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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ich nicht irre, die Titel führen: "Keine Constitution" und "Die liberale
Partei." Der Dr. me<i. und Professor der schönen Künste entwickelte
hier eine neue scharfsinnige Logik, die man summarisch nennen möchte,
so einfach war sie: "Es ist bekannt", "Niemand zweifelt", "Dies zu
erweisen, ist überflüssig" u. s. w. Hierauf wurde Herr Huber nach
Berlin berufen, und er kam. Aber die Berliner erwiesen sich sehr un¬
dankbar, -- Herr Huber hat nach den ersten Wochen seine Vorlesun¬
gen eingestellt, was ihm gewiß in Marburg selten begegnete, da er dort
selten ein Colleg zu Stande brachte. Wie ich die Theilnahmlosigkeit
gegen Herrn Huber in Berlin deuten soll, weiß ich nicht. Einige
sagen (nämlich die, welche seine Vorlesungen besuchten), er habe keine
Persönlichkeit zum öffentlichen Lehrer und bleibe in seinem Vortrag
stecken; aber dann hätte Herr Huber ja ein Heft ablesen können, wie
so Manche thun; -- Andere lachen. Das Gerücht, daß Herr Hu¬
ber Redacteur der preußischen Allgemeinen werden solle, welches seit
einem halben Jahr die Zeitungen durchläuft, ist so eben als unge¬
gründet zurückgenommen.

Berlin hat noch so viele Größen; sie alle zu schildern, wäre zu
weitläufig und wohl auch undankbare Mühe. Nur die, welche in
das öffentliche Leben eingreifen, gedachte ich Ihnen vorzuführen; Ko¬
ryphäen, wie Ritter, Lichtenstein, Johannes Müller, lasse ich außer
Augen, weil sie, obwohl gewiß auf hochverdiente Weise wirksam, nur
auf einem einzelnen Felde der Wissenschaft und dem Leben und der
Oeffentlichkeit etwas fern gestellt sind. Andere, wie Rückert, I. Grimm,
erwähne ich ebenfalls nicht; es ist ein Pietätsgefühl gegen diese Män¬
ner, deren Vergangenheit so strahlend vor uns liegt, ein wehmüthiges
Gefühl zugleich, wenn man sieht, wie sie hier auf dem kalten Boden
sich nicht heimisch fühlen, selbst erkalten.

Ein Mann der Oeffentlichkeit nun vor Allen ist, besonders seit
der letzten Zeit, Fr. v. Raumer. Die Urtheile, welche über ihn
als Geschichtsforscher gefällt, sind bekannt und sehr verschieden: aber
auch im schlimmsten Falle wird man zugeben müssen, daß seine Auf
fassungsweise und sein Vortrag ein, wenn auch bisweilen eintöniges,
doch meist anziehendes Colorit haben. Raumer gilt sür liberal, er
will auch dafür gelten, aber ohne aus seinem Justemilieu herauszu¬
treten, ohne seine Vermittelungsthcorie aufzugeben. Er steht über
und somit außer den Thatsachen, -- ein Standpunkt, der für ihn


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ich nicht irre, die Titel führen: „Keine Constitution" und „Die liberale
Partei." Der Dr. me<i. und Professor der schönen Künste entwickelte
hier eine neue scharfsinnige Logik, die man summarisch nennen möchte,
so einfach war sie: „Es ist bekannt", „Niemand zweifelt", „Dies zu
erweisen, ist überflüssig" u. s. w. Hierauf wurde Herr Huber nach
Berlin berufen, und er kam. Aber die Berliner erwiesen sich sehr un¬
dankbar, — Herr Huber hat nach den ersten Wochen seine Vorlesun¬
gen eingestellt, was ihm gewiß in Marburg selten begegnete, da er dort
selten ein Colleg zu Stande brachte. Wie ich die Theilnahmlosigkeit
gegen Herrn Huber in Berlin deuten soll, weiß ich nicht. Einige
sagen (nämlich die, welche seine Vorlesungen besuchten), er habe keine
Persönlichkeit zum öffentlichen Lehrer und bleibe in seinem Vortrag
stecken; aber dann hätte Herr Huber ja ein Heft ablesen können, wie
so Manche thun; — Andere lachen. Das Gerücht, daß Herr Hu¬
ber Redacteur der preußischen Allgemeinen werden solle, welches seit
einem halben Jahr die Zeitungen durchläuft, ist so eben als unge¬
gründet zurückgenommen.

Berlin hat noch so viele Größen; sie alle zu schildern, wäre zu
weitläufig und wohl auch undankbare Mühe. Nur die, welche in
das öffentliche Leben eingreifen, gedachte ich Ihnen vorzuführen; Ko¬
ryphäen, wie Ritter, Lichtenstein, Johannes Müller, lasse ich außer
Augen, weil sie, obwohl gewiß auf hochverdiente Weise wirksam, nur
auf einem einzelnen Felde der Wissenschaft und dem Leben und der
Oeffentlichkeit etwas fern gestellt sind. Andere, wie Rückert, I. Grimm,
erwähne ich ebenfalls nicht; es ist ein Pietätsgefühl gegen diese Män¬
ner, deren Vergangenheit so strahlend vor uns liegt, ein wehmüthiges
Gefühl zugleich, wenn man sieht, wie sie hier auf dem kalten Boden
sich nicht heimisch fühlen, selbst erkalten.

Ein Mann der Oeffentlichkeit nun vor Allen ist, besonders seit
der letzten Zeit, Fr. v. Raumer. Die Urtheile, welche über ihn
als Geschichtsforscher gefällt, sind bekannt und sehr verschieden: aber
auch im schlimmsten Falle wird man zugeben müssen, daß seine Auf
fassungsweise und sein Vortrag ein, wenn auch bisweilen eintöniges,
doch meist anziehendes Colorit haben. Raumer gilt sür liberal, er
will auch dafür gelten, aber ohne aus seinem Justemilieu herauszu¬
treten, ohne seine Vermittelungsthcorie aufzugeben. Er steht über
und somit außer den Thatsachen, — ein Standpunkt, der für ihn


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[0135] ich nicht irre, die Titel führen: „Keine Constitution" und „Die liberale Partei." Der Dr. me<i. und Professor der schönen Künste entwickelte hier eine neue scharfsinnige Logik, die man summarisch nennen möchte, so einfach war sie: „Es ist bekannt", „Niemand zweifelt", „Dies zu erweisen, ist überflüssig" u. s. w. Hierauf wurde Herr Huber nach Berlin berufen, und er kam. Aber die Berliner erwiesen sich sehr un¬ dankbar, — Herr Huber hat nach den ersten Wochen seine Vorlesun¬ gen eingestellt, was ihm gewiß in Marburg selten begegnete, da er dort selten ein Colleg zu Stande brachte. Wie ich die Theilnahmlosigkeit gegen Herrn Huber in Berlin deuten soll, weiß ich nicht. Einige sagen (nämlich die, welche seine Vorlesungen besuchten), er habe keine Persönlichkeit zum öffentlichen Lehrer und bleibe in seinem Vortrag stecken; aber dann hätte Herr Huber ja ein Heft ablesen können, wie so Manche thun; — Andere lachen. Das Gerücht, daß Herr Hu¬ ber Redacteur der preußischen Allgemeinen werden solle, welches seit einem halben Jahr die Zeitungen durchläuft, ist so eben als unge¬ gründet zurückgenommen. Berlin hat noch so viele Größen; sie alle zu schildern, wäre zu weitläufig und wohl auch undankbare Mühe. Nur die, welche in das öffentliche Leben eingreifen, gedachte ich Ihnen vorzuführen; Ko¬ ryphäen, wie Ritter, Lichtenstein, Johannes Müller, lasse ich außer Augen, weil sie, obwohl gewiß auf hochverdiente Weise wirksam, nur auf einem einzelnen Felde der Wissenschaft und dem Leben und der Oeffentlichkeit etwas fern gestellt sind. Andere, wie Rückert, I. Grimm, erwähne ich ebenfalls nicht; es ist ein Pietätsgefühl gegen diese Män¬ ner, deren Vergangenheit so strahlend vor uns liegt, ein wehmüthiges Gefühl zugleich, wenn man sieht, wie sie hier auf dem kalten Boden sich nicht heimisch fühlen, selbst erkalten. Ein Mann der Oeffentlichkeit nun vor Allen ist, besonders seit der letzten Zeit, Fr. v. Raumer. Die Urtheile, welche über ihn als Geschichtsforscher gefällt, sind bekannt und sehr verschieden: aber auch im schlimmsten Falle wird man zugeben müssen, daß seine Auf fassungsweise und sein Vortrag ein, wenn auch bisweilen eintöniges, doch meist anziehendes Colorit haben. Raumer gilt sür liberal, er will auch dafür gelten, aber ohne aus seinem Justemilieu herauszu¬ treten, ohne seine Vermittelungsthcorie aufzugeben. Er steht über und somit außer den Thatsachen, — ein Standpunkt, der für ihn 17»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/135>, abgerufen am 29.06.2024.