Folge
oder die Ursache seiner loyalen Gesinnung sei.

Neben Raumer und Ranke, den zweifelhaft Gesinnten, steht ein
Mann des festesten Charakters und der tüchtigsten Gesinnung, Karl
Nauwerk, der in seiner Vorlesung über die Philosophie des Staa¬
tes ein zahlreiches, begeistertes Auditorium versammelt hat. Hegelia¬
ner seiner philosophischen Bildung nach, sucht er eine Anwendung
seiner Ueberzeugungen auf den Staat und das Leben. Die Ruhe


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[0136] ein gefährlicher ist. Sein Urtheil ist schnell fertig, ohne Kopfbrechens, mit einer Gleichgiltigkeit und Worrgeläufigkeit, wie sie für den Salon passender als für den Katheder wäre. Eine Schwäche, die H. Heine mit Recht an ihm verspottet, sind die „königlich preußischen Pro¬ fessor-Thränen." Raumer weint. Es ist komisch. Ein alter Ana¬ tom, der schon so lange Geschichte zergliedert, weint über die schottische Marie, die schöne, die unschuldige Marie, über Conradin, über Gott weiß wen. Ob er über unsere neueste Geschichte weint, weiß ich nicht. Aber er ist ja „liberal." Ranke ist ganz der Gegensatz zu Raumer. Ranke weint nicht; höchstens ein Spott, ein Lächeln bekleidet ihn. Hände und Füße, Augen und Mund, alle Glieder arbeiten mit an seinem Vor¬ trag. Ranke ist ein Original. Nicht wie Raumer hat er sich die Geschichte zurecht gemacht: er steht in den Thaten und Ereignissen mitten drin und entwickelt aus ihnen heraus pragmatisch wie factisch den ganzen Zusammenhang. Seine Sprache ist fein und gewählt; dem Anschein nach kunstlos, durchglüht sie Rhetorik. Ranke ist auch nicht „liberal". Er hat es ausgesprochen mit dürren Worten, er sei nicht absolutistisch, er sei nicht liberal, er wolle eine gewisse Mitte halten; — freilich kennt man diese „gewisse". Die Geschichte der Studentenverbindungen, der Burschenschaft leitete er mit den Worten ein: „Obgleich diese Geschichte unser eigenstes Leben berührt, will ich doch davon sprechen." Dann wehte er wie ein Windhauch flüch¬ tig darüber hin. Leider wird der Jugend ihre eigene Geschichte so oft vernebelt und fern gehalten. Ranke vermag indeß nicht zu be¬ geistern, er kann das Erhabene nicht großartig zusammenfassen. Di¬ plomatische Intriguen auszuklügeln ist seine Lieblingsarbeit, seine Hauptstärke. Es ist der neutralste, aber auch der kitzlichste Theil der Geschichte, jedoch, wie bemerkt, mit so glücklichem Erfolg von ihm behandelt, daß Niemand sagen kann, ob der Historiograph die Folge oder die Ursache seiner loyalen Gesinnung sei. Neben Raumer und Ranke, den zweifelhaft Gesinnten, steht ein Mann des festesten Charakters und der tüchtigsten Gesinnung, Karl Nauwerk, der in seiner Vorlesung über die Philosophie des Staa¬ tes ein zahlreiches, begeistertes Auditorium versammelt hat. Hegelia¬ ner seiner philosophischen Bildung nach, sucht er eine Anwendung seiner Ueberzeugungen auf den Staat und das Leben. Die Ruhe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/136>, abgerufen am 28.09.2024.